Ehe wir auf den „grünen“ Wirtschaftsminister Habeck zu sprechen kommen, eine Mini-Lektion in deutscher Demokratie- bzw. Zensurgeschichte: Am 6. Mai 1786 wurde in Frankfurt/Main im jüdischen Ghetto ein gewisser Juda Löb/Löw Baruch geboren. 1818, mit 32 Jahren, ließ er sich evangelisch taufen; kurz zuvor hatte er den Namen „(Carl) Ludwig Börne“ angenommen. Dieser Börne († am 12. Februar 1837 in Paris), wiewohl er nicht einmal den 51. Geburtstag feiern konnte, wurde zu einer herausragenden Figur deutscher Literaturkritik, Essayistik und Publizistik. Auch zu einem mutigen Kämpfer gegen Zensur und Denunziation.
Denn Börne erlebte die meisten Jahre der deutschen Restaurationszeit (1815 – 1848) mit all ihrer Verachtung bürgerlicher Freiheiten. Es war dies die Zeit der staatlichen Unterdrückung nationaler und liberaler Kräfte, vor allem die Zeit der „Karlsbader Beschlüsse“ von 1819 mit ihren harten Zensurmaßnahmen. Es war dies aber auch die Zeit des Aufbegehrens dagegen. Siehe kurz zuvor 1817 das Wartburg-Fest und 1832 das Hambacher Fest mit dem aus Paris angereisten Ludwig Börne als Stargast. Börne war, um der Zensur zu entgehen, 1830 nach Paris umgezogen. Von dort schrieb er nach Deutschland seine „Briefe aus Paris“ zur Presse- und Meinungsfreiheit, im Besonderen gegen Zensur und Denunziation.
Der Ludwig-Börne-Preis
Um die Verdienste Ludwig Börnes wachzuhalten, gründete die 1993 in Frankfurt/Main ins Leben gerufene Ludwig-Börne-Stiftung im selben Jahr den ab 2002 mit 20.000 Euro dotierten „Ludwig-Börne-Preis“. Mit diesem Preis sollen jedes Jahr herausragende Leistungen deutschsprachiger Autoren in den Bereichen Reportage, Essay und Kritik gewürdigt werden. Über den Preisträger entscheidet ein vom Stiftungsvorstand benannter Preisrichter, ein sogenannter Juror, in alleiniger Verantwortung. Er hält auch die Laudatio für den Preisträger. Die Liste der Preisträger enthält viele prominente und klangvolle Namen: Joachim Kaiser, Marcel Reich-Ranicki, Joachim Fest, Richard Schröder, Hans Magnus Enzensberger, Henryk Broder, Rüdiger Safranski usw.
Im Jahr 2023 schließlich ist man bei einem Preisträger Robert Habeck und einem Alleinjuror/Laudator Jürgen Kaube (Mitherausgeber der FAZ) angekommen. Was sich 2023 hinter den Kulissen abgespielt hat, weiß man nicht so ganz genau, aber man kann es erahnen. Jedenfalls sah sich die Ludwig-Börne-Stiftung genötigt, diesmal den FAZ-Mitherausgeber zum Preis-Entscheider zu machen. Denn für das Jahr 2022 hatte die Stiftung den „Chefredaktor“ der „Neuen Zürcher“ (NZZ), Eric Gujer, zum Preisträger gekürt. Die FAZ meinte damals, Gujer sei wegen des Rechtsrucks der NZZ „umstritten“. „Umstritten“ – das ist die übliche 08/15-Etikettierung, wenn man jemandem, den man nicht mag, intellektuell, journalistisch oder verlegerisch nicht gewachsen ist.
Börne-Preisträger Habeck 2023
Das war 2022. Dagegen mussten 2023 zwei (vermeintliche) Schwergewichte gesetzt werden. Erstens Alleinentscheider Jürgen Kaube: FAZ-Mitherausgeber und 2015 selbst Ludwig-Börne-Preisträger. Und zweitens als Preisträger der „grüne“ Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck. „Boah ey!“, sagt man dazu nicht nur im Ruhrpott.
Nicht nur die FAZ überschlug sich in Laudationes. Laudator und FAZ-Mann Kaube selbst meinte in der Feierstunde am 11. Juni 2023 in der Frankfurter Paulskirche: „Wir leben in der steten Gefahr, dass im politischen Gespräch Argumente nichts mehr zählen, sondern ‚Narrative’. Habeck ragt unter denen heraus, die sich dem als Politiker und politischer Publizist widersetzen. Gesellschaftswissenschaftlich informierte und lebensweltlich grundierte Reflexion prägen seine Äußerungen. In den Zwängen der Politik erkämpft er sich auf beeindruckende Weise Freiräume durch Nachdenklichkeit. Das lässt ihn in der Tradition des politischen Publizisten Ludwig Börne stehen.“ Ja, Schmalz neigt dazu zu triefen.
Artig bedankte sich Habeck. Unter anderem sagte er in all seiner ihm in jeder Hinsicht eigenen Bescheidenheit, für alle Ewigkeit in der FAZ festgehalten: „Von Ludwig Börne lässt sich lernen, wie man sich auf eine Zeit großer Umbrüche einlässt, um sie zu gestalten. Als Politiker muss man überdies wissen, wie man die Dinge in Balance hält, wenn man selbst Gewicht ist.“ Nochmals ein „Boah ey!“ Nicht zu vergessen: In einer 2021 erschienenen neuen Ausgabe von George Orwells Big-Brother-Horror-Vision „1984“ hat Habeck das Vorwort geschrieben. Dort warnte er vor chinesischen Verhältnissen. Vor „chinesischen“!
Habeck – der Anti-Börne
Nee, für die vermeintliche Elite eines Landes, das solche Preisträger kürt, kann man nur übrighaben, was der blutjunge Friedrich Schiller 1781 seinen „Räuber“ Karl Moor, den „erhabenen Verbrecher“, über seine Zeit deklamieren ließ: „tintenklecksendes Säkulum“, „schlappes Kastratenjahrhundert“. Schiller hatte sein „Sturm-und-Drang-Stück“ übrigens „In Tirannos“ gewidmet: Gegen die Tyrannen!
Habeck ist jedenfalls alles andere als ein Börne, alles andere als ein mutiger Kämpfer für Freiheiten und gegen Tyrannei oder wenigstens Bevormundung. Seit geraumer Zeit betreibt er einen Kampf gegen Freiheiten. Er ist mit mehr als 800 Strafanzeigen gegen zumeist unbescholtene, aber kritische Bürger Spitzenreiter einer sich für sakrosankt haltenden Politikerkaste geworden. Regierungsamtliche Doppelmoral nennen kann man so etwas. Was wiederum der „Grünen“ Künast nicht gefällt. Für sie in ihrer intellektuellen Schlichtheit ist Kritik an Habeck eben „typisch rechts“. Die ewig zeitgeistige „Zeit“ sieht gar eine „rechte Verschwörung“ in Gang gekommen.
Habeck bedient sich jedenfalls auf seiner Jagd gegen alles, was er offenbar als Majestätsbeleidigung empfindet, unter anderem der Agentur „So Done“. Das ist eine Agentur, deren Geschäftsmodell die maschinelle Suche nach Beleidigungen von Politikern im Internet sowie deren Anzeige samt Abmahnung und das Eintreiben von Geldentschädigungen ist. Zusammen mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ließ sich Habeck dort als Testimonial führen.
Medienanwalt Joachim Steinhöfel hat den beiden mit einer Abmahnung nun wenigstens dieses Handwerk gelegt. Die Testimonials wurden entfernt. TE-Morgen-Podcast hat am 22. November aktuell darüber berichtet. Habeck verantwortet es als oberster Dienstherr auch, dass die ihm als Minister unterstellte „Bundesnetzagentur“ (mit dem „grünen“ Präsidenten Klaus Müller) das Meldeportal „REspect!“ als „Trusted Flagger“ empfiehlt (TE berichtete am 12. Oktober).
Habeck, der Liebling aller „Woken“, zelebriert unterdessen tagtäglich seine Dünnhäutigkeit. Als ein 62-jähriger Unterfranke im Netz eine Bildcollage weiterverbreitete, die die Werbung der Shampoo-Firma „Schwarzkopf“ mit einem Konterfei Habecks und mit „Schwachkopf“ assoziierte, gab es eine Anzeige und die Bamberger Amtsrichterin Englich ordnete brav eine frühmorgendliche Hausdurchsuchung bei dem Unterfranken ab. Siehe dazu TE vom 13. November. TE-Autor Marco Gallina hat es am 22. November sehr grundsätzlich auf den Punkt gebracht: „Schwachkopfgate – Habeck will Meinungsfreiheit, aber nur, wenn sie ihm nicht wehtut“.
Erleben Absolutismus und Denunziantentum eine Renaissance?
Die Zeiten des Absolutismus eines „Sonnenkönigs“ Ludwigs XIV. (1638 bis 1715, davon 72 Jahre lang als König) sollten vorbei sein. Oder wiederholt sich Geschichte im „besten Deutschland, das wir je hatten“ (Steinmeier)? Als ein Absolutismus der Abgehobenheit der politischen „Elite“? Das lateinische Wort „absolutus“ heißt wörtlich „abgelöst“, also auch „abgehoben“. Habeck gehört zu dieser Kategorie. Aber er ist alles andere als ein Ludwig Börne, vielmehr ein Anti-Börne. Habeck ist nicht der Staat im Sinne des Sonnenkönig-Diktums „L’État, c’est moi! – Der Staat, das bin ich!“ Auch wenn ein Ex-Verfassungsschutzpräsident Haldenwang (CDU) und seine Chefin Faeser (SPD) vom „Phänomenbereich einer verfassungsschutzrechtlichen Delegitimierung des Staates“ schwadronieren und die Regierenden vor dem Volk, dem eigentlichen Souverän, schützen und gegen jede Kritik sakrosankt machen wollen.
Dass Habeck mit dem Ludwig-Börne-Preis 2023 von einem FAZ-Mitherausgeber zu einem Intellektuellen geadelt wird, ist ein Treppenwitz. Wobei wir keineswegs unterstellen, dass dies mit der üppigen Finanzierung von staatlichen Aufträgen an die FAZ-Gruppe zu tun hat. Die hier seit 2014 mittlerweile mehr als 35 Millionen Euro kamen zuletzt nämlich aus einem anderen „grünen“ Haus: dem Außenministerium. Seit 2022 waren es gut 11 Millionen.
Nein, gemimte Nachdenklichkeit, ökonomische Ahnungslosigkeit und endlose Wortgirlanden machen noch lange keinen Intellektuellen. Eigentlich müssten Habecks namhafte (!) Vorgänger als Börne-Preisträger ihre Auszeichnung zurückgeben. Denn ein „Anti-Börne“-Habeck entehrt den Namen Börne. Es ist dies eher die Kategorie „Denunziantentum“, wie sie in gefährlichen Zeiten von mutigen Leuten beschrieben wurde.
Dem Dichter des Deutschlandliedes Hoffmann von Fallersleben (1798 – 1874) etwa wird der Vers zugeschrieben: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ Und 1884 erschienen im Satireblatt „Der Wahre Jakob“ die Verse: „Verpestet ist ein ganzes Land, wo schleicht herum der Denunziant … Der Menschheit Schandfleck wird genannt der niederträchtige Denunziant.“
Das waren mutige Leute, keine gratismutigen.