Früher oder später musste es ja mal kommen: Game of Thrones! Während die meisten begeistert „Tyrion Lennister!“ oder enthusiastisch „Daenerys Targaryen, die Mutter der Drachen!“ ausrufen oder auch „Jon Schneeeeee!“ kreischen, wenn es um die beliebteste Figur aus der „Game of Thrones“-Reihe geht, kann einem hier und da ein richtiger Kracher entgehen, den man erst bei genauerem Hinschauen erkennt.
Zum Beispiel was ein durchtriebener Unsympath wie Petyr Baelish an Dramaturgie und Strippenzieherei entrollen kann. Zahlreiche Zitate aus der Serie oder den Büchern könnten auch in Zierstickerei über dem Kamin hängen. Tun sie vermutlich auch, bei hartgesottenen Fans der Reihe.
Es sind vielmehr auch die Nebenrollen, die einen zunehmend in ihren Bann ziehen und die die Bücher und die Serie in einer Art und Weise an- und bereichern, wie man es wohl selten zuvor erleben konnte.
Eine weitere grandiose und anfangs sehr gern übersehene Figur, ist die des Eunuchen Varys. Lord Varys dient dem kleinen Rat des Königs als Spion, als jemand, der sein Netz so weit gesponnen, seine Informanten („kleine Vögelchen“) überall so geschickt positioniert hat, dass er zu jedem Zeitpunkt immer weiß, was wo und wie genau wann vor sich geht. Er ist ähnlich wie der Kontinuumtransfunktionator („Der Kontinuumtransfunktionator ist ein sehr rätselhaftes und mächtiges Gerät. Seine Rätselhaftigkeit wird nur durch seine Macht übertroffen.“) Seine Beinamen „Die Spinne“ oder „König der Flüsterer“ kommen also nicht von ungefähr. Zugegeben, anfangs wird man durch seine Unterwürfigkeit eher abgestoßen. Wenn man durchhält, wartet da aber eine echte Perle.
In der englischen Sprache gibt es die Redewendung: „It’s growing on you“. Also, dass etwas auf einem wächst? Ah. In einem. Ja. Und so ist es. Die Figur des Varys, die einem anfangs noch unangenehm und hin und wieder eben auch etwas abstoßend erscheint, nötigt einem immer mehr Respekt ab. Nach und nach erschließt sich, was Varys mit seiner gespielten Unterwürfigkeit verdeckt. Immer, wenn man denkt: Jetzt hat man die Figur erfasst, schlägt sie einen weiteren Haken und springt einem wieder aus der Schublade, in die man sie gerade eben noch stecken wollte. Varys entpuppt sich als ein Überlebenskünstler, der sich durch widrigste Umstände seinen Weg hart hat erkämpfen müssen.
In kurzen Worten stellt Varys Tyrion Lennister ein Rätsel über Macht:
„In einem Raum sitzen drei große Männer, ein König, ein Priester und ein reicher Mann mit seinem Gold. Zwischen ihnen steht ein Söldner, ein Mann niederer Abstammung und von bescheidenem Verstande. Jeder der Großen bittet ihn, die anderen beiden umzubringen.
Töte sie, sagt der König, denn ich bin dein rechtmäßiger Herrscher.
Töte sie, sagt der Priester, denn ich befehle es dir im Namen der Götter.
Töte sie, sagt der reiche Mann, und all dieses Gold soll dein sein.
Wer überlebt und wer stirbt?“
Und noch lange, nachdem man die Stelle im Buch passiert, in der Serie gesehen hat, wirkt die Frage nach der passenden Antwort auf dieses Rätsel in einem nach. Tyrions Antwort darauf ist schnell – und seinem Intellekt unangemessen einfach. Aber: Verhalten sich die Dinge, die Machtverhältnisse wirklich so? Ist es wirklich der Söldner, der in dieser Geschichte die Macht hat? Ist es nicht vielmehr der König, das Oberhaupt, das befiehlt? Oder doch der Priester, der den Söldner im Namen der Götter befehligt. Vielleicht aber dann doch der reiche Mann, der die Entscheidungen über Leben und Tod beim Söldner erkauft?
„Wenn die Macht bei den Männern liegt, die Schwerter tragen, warum tun wir dann so, als ob Könige die Macht in ihren Händen halten? Macht ist flüchtig, ein Schatten. Macht liegt dort, wo wir denken, dass sie liegt.“
Auch damit ist das Rätsel noch lange nicht aufgelöst – nur, für den Fall, dass Sie denken, hier würde gespoilert.
Was ist mit Wissen? Wissen bedeutet Macht. Die Macht von Varys liegt in seinem Wissen – über alle Hintergründe, alle Zusammenhänge, alle Geheimnisse, alle Geschichte und alle gegenwärtigen Entwicklungen und Informationen, die er analytisch verknüpft und auswertet und an denen er sein Handeln ausrichtet.
Interessante Gedanken dazu finden Sie auch hier, wo Zusammenhänge zwischen der Figur des Varys und Michel Foucault gezogen werden:
„Für Michel Foucault ist Macht etwas, das nicht bei einzelnen Personen liegt, sondern in den Beziehungen zwischen Personen wirkt. Macht geht dabei nicht von Subjekten aus, sondern richtet sich auf Subjekte, genauer gesagt auf die Konstruktion handelnder Subjekte. (…) Das bedeutet auch, dass das Führen des Schwertes bzw. das Ausführen der Tötungen selbst nicht im eigentlichen Sinne eine Ausübung von Macht ist, sondern nur noch das Resultat vorheriger Machtausübung: Das, was man Macht nennt, hat bereits vor dieser Handlung seine vollständige Wirkung entfaltet.“
Macht ist aber auch immer die Ausschaltung des Wettbewerbs. Neue Ideen zerstören alte Reiche. Darum wird Wettbewerb von den Mächtigen so gefürchtet und an seine Stelle die Macht der Politik gesetzt. Auch die unterliegt in Demokratien dem Wettbewerb. Nichts anderes sind Wahlen. Aber funktioniert der Wettbewerb noch?
„Macht ist ein Trick, ein Schatten an der Wand. Aber auch Schatten können töten.“