Schon wieder X-odus: Linke und Woke verlassen Elon Musks Plattform. Oder vielleicht doch nicht?
Anna Diouf
Auf X müssen auch Linke und Woke mit Gegenwind rechnen. Das gefällt nicht jedem. Dumm nur, dass man das Medium mittlerweile kaum noch außen vor lassen kann, wenn es um Information und Meinungsbildung geht. Also verlässt man die Plattform. Meistens nur zeitweise, denn eine Alternative gibt es nicht.
„Mit diesem letzten Tweet verabschieden wir uns von X.“, so verabschiedet sich die Leipziger Buchmesse. Aber dieser Satz findet sich derzeit mal wieder in unzähligen Variationen auf der Social-Media-Plattform von Elon Musk.
Dass sich Ankündigungen derjenigen, die X, vormals Twitter, verlassen wollen, häufen, ist nichts Neues. Immer wieder rollen Wellen larmoyanter, melodramatischer Abgänge über die Social-Media-Plattform, seit Elon Musk sie gekauft hat. Das muss niemanden anfechten: Viele derer, die X beschuldigen, zu einem Ort des Hasses und der Desinformation verkommen zu sein, sind nach mehr oder minder kurzer Zeit wieder da. Auf den Parallelplattformen kann man sich eben nun einmal nicht so umfassend, schnell und sogar vergleichsweise zuverlässig informieren.
Die jüngsten Nutzerbewegungen sind allerdings deshalb so spannend, weil sie in entgegengesetzte Richtungen verlaufen – und für beide sind Musk und der Wahlsieg Trumps in den USA verantwortlich. Politische Akteure haben bemerkt, dass X als digitale Journalisten-Kantine dient, und zwar über alle Lager hinweg, und dass hier Meinungsbildung geschieht.
Damit verkommt X teilweise tatsächlich zur Desinformationsplattform, als die es von manchen betrachtet wird: Zum Beispiel ist Robert Habeck wieder da und verbreitet irreführende Videos, die so wirken sollen, als seien sie spontan am „Küchentisch bei Freunden“ entstanden – komischerweise halt perfekt ausgeleuchtet.
Ja, es gibt da noch Berührungsängste, der Elfenbeinturm kennt sich noch nicht so gut aus mit den Regeln und Gesetzmäßigkeiten der Plattform, was hier authentisch wirkt und was nicht. Aber: Man ist zurück, das gilt auch für die SPD, die X erst Anfang des Jahres verlassen hatte.
In manchen PR-Abteilungen hat man also erkannt, dass Wahlkampf ohne X kein D-Day wäre, sondern eher ein Waterloo.
Gleichzeitig kommen „zivilgesellschaftliche“ Protagonisten gar nicht gut klar mit den Bodengewinnen der antiwoken Liga im Kulturkampf: Damit, dass sich mit Trumps Sieg der Wind dreht, und dass das eben auch an der Meinungsbildung auf X liegt – die hier deutlich weniger zensiert wird als auf anderen Foren.
Durch das Instrument der Community Notes bietet X zugleich ein recht effizientes Mittel gegen Fake News: Hier wird das gemeinschaftliche Wissen zusammengetragen, um Inhalte zu verifizieren oder zu korrigieren. Der Effekt: Sicher muss man auch Informationen auf X gründlich nachrecherchieren. Aber hier ist Desinformation wirklich nur das, was desinformiert, und nicht das, was Politikern oder Lobbys nicht gefällt.
Darunter leiden vorrangig jene, die den Wahrheitsgehalt einer Aussage daran messen, ob sie opportun ist, und ins Weltbild passt. Dass das Privileg, unhinterfragt alles sagen zu dürfen, während alles rechts des Marxismus-Leninismus gecancelt wird, auf X nicht gilt, ja, das ist hart.
Denn das ist ja der eigentliche Grund, warum X wieder einmal in Ungnade fällt: Die Information, die man hier bekommt, ist nicht streng kuratiert, und ganz gewiss nicht an den eigenen Empfindlichkeiten und Glaubenssätzen orientiert. So viel Meinungs- und Informationsfreiheit, damit kann heute nicht mehr jeder umgehen.
Also wandert man lautstark ab: Die Leipziger Buchmesse, die RWTH Aachen, Austrian Airlines, der FC St. Pauli oder der Guardian. Letzterer erklärt in seinem Abschiedstatement übrigens, dass man die Plattform durchaus weiter zur Recherche nutzen wolle: Ohne X geht es dann eben bei aller Überheblichkeit wohl doch nicht.
Dass man in linken und woken Kreisen die Realität kategorisch verleugnet, sobald sie zur eigenen Meinung nicht passt, ist bekannt, und spiegelt sich in Absurditäten wie dem Selbstbestimmungsgesetz oder Auswüchsen der critical race theory. Nun wird diese Realitätsleugnung eben in der digitalen Welt durchexerziert. Wie das Kleinkind, meint, was es nicht sieht, existiere nicht, wird X verschwinden, sobald man selbst seinen Account löscht.
Und so wächst der „Konkurrent“ Bluesky – der mit seinen 20 Millionen Nutzern an Effektivität und Mehrwert von X nicht annähernd herankommt. Wer sein Bubble-Dasein pflegen möchte, ist dort unter Umständen gut aufgehoben. Bloß ist man beim kleinen Nachbarn von X mittlerweile schlicht überfordert mit den zarten Gemütern, die, X entfleucht, feststellen müssen, dass auch woanders nicht nur ihre Meinung moralisch legitim ist und geäußert werden darf: Der Hilferuf, dass angesichts zahlreicher Meldungen von missliebigem Content – 42.000 Meldungen in 24 Stunden – ein Bearbeitungsstau entstanden sei, hat auf X wenig überraschend für Spott gesorgt. X-Flüchtlinge sind offensichtlich zu jeder Form von Austausch, die nicht bloß ein Echo der eigenen Meinung darstellt, unfähig.
Derweil versucht man in der Mainstreamwelt, Bluesky hochzuschreiben: Schon meinen Spiegel und FAZ, nun endlich die wirkliche Alternative zu Elons X gefunden zu haben. Dieses Mal aber ganz wirklich und in echt. Ein entspannteres und freiheitlicheres Weltbild könnte mit der Herausforderung X wohl besser fertig werden als eines, das von der Angst bestimmt wird, die Deutungshoheit zu verlieren.
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