Koalitionsstreit, Kindergrundsicherung, Schuldenbremse, Dienstwagenbesteuerung, „Sondervermögen“ – alles, wirklich alles ist ein großes Thema an diesem Maischberger-Abend. Nur eines nicht: ein sich möglicherweise anbahnender Crash des globalen Finanzsystems. An einem Tag, der die Credit Suisse Bank im Börsenwert um mehr als 20 Prozent nach unten riss, die Deutsche Bank und die Commerzbank um fast neun Prozent – an diesem Tag ist der deutsche Finanzminister bei Maischberger zu Gast. Und das Thema nimmt nicht einmal eine Minute Raum ein. Mehr noch: Es wird beschwichtigt. Ausschließlich. Damit ist klar: Die Journalismus-Persiflage à la Maischberger geht weiter (an dieser Stelle ein Dank an TE-Leser „HansKarl70“,der die gestrige Sendung mit dem Begriff treffend kommentierte).
Auftritt Lindner: „Die Bundesregierung ist mit allen Beteiligten in einem ständigen und intensiven Austausch. Wir haben mit der BaFin eine leistungsfähige Finanzaufsicht, und wir haben die Bundesbank, die ebenfalls eine stabilitätspolitische Tradition hat. Wir können deshalb sehr klar sagen: Das deutsche Kreditwesen – private Banken, Sparkassen, genossenschaftliche Institute – ist stabil. Und dafür sorgen wir auch weiter.“ Das ist alles. Ein paar blutleere Beschwichtigungsformeln aus dem Handbuch „Wenn’s brennt, halte die Leute ruhig“. Ohne Verdacht auf Aktualität. Ganze 49 Sekunden dauert dieser Auftritt, inklusive der Frage: „Wie bedrohlich schätzen Sie dieses Momentum ein?“
Solche Vorfälle sind verdächtig. Denn wenn die Politik auffällig unauffällig ein Thema kleinredet, ist meist Gefahr im (Armani-)Anzug. Das hat die Geschichte gezeigt. Zuletzt 2008, als Angela Merkel kurz vor der großen Finanzkrise sagte, alles sei in Ordnung. Kleine Randnotiz: Schon vor der Maischberger-Sendung hatte Börsen-Expertin Anja Kohl in den Tagesthemen getönt, es sei möglich, dass jetzt sogar mehr Geld nach Deutschland in die Banken fliehen und fließen könnte. Die Frau hat Zuversicht. Scheinbar.
„Es gibt noch kein gemeinsames Verständnis für die finanzpolitischen Realitäten“, hat Lindner zuvor gesagt. Damit meint er jedoch die Arbeit mit den roten und grünen Ampelkoalitionären, die dauernd mehr Geld von ihm fordern. Mit 424 Milliarden Euro seien die Steuereinnahmen zwar auf historischem Rekordniveau, aber dennoch klagt Lindner, „dass uns die Einnahmen fehlen für die bestehenden Aufgaben“. Er hat bemerkt, dass die chronische Subventionitis der grünen und roten Regierungsgenossen langsam nach hinten los geht. Wer alles künstlich verteuert, muss am Ende jedem Bürger helfen. Mit Steuergeld, also wiederum mit dem Geld der Bürger. „Wir haben ein strukturelles Defizit im Haushalt“, sagt Lindner, „wir haben zu viele Leistungen eingeführt.“
Vier Milliarden Euro habe der Bund im Jahr 2021 „gezahlt für die Schulden der Vergangenenheit“. In diesem Jahr werde er – huch, offenbar Lindner höchstpersönlich – 40 Milliarden überweisen müssen. „36 Milliarden mehr“, sagt er. Immerhin, rechnen kann der Mann. Andere wären möglicherweise auf irgendein Ergebnis mit 360 gekommen, man weiß es nicht.
Lindner möchte, „dass wir nicht Subventionen zahlen, sondern dass wir einen steuerlichen Anreiz geben“. Und: „Wir müssen Wirtschaft und Gesellschaft umbauen wegen des Klimaschutzes.“ Vor diesem Hintergrund gibt er auch seinem Kanzler gleich noch einen mit: Er findet, „dass ein mindestens 800 Millionen Euro teurer Neubau neben dem Kanzleramt entbehrlich ist“. Maischberger lacht: „Haben Sie das dem Kanzler auch schon gesagt?“ Lindner ergänzt: In seinem Ministerium habe er „65 Prozent ortsflexibles Arbeiten. Daraus folgt dann auch, dass man die Büroflächen anders nutzen und begrenzen kann. Warum also dann noch ein so teurer Neubau?“
Warum er kein „Sondervermögen“ für Kinder und Bildung einrichte, will Maischberger wissen. Bei der Bundeswehr sei das doch schließlich auch gegangen. Lindners Antwort ist bezeichnend: Ausgaben für Waffen und Munition sind für ihn „Investitionen“. Und Geld für Bildung? „Das sind Schulden.“
Als es um das Thema Dienstwagenbesteuerung geht, drückt er auf die Tränendrüse. Opportunisten-König Markus Söder wäre stolz auf ihn, aber ach, leider falsche Partei. Lindner setzt an: „Der beliebteste Dienstwagen ist der VW Passat. Dass jetzt die VW-Passatfahrer den Haushalt retten sollen, also fleißige Leute in der Mitte der Gesellschaft, das läuft doch nur auf eine Belastung der Mittelschicht hinaus.“ Fehlt noch das Codewort „Respekt“. Merkt er selbst. Deshalb noch schnell hinterher. „Und müssen wir nicht auch mal aus Respekt vor deren Belastungsgrenzen sagen, dass die Politik an anderen Stellen spart und nicht immer nur den Menschen in die Tasche greift?“
Ja, das wäre schön. Aber bis die Politik das begreift, ist Deutschland womöglich deindustrialisiert. Und die Besten sind ausgewandert. Auch die Passatfahrer. „Ich berate den Kanzler immer so, dass wir gemeinsam klar den Kurs halten“, sagt Lindner. Es ist ein Satz, der durchaus Angst machen kann.