Jetzt hatte es die Letzte Generation erwischt. Was sollte man davon halten? Schnell das Heute Journal einschalten, da wird eingeordnet. Marietta Slomka klärte gleich zu Beginn mit bekannt eindringlichem Blick auf, dass zu wenig über die „inhaltlichen Forderungen“ der Letzten Generation gesprochen wurde. „Tempo 100 auf der Autobahn und ein 9-€-Ticket, da gab es wahrlich schon Wilderes in der Republik“, erklärte Slomka den Zusehern mit einem einordnenden Seufzen. Die Forderung nach undemokratischen Gesellschaftsräten sowie die radikale Deindustrialisierung Deutschlands, die selbst laut der tiefroten Ulrike Herrmann zu Verarmung führen würde, ließ Slomka mal einfach außen vor.
Es mag an meiner juristischen Unbildung liegen, dass ich mich frage, ob kriminelle Vereinigungen sich schon jemals mit dem expliziten Ziel, Straftaten um ihrer selbst Willen zu begehen, zusammengeschlossen haben. Ich dachte immer, naiv wie ich bin, das Ziel wäre zum Beispiel Macht, persönliche Bereicherung, oder Ähnliches. Nein, offensichtlich sitzen in kriminellen Vereinigungen tatsächlich Bond-Bösewichte, die einzig von der Absicht, dezidiert Böses zu tun, getrieben werden.
Egal, der Beitrag lief schon weiter. Aimée van Baalen durfte auf der Pressekonferenz über die „Klimahölle“ erzählen. Diese Rhetorik wurde sogleich von der ZDF-Sprecherin übernommen. Mit den „umstrittenen Aktionen“ wollte man auf „die katastrophalen Folgen der Erderwärmung“ aufmerksam machen. Ja, die Letzte Generation sei „provokant und konfrontativ“, aber nicht als radikal zu bezeichnen. Für diese Feststellung musste nicht einmal Verfassungsschutzchef Haldenwang auftreten, das bestätigten auch „Protestforscher“. Plural.
Sensation: Experten bestätigen in ÖRR-Interview Meinung des ÖRR/der Letzten Generation
Offenbar hat Andreas Zick aus Bielefeld gerade keine Zeit – oder muss zuletzt aus Diversitätsgründen öfter mal vor den weiblichen Kolleginnen zurückstecken. Zu Wort kam dann eine Protestforscherin, nämlich Priska Daphi, ihres Zeichens Soziologie-Professorin – Professur für Konfliktsoziologie an der Uni Bielefeld – und stellvertretende Vorsitzende des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung Berlin. Die Protestfachfrau erklärte sichtlich gut gelaunt, dass die Forderungen der Letzten Generation „wirklich nicht sehr radikal“ seien, sondern sich „in einem moderaten Spektrum“ bewegten, wenn man bedenke, dass die zentralen Forderungen „Tempolimits und Bürgerräte“ sind.
Die Tatsache, dass die Razzia auch zwei Mitgliedern galt, die eine Pipeline sprengen wollten, erachtete wohl keiner der Experten und Apologeten für erwähnenswert. Und so sehr die ehemalige Humboldt-Stipendiatin Priska Daphi „Bürgerräte“ auch als moderate Forderung abtat, so konnte sie das nur, da niemand die Frage stellte, was solche Bürgerräte denn beschließen würden, wenn man sie ließe. Die Stellungnahme des A22-Netzwerks, dem internationalen Zusammenschluss der Klimakleber, dem sowohl Just Stop Oil als auch die Letzte Generation angehören, macht deutlich, welche Ziele man verfolgt: „Wir sind hier, um die Regierungen dazu zu zwingen, die Treibhausgas-Emissionen drastisch zu senken, nichts weniger.“ Wollte Frau Daphi, die nebenbei bereits im November 2022 der Letzten Generation Tipps zur besseren öffentlichen Wahrnehmung im Spiegel gab, wirklich behaupten, es wäre mit einem Tempolimit getan?
Zum Abschluss des Berichts gab Slomka noch einige strenge Worte an die Regierung mit, bediente das Narrativ von der Mogelpackung Olaf Scholz, der „als Klimakanzler angetreten war“ und nun das ZDF enttäusche. Ja, Vorwurf, das konnte sie schon immer gut, die Marietta Slomka.
Bei so viel geballter Apologetik durfte sich die ARD aber nicht lumpen lassen und zeigte ihrerseits, was man auf Lager hatte. Die Tagesschau machte um 20:00 Uhr mit den bundesweit durchgeführten Razzien auf und widmete dem Thema satte drei Minuten. Auf ihrer Webseite veröffentlichte sie ein Interview mit einem anderen Protestforscher, Saldivia Gonzatti, mit dem unmissverständlichen Aufmacher: „Eine überzogene Entscheidung“. Durch die Razzia würde, so Gonzatti, die „gesamte Bewegung kriminalisiert“. Was die Tagesschau dem Leser allerdings vorenthält, sind die weiteren Betätigungsfelder des Protestforschers, der unter anderem bei den Grünen Dortmund als Rechnungsprüfer aktiv ist.
Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hingegen führt Gonzatti unter anderem als Co-Autor von Aufsätzen mit klingenden Titeln wie „Der harte Kern der Proteste. Viele der mit den Corona-Maßnahmen Unzufriedenen tolerieren Radikalität und Gewalt“, „Eine Gefahr für die Demokratie. Politische Potenziale des Coronaprotests“ und „Der Verlust der Vielfalt. Die Corona-Proteste in Deutschland werden durch eine radikale Minderheit geprägt“. Da präsentiert sich die Wissenschaft mal wieder von ihrer unabhängigsten Seite.
Damit aber nicht genug. In den Tagesthemen zum Abschluss des Nachrichtentages griff ARD-Moderatorin Aline Abboud nochmal in die Vollen bei ihrem Gespräch mit der Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg. Die Justizsenatorin hielt sich bei der Beurteilung der Letzten Generation als „kriminelle Vereinigung“ sichtlich zurück und verwies auf die jeweiligen „Einzelfälle“, die die Gerichte zu beurteilen haben. Also keine prinzipiell kriminelle Vereinigung. Ein Einfallstor für Abboud, die mit einem Lächeln meinte, es „mag zwar lästig sein“, wenn „Menschen zu spät zu ihren Terminen kommen“, aber die Frage stellte, ob „das denn ein Grund sei, Razzien in 7 Bundesländern durchzuführen“. Vielleicht aber sollte sie diese Frage nicht der Justizsenatorin stellen, sondern jenen Menschen, für die die Verzögerung nicht „lästig“ waren, sondern potenziell „tödlich“, als sie bedingt durch Staubildung nicht rechtzeitig „zu ihren Terminen“ in einem Krankenhaus kamen.
Der Weg zur Radikalisierung ist gepflastert mit guten Vorsätzen
Mit Fortdauer des Gesprächs geht Abboud zunehmend in die apologetische Offensive. Da Haft- und Geldstrafen ausgesprochen würden, übernehme die Letzte Generation ja durchaus Verantwortung. Treibe man die „demokratisch friedliche Bewegung“ mit Razzien „nicht in die Radikalisierung“? Müsse man „die alle einsperren“ oder müsse die Letzte Generation gar „in den Untergrund“? Die verunsicherte Badenberg wollte zu diesem Zeitpunkt einfach nur nach Hause, ob die Letzte Generation in den Untergrund solle, müsse diese für sich selbst entscheiden.
Es scheint beinahe, als möchten die Fürsprecher der Letzten Generation beim ÖRR, dass die Klimaextremisten den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen. Denn auch beim ZDF fand man Zeit für ein Interview mit einem Soziologen, der prognostizierte, man „treibe“ mit solchen Aktionen „friedliche Aktivisten in die Radikalisierung“. Der Soziologe ist übrigens Matthias Quent, Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, das in Trägerschaft der Amadeu Antonio Stiftung geführt wird und sich über Fördermittel aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit (Motto: Denk bunt) freuen darf. Einige der kommenden Vorträge des Instituts behandeln spannende Themen wie „Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende“, oder auch die Fachtagung „Rechte in der Mitte? Demokratiegefährdung durch den radikalisierten Konservatismus“.
Die Einschätzungen zur Zukunft der Klimakleber aus solch berufenem Munde würden normalerweise wohl mindestens 5-stellige Beträge an Bundesmitteln kosten. Die Letzte Generation sollte sich also über diese kostenfreie Beratung von den Experten und sonstigen Fürsprechern des ÖRR zu ihrer Zukunft im Untergrund wahrlich freuen. Ob normale Bürger sich allerdings darüber freuen sollten, dass das politische Vorfeld der Grünen den lieben langen Tag im Fernsehen die Letzte Generation in Schutz nehmen und zur Radikalisierung aufrufen darf, muss bezweifelt werden.