Niemand muss Winfried Kretschmann (Grüne) gut finden oder politisch unterstützen. Aber eins müssen selbst seine größten Kritiker dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten lassen: Langweilig ist er nie. Selbst nicht bei Sandra Maischberger, die ein mitunter skurriles Interview mit Kretschmann führt: So will sie wissen, warum er kein Tempolimit auf Autobahnen einführt? Weil er nicht zuständig ist. Ein paar Mal bohrt die Moderatorin nach, er könne es doch einführen. Das soll wie kritischer Journalismus wirken, ist aber daneben. Kretschmann ist tatsächlich schlicht und einfach nicht für das Tempolimit zuständig. Das ist eine Angelegenheit des Bundes. Maischbergers Fragen sind für die Füße.
Dann lässt Maischberger Kretschmann erzählen, wie er als Kind in klammen Zimmern auf Strohsäcken geschlafen habe. Ob das nicht besser gewesen wäre als heute? „Ähh … Nein.“ Blöd gelaufen. Eigentlich wollte die Moderatorin auf etwas anderes hinaus. Es ist eine Schwäche, die Maischberger häufig zeigt: Manchmal will sie einfach nur, dass ihr Gast eine eingeübte, bekannte Sprachregelung abspult. Dann formuliert sie wirre, umständliche und gestelzte Fragen, die nicht so desinteressiert wirken sollen, wie sie (gemeint) sind.
Lange Zeit hat das grün-linke Milieu die Klima-Extremisten mitgetragen. Woke Medien tun das immer noch. Sandra Maischberger fasst ihren Gast Aimée van Baalen lange nicht so hart an, wie sie könnte. Stellt ihr Fragen, die der Extremistin helfen sollen, in die richtige Richtung zu marschieren. Entsteht bei den Kunstwerken überhaupt ein Schaden, wenn die Letzte Generation sie attackiert? Doch Politiker gehen mittlerweile härter mit der Letzten Generation um – selbst geneigte wie der ehemalige Maoist Kretschmann. Verwaltungschefs spielen mit dem Feuer, wenn sie dauerhaft systematische Gesetzesbrüche unterstützen.
Baalen gibt sich im Auftritt wie eine professionelle Politikerin, verbal gemäßigt; im Inhalt erst dann radikal, wenn man über die Konsequenzen nachdenkt. Maischberger reicht etwa den Einwand Kretschmanns weiter, dass die Gruppe Sympathien verspiele. Darauf kontert Baalen mit der Karl-Lauterbach-Gedächtnisantwort: Es gebe Studien, die belegten, dass illegale Aktionen das Bewusstsein für Klimaschutz erhöhen. Studien? Also eine Meinungsumfrage, die man in den eigenen Reihen gemacht habe. Baalen offenbart sich selber. Maischberger wechselt das Thema.
Wer denn für die Schäden aufkomme, die an den Bildern entstünden? Die jeweiligen Aktivisten selber, antwortet Baalen. Echt? Könnten die das? Haben die genug Geld? Also das sei ein langwieriger Prozess. Aha. Das Wirtschaftsministerium unterstützt die Letzte Generation finanziell. Eine amerikanische Stiftung hat der Gruppe 3,5 Millionen Euro gezahlt. Aber die Täter kommen für die Schäden selbst auf? Wirklich? Überzeugend ist Baalen nicht. Aber auch an diesem spannenden Punkt lässt Maischberger sie davonkommen, obwohl ihre Antwort wenig glaubwürdig war. Journalisten wie Maischberger wollen ihre „letzte Generation“ noch nicht aufgeben.
So darf denn Baalen bei Maischberger ihre wirren Gedanken unwidersprochen vortragen: Sie sieht im Beschmieren von Bildern das Gleiche wie in der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen in den USA. Kinder, die unter dem Schutz der Polizei Pendler nötigen, wähnt sie auf Augenhöhe mit Freiheitskämpfern, die unter Einsatz ihres Lebens in offen rassistischen Staaten wie Alabama oder Tennessee ihre Rechte verteidigt haben. Woke Journalisten haben „Jana aus Kassel“ geschlachtet, als sich die junge Maßnahmengegnerin mit Sophie Scholl verglich. Bei Baalen akzeptiert Maischberger eine ähnliche Anmaßung, himmelt die Extremistin eher an, als sie zu stellen.
Maischberger kann durchaus kritisch sein. Zumindest gegenüber einem CSU-Minister. Sie und ihr Journalisten-Panel sind sich einig, dass der Vergleich mit einer „Klima-RAF“ unangemessen sei. Gut, Maischberger ist sich mit den Journalisten am Tisch immer einig – sonst würden die da nicht sitzen. „Klimakleber“ seien nicht mit Mördern zu vergleichen, die mit Maschinengewehren hantieren.
Nun sind Andreas Baader und Gudrun Ensslin 1968 zum ersten Mal aktiv geworden mit einem Brandanschlag auf Möbel in geschlossenen Kaufhäusern. Von da an dauerte es drei Jahre, bis es in Polizeikontrollen die ersten Toten gab, vier Jahre bis zu den ersten gezielten Morden – neun Jahre bis zur Eskalation im „Deutschen Herbst“. Also sind die Anfangstage der Letzten Generation eben doch mit den Anfangstagen der RAF zu vergleichen? Aber um da sachlich drüber zu reden, müssten Journalisten bereit sein, auf Distanz zur Letzten Generation zu gehen. Und das sind zumindest die grün-linken Journalisten noch nicht.