Tichys Einblick
Der Gefallene

Karl Lauterbach könnte nun den Spott auf sich ziehen

Die Medien haben sich von Karl Lauterbach abgewandt. Der gibt sich trotzig – aber was soll er auch sonst tun?

IMAGO/photothek

„Wir machen weiter“, schreibt Karl Lauterbach. Direkt nach der verlorenen Abstimmung um die allgemeine Impfpflicht ab 60 Jahren. Aber was soll er auch sonst schreiben? „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagen Fußball-Manager in solchen Situationen. Es klingt irgendwie besser als: Keine Ahnung, wir entlassen noch mal den Trainer und steigen dann wahrscheinlich doch ab. Meint aber das Gleiche. Genau so wie Karl Lauterbach. Und Trotz tröstet – man kennt es aus seiner Kindheit.

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Es ist sein Medium. Twitter. Hier widerspricht niemand Karl Lauterbach. In anderen Medien ist das mittlerweile anders: Karl Lauterbach ziehe gerade an ihr vorbei, wolle aber nicht mit ihr sprechen, sagt Sarah Frühauf in ihrer Reportage für die Tagesschau. Sonst lasse er ja auch keine Kamera aus, setzt die Reporterin eine Lästerei an – fängt sich dann aber selbst ab und beendet den Satz mit, um seine Positionen darzustellen. Es ist, als ob ein Bann gebrochen wäre. Aber auch so, als ob sich diejenigen ihrer neuen Freiheit noch nicht so sicher seien, die bisher unter diesem Bann gestanden haben.

Doch dass der Bann bröckelt, ist für die gut erkennbar, die in letzter Zeit hingeschaut haben. So wird Lauterbach im ZDF angepampt, ob der Widersprüchlichkeit seiner Politik. Der Tagesspiegel – in der SPD-Treue direkt hinter dem Vorwärts folgend – nennt Lauterbach mittlerweile den „Verwirrungsminister“. Vor der Abstimmung. Danach feiert der Tagesspiegel die Niederlage Lauterbachs als „Sieg für die demokratische Debatte“. Selbst die Tagesschau räumt ein, dass die Abstimmungsniederlage eine Schlappe für den Minister sei – und für den Kanzler, der ihn berufen hat. Auch wenn das ARD-Nachrichtenschiff versucht, ebenfalls eine Schlappe der Opposition aus dem Tag zu machen.

Der Tag, an dem Lauterbachs Medienmacht bröckelte, ist nicht schwer auszumachen. Und doch genau der Tag bedeutet eine spannende Erkenntnis über den Kampagnenjournalismus allgemein – und über den Haltungsjournalismus im Besonderen: Die Kampagnenfähigkeit funktioniert nur bei der Konzentration auf ein Thema. Nur wenn dieses Thema zentraler Bestand aller Formate ist – von der Geschichte im Morgenmagazin, über den Beitrag im Boulevardformat, der Sidekick im Sportteil bis zum Debattenthema im allabendlichen Talkshow-Götzendienst. Zwei Jahre konnten Zuschauer dem Corona-Thema nicht ausweichen, über zwei Jahre wurden sie empfänglich für Prediger wie Karl Lauterbach. Gerade beim Thema Impfpflicht wurden alle Bedenken skandalisiert. Wie weit das ging und wie breit es getragen wurde, dokumentiert auf Twitter der Hashtag „#Ichhabemitgemacht“.

Dann beginnt buchstäblich über Nacht der Ukraine-Krieg. Und das eine Thema ist sofort ausgetauscht. Corona kommt nicht mehr vor. Wenn doch, dann unter ferner liefen. An Stellen und in einer luftigen Dichte, in der keine Kampagnenfähigkeit mehr möglich ist. Lauterbach merkt, wie er den Zugriff verliert. Er tut viel, damit sein Thema wieder Thema Nummer eins ist. Wie ein Yorkshire, der nicht erträgt, dass sein Frauchen gerade mal nicht nach ihm schaut. Er geht sogar so weit, sich von seinem Ministerium ein eigenes Talk-Format entwickeln zu lassen: „Karltext.“ Kein Witz.

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Ohne den Zugriff auf die Zuschauer geht die Kampagnenfähigkeit in Sachen Corona verloren. Trotz mehr als 200.000 Neuinfektionen am Tag lassen sich die Maßnahmen nicht mehr verkaufen. Allen voran die Impfpflicht. Einige Medien versuchen es – so wie die Aktuelle Stunde des WDR. Zehn Minuten geben sie Lauterbach, texten derart in seinem Sinn, dass es sein Pressesprecher nicht besser hinbekommen hätte. Doch beginnen müssen sie die Sendung mit der Angst vor dem Krieg. Mit der Angst, das tägliche Leben nicht mehr bezahlen zu können. Der Mensch hat ein begrenztes Erregungspotenzial. Wer Angst davor hat, im Atomkrieg zu verhungern, für den bedeutet es keinen gesteigerten Schrecken mehr, wenn er dabei auch noch eine schwere Grippe hat.

In den letzten Tagen vor der Abstimmung merken es die Medien, schieben Corona wieder an seinen alten Platz. Die ARD macht die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau zum ersten Mal seit Wochen wieder mit Corona auf. Sie legt einen Brennpunkt nach, lässt den auch in allen Dritten ausspielen und Sandra Maischberger lädt einen Journalisten aus, der eigens aus Kiew angereist ist, um über den Krieg zu erzählen, um Platz frei zu schaufeln: für Corona. 15 Minuten. Am Ende der Show. Nach Mitternacht. Für eine Kampagne muss ein Thema ununterbrochen präsent sein. Schnell mal eine Viertelstunde ist zu wenig.

Für die Talkshows war Corona nur noch ein Zwischenspiel. Der Impfpflicht wegen. Am Tag von Lauterbachs parlamentarischer Niederlage bereiten sie ihm eine mediale. Sie zerreißen ihn nicht. Schlimmer. Sie ignorieren ihn. Viel schlimmer ist das im politischen Showgeschäft. Seine Wunden lecken muss Lauterbach alleine. Ist er masochistisch genug veranlagt, schaltet er Illner ein, wo Christian Lindner statt seiner sitzen und über den Ukraine-Krieg reden wird. Medien wie der Spiegel, die Lauterbach in der Impfpflicht-Kampagne unterstützt haben, hängen das Thema jetzt niedriger. „Welche Menschen an Omikron sterben“, heißt der Aufmacher auf Spiegel-Online. Die Abstimmung und Lauterbachs Kampfansage sind nur Aufsetzer. Nachrangig. Der Krieg wird sie bald verdrängen. Oder dazu gehörend die Sorge vor steigenden Lebensmittelpreisen.

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Lauterbach ist in einem gefährlichen Stadium. Er ist angeschlagen. War er vorher unangreifbar, konnte jeder Angriff auf ihn zur Verhöhnung von Corona-Infizierten umgedeutet werden, so ist er jetzt als Opfer freigegeben. In einer Medienlandschaft, die weiß, dass sie nur Wirkungsmacht hat, wenn sie in eine Richtung marschiert, ist das ein gefährlicher Zustand. Über so vieles darf man keine Witze mehr machen. Ruft Ricarda Lang etwa zum Verzicht auf, wäre jede Pointe dazu mindestens sexistisch und Body-Shaming – und wahrscheinlich transfeindlich gleich mit. Da tut ein frei gegebenes Opfer wie Lauterbach umso besser: Zumal sich jeder wie ein nobler Jäger fühlen kann, der in ihm einem Mächtigen nachstellt – auch wenn er in Wirklichkeit nur wie ein Hund in der Meute hetzt.

„Fast jeden Tag gibt es neue Studien zu langfristigen Schäden der Coronainfektion, wird uns noch Jahre begleiten. Wir müssen mehr über diese Langzeitschäden aufklären“, macht sich Lauterbach auf Twitter Mut. Sich und den Treuen, die ihm bleiben. Über den Sommer muss er Spott ertragen. Und schlimmer noch: Medienabstinenz. Für den Zuschauer der Kampagnenmedien bleibt ein Tag der Entspannung. Aber genau so die Gewissheit, dass die Sau schon geboren ist, die als nächstes durchs Dorf getrieben wird.

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