Tichys Einblick
Nach dem AfD-Erfolg in Thüringen und Sachsen

Chrupalla bei Lanz: In den Fängen der Phrasendrescher

Hereinspaziert zum Kreuzverhör. Tino Chrupalla, Co-Vorsitzender der Alternative für Deutschland (AfD), ist zu Gast bei Markus Lanz. Als Hauptgast sogar. Das heißt, er darf direkt neben dem Schwarzen Ritter der Schwafelrunde sitzen. Aber das muss nichts bedeuten, wie sich bald zeigt. Von Michael Plog

Screenprint: ZDF / Markus Lanz

Chrupalla ist zwar der Hauptgast, aber reden darf er erstmal nicht. Zunächst kommt Martin Machowecz von der Wochenzeitung „Zeit“ dran. Das Blatt hat vor Jahren den feinen Brokatmantel des tiefgründigen Journalismus gegen woken Wahn in langen Lettern getauscht, und folgerichtig tritt auch der Vize-Chef überbetont lässig in den Ring. Er trägt weiße Turnschuhe zum feinen Zwirn. Ex-Zeit-Herausgeber Helmut Schmidt würde sich wohl im Grabe umdrehen. Machowecz sagt, man dürfe keinesfalls vergessen, dass sich die guten Ergebnisse der AfD „aus handfesten Problemen speisen“. Aha, soso. Hauptgrund sei die Migrationskrise, dann der Ukraine-Krieg. Doch in der Regierung sieht er die AfD keinesfalls, denn „die CDU wäre völlig wahnsinnig, wenn sie eine Koalition mit der AfD in Erwägung ziehen würde“.

Auch Fabio De Masi kommt ausführlich zu Wort. Der Ex-Linke und Europaabgeordnete vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat sich als Obmann des Wirecard-Untersuchungsausschusses bei der Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals rund um Bundeskanzler Olaf Scholz verdient gemacht. „Jeder kann mit den Händen greifen, wie groß die Unzufriedenheit im Land ist“, sagt De Masi. Man dürfe die Wahlergebnisse daher auch nicht nur auf den Osten beziehen. In ganz Deutschland sei es angesichts der großen Zahl von Migranten und der explodierenden Kriminalstatistik vor allem „das Sicherheitsempfinden, das gelitten hat“.

Darf Chrupalla jetzt endlich? Nein, bitte warten.

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Denn da ist ja noch Ines Geipel, ehemalige Spitzensportlerin aus Dresden. Ihre Rolle in dieser Talk-„Show“ wird schnell klar. Die Schriftstellerin gibt den alten weißen Mann, und das macht sie ganz hervorragend. Den Phrasomat hat sie bereits durchgespielt. Die AfD habe alles richtig gemacht, sagt Geipel. „Immer schön auf den Frustpoker setzen, und dann gibt’s gute Zahlen.“ Besonders interessant ist, dass ausgerechnet Geipel das Hohelied auf das Miteinander anstimmt. Man müsse „raus aus dem verharschten Spaltungs-Modus hin zu einer kreativen Kooperation“.

Allerdings ist genau sie es, die ausschließlich alte Vorurteile herunterleiert, Chrupalla ständig unterbricht und keinerlei Gemeinsamkeiten sucht, sondern das Kontra zum Prinzip erklärt. Sie wirkt streckenweise ziemlich harsch und spaltend. Eine steile These hat sie auch: Die AfD habe „eigentlich die Wahl verloren“, weil sie ihr selbst gestecktes Ziel von 40 Prozent nicht geschafft habe. Und überhaupt: „Ich glaube, dass die AfD gar nicht wirklich regieren will.“

Will sie regieren? Dazu wäre jetzt die Meinung des Hauptgastes ganz interessant. Aber der kommt erst zu Wort, als sich die Runde längst in Details verloren hat. Geschlagene 17 Minuten und 3 Sekunden dauert es, bis Tino Chrupalla endlich dran ist.

Und wie er dran ist. Zunächst geht es um Energiepreise, wobei Lanz seine bekannte Penetranz-Power auf ein neues Level hebt. Minutenlang fragt er bei allen Beteiligten die Entwicklung und den derzeitigen Stand der Energiepreise ab. Was kostet der Strom, was kostet das Gas? Wissens Sie’s, wissen Sie’s? Ich stelle nur Fragen. Bevor sich Chrupalla endlich mal zum großen Ganzen äußern kann, das Ergebnis der Wahlen und mögliche Konsequenzen, da ist dem Zuschauer der Kühlschrank schon wieder näher als die Glotze. Es geht schwer auf Mitternacht zu.

Irgendwann, auf eigene Initiative und ohne konkrete Frage des Moderators, setzt Chrupalla zur Wahlanalyse an. „Der Osten ist im Prinzip das Thermometer der Bundesrepublik Deutschland“, sagt er. Was hier kommt, wird im Westen auch kommen.“ Doch mit Verzögerung, denn im Westen sei „das Fett noch etwas dicker“. Viele Menschen hätten sich, wie er selbst mit seinem Handwerksbetrieb, etwas aufgebaut, und das sähen sie nun „in Gefahr durch die aktuelle Politik“. Einwurf Geipel: „Durch Ihr Gehetze!“ Chrupalla ist empört: „Wo hetze ich jetzt? Warum sind Sie so böse?“ Aber die Frau, die beim Reden selten jemandem in die Augen schaut, hat ihre Bingokarte schon fertig.

Lanz will Chrupalla stellen. Er zitiert minutenlang lauter Arbeitspapiere der AfD, die – blödes Detail – leider alle nie verabschiedet wurden. Er will wissen, warum Chrupalla einst zum russischen Außenminister gereist ist. „Sie waren bei Lawrow, wann? Was wollten Sie da? Wer hat das bezahlt?“ Chrupalla ist sichtlich erstaunt. „Ist es jetzt verboten, miteinander zu reden?“ Lanz gewinnt kein Land.

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Nicht im Ring, aber trotzdem großes Thema ist Björn Höcke, der AfD-Spitzenkandidat aus Thüringen. Minutenlang geht es um sein Sagen und Tun, gefühlte Ewigkeiten lang muss sich Chrupalla rechtfertigen und distanzieren. Mehrfach distanzieren, immer wieder. Dasselbe beim Enfant Terrible der AfD, Maximilian Krah. Gleiches Schema. Was sagen Sie zu dieser Aussage, was zu jener, Herr Chrupalla? Und warum war Höcke eigentlich am Montag nicht in Berlin bei Ihrer Pressekonferenz. „Der hat vielleicht in der Staatskanzlei schon die Tapeten und die Teppiche ausgesucht“, antwortet Chrupalla lachend. Doch irgendwann wird es ihm zu bunt: „Fragen Sie das doch mal den Herrn Höcke! Laden Sie Herrn Höcke doch mal ein! Machen Sie das doch mal!“ Lanz stockt, wirkt überrumpelt. Er antwortet überraschend ehrlich, und als er es selbst bemerkt, bricht er seinen Satz sofort ab: „Genau das sollte man nicht ma…“

Was folgt, ist ein Kaleidoskop der Kleinkariertheit, bei dem sich der Mann mit zu viel Zeit und zu weißen Schuhen die Bälle mit der Ex-Sportlerin zuspielt. Machowecz bezeichnet Höcke „als Gefahr für die Demokratie“. Check. Geipel zickt: Die AfD sei „gesichert rechtsextrem. Das ist doch bestätigt.“ Check. Und Machowecz ergänzt: „Mit dieser Partei kann ein CDU-Politiker nicht koalieren.“ Bingo!

Die Sendung liefert ein irres Zerrbild dessen, wie sehr sich die angebliche Auseinandersetzung mit der AfD in den vergangenen Jahren totgelaufen hat. Inhalte spielen keine Rolle, nur Parolen. Schon in der parallel laufenden ARD-Talkshow hatten sie ihre liebe Mühe. Moderatorin Sandra Maischberger sagte allen Ernstes: „Kann man die aus der Regierung heraushalten? Darum geht es ja.“ Und Nachrichten-Mann Ulrich Wickert verstieg sich gar zu der Aussage: „Die AfD ist keine Volkspartei. Sie hat nur die meisten Stimmen.“

Chrupalla bleibt irgendwann nur der Fatalismus. Ein Block aller Parteien gegen die AfD? Ja, bitteschön. „Wenn Sie meinen, dass das alles richtig war, dann machen Sie ruhig genau so weiter.“ Dazu liefert Machowecz – ganz sicher unbeabsichtigt – einen recht schlauen Satz: „Keine Ahnung, wie das funktionieren soll.“

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