Es gibt Journalismus, der unendlich langweilig ist. Etwa nach einem Wintereinbruch. Dann beliefern die Agenturen die Zeitungen mit dem immer gleichen Text; drucken die Zeitungen diesen immer gleichen Text fleißig ab: „In der Region X kam es am X zu einem Winterbruch. Von X bis X fielen X Zentimeter Schnee …“ Das spannende sind die X-Stellen. Die Zahlen dahinter liefert heute aber jede Wetter-App viel übersichtlicher. Wer auf die Journalisten-Prosa rund um die Zahlen trotzdem nicht verzichten will, dem kann die Künstliche Intelligenz (KI) diesen Text längst locker formulieren.
Viele stellen sich die Frage, ob es dann künftig noch Journalisten braucht? Die aktuelle Entlassungswelle in der Süddeutschen Zeitung scheint diese Frage mit Nein zu beantworten. An diesem Nein ist auch was dran. Bestimmte Formen des Journalismus und die dahinter stehenden Arbeitnehmer braucht es künftig tatsächlich nicht mehr.
Das ist allerdings nichts Neues. In der Geschichte des Journalismus haben sich immer wieder Tätigkeiten überlebt, sind die entsprechenden Stellen weggefallen. Der Autor dieser Zeilen hat sich noch vor 25 Jahren 15 Mark die Stunde bei der Rhein-Zeitung dazu verdient, indem er Texte abtippte, die Kollegen mit der Schreibmaschine oder sogar von Hand verfasst haben. Heute liefert kein Autor mehr solche Texte ab, falls doch gäbe es Scan-Programme, die diese Texte ins jeweilige Redaktions-System übertragen könnten.
Doch nicht nur auf dieser unteren Ebene des Journalismus haben sich Stellen überlebt. Vor fast 40 Jahren hat die ARD dem Klatschreporter Michael Graeter ein filmisches Denkmal gesetzt. Die sechsteilige Serie „Kir Royal“ zeigt, wie sich „Baby Schimmerlos“ Urin-Proben von schwangeren Schauspielerinnen erschleicht, wie er in Krankenhäuser einbricht, um sterbende Komponisten ablichten zu lassen oder wie er im Gebüsch lauert, um Milliardäre bei deren sonderbaren Sexspielchen zu beobachten. In der Serie spielt Corinna Drews in einer Nebenrolle eine namenlose Blondine, die versucht, sich in die Schickeria einzuschleichen, über die Graeter alias Schimmerlos berichtet.
Heute hätte Corinna Drews die Hauptrolle. Sie würde sich auf die Partys der Schickeria schleichen, dort Bilder oder Filmchen von sich aufnehmen und damit zur Influencerin auf Tiktok, YouTube oder Instagram werden. Anfangs würden die Türsteher ihr vielleicht noch den Zutritt verweigern. Hat sie aber erst mal mehr als 10.000 Follower, öffnen sich ihr die Türen – ab 100.000 Followern würden die Restaurants sich um sie prügeln, damit sie von deren Partys live berichtet. Würde indes der Klatschreporter der Lokalzeitung über die Restaurants berichten wollen, müsste er tagsüber kommen und das Lokal durch den Dienstboteneingang betreten.
Journalismus stirbt nicht. Er verändert sich. Mitunter so stark, dass man ihn erst mal gar nicht als Journalismus erkennt: Der Klatschreporter in der Lokalzeitung hat sich überlebt. Gibt es ihn überhaupt noch, dann wird die Stelle nicht von Stars wie Graeter besetzt, sondern von niederklassigem Personal. Doch die Nachfrage nach Klatschjournalismus ist immer noch da. Sie hat sich nur geändert. Bilder von Influencern und die Eins-zu-Eins-Kommunikation auf Twitter oder anderen Netzwerken liefern das entsprechende Angebot. Niemand muss mehr Gala oder Co lesen, um Geschichten von Schauspielern zu erfahren. Sie liefern diese ihren Fans direkt.
Das ist auch die vollständige Antwort auf die Frage, ob es trotz KI künftig noch Journalisten braucht: Ja, schon. Sie müssen sich nur ändern. Denn bestimmte Aufgaben fallen weg: Wer Standardtexte zu Unfällen, Parlamentsdebatten oder eben Wintereinbrüchen schreibt, den könnte heute schon eine KI ersetzen. In spätestens zehn Jahren wird es Standard sein, dass diese Aufgabe von KI-Programmen ausgeübt wird. Wer an einem „Desk“ sitzt, um Agentur-Meldungen in Zeitungslayout fließen zu lassen, den wird es in absehbarer Zeit ebenfalls nicht mehr brauchen. Genau so wenig wie den Journalisten, der Texte anderer Medien abkupfert.
Im investigativen Journalismus und in der Kommentierung wird die KI die Spreu vom Weizen trennen. Den Begriff „Mainstream-Journalismus“ mögen manche als rechten Kampfbegriff abtun. In der Tat nutzen ihn Rechte auch als solchen. Aber der Begriff funktioniert deshalb so gut, weil er die Realität treffend beschreibt. Der Mainstream-Journalismus ist die kleine Schwester des Haltungs-Journalismus: Die Haltungs-Journalisten können nur deshalb so strahlen, weil es Kollegen gibt, die bewundernd zu ihnen hinaufschauen.
Macher des Privatradios vertrauen einem unter vier Augen an, dass sie immer nur in die Richtung kommentieren, in die alle gehen. Dabei kommt es nicht auf die Inhalte an. Dreht sich die Richtung des Mainstreams, drehen sich diese Privatradios mit. In der Frankfurter Rundschau kam es vor 20 Jahren dazu, dass intern Themenvorschläge abgelehnt wurden, weil sich die Verantwortlichen nicht sicher waren, ob diese Themen gut sind. Brachten dann andere Medien, vor allem die FAZ, die exakt gleichen, abgelehnten Themen, übernahm sie die Frankfurter Rundschau: Journalisten, die Themen nur als solche anerkennen, wenn genug andere Medien das bereits getan haben? Über sie werden KI und Geschichte gnadenlos hinwegfegen. Und ihr Untergang ist auch nicht mehr als ein Achselzucken und ein „Ja, und?“ wert.
Das Gleiche gilt für die Art zu schreiben. Wer immer nur die Linie der Regierung vertritt, wird überflüssig. Sperrige grüne Erklärungen in lesbare grüne Texte umzuschreiben – gerne noch mit locker flockigem szenischen Einstieg – das erledigt jede KI als Frühsport. Also bye bye, liebe Kollegen der Süddeutschen Zeitung. Vielleicht will niemand mehr eure Texte lesen. Erst recht will niemand mehr für eure Texte zahlen. Aber ihr habt immer noch eure Haltung. Und ist es nicht das, worauf es euch im Journalismus ankommt?
Journalismus ändert sich. Niemand kann sich sicher sein, dass es sein Tätigkeitsfeld in 20, zehn oder auch nur fünf Jahren noch gibt. 2009 war unter Print-Journalisten als Trost der Satz stark verbreitet: „Man wird den Computer niemals mit auf die Toilette nehmen können.“ Schon 2014 lachten Smartphone-Nutzer über diesen Satz.
Trotzdem ist der Journalismus heute noch einer der beliebtesten Berufe, drängen mehr junge Leute hinein, als es für die Tariftreue gut ist. Ob sie alle ihr Einkommen finden, ist mehr als unklar. Das war es aber schon immer. Zeilensklaven, die sich für neun Pfennige pro Zeile und zwölf Mark pro Bild abgekämpft haben, gab es schon früher. Ebenswo wie eine Elite, die mit dem Beruf wohlhabend wird.
Entscheidend ist die permanente Änderung. Junge Journalisten tun gut daran, sich so viele Skills anzueignen wie möglich. Also so viele Fähigkeiten wie möglich. Ändert sich dann die Anforderung an Journalisten, etwa indem aus dem Reporter der Influencer werden muss, dann haben die besten Chancen, sich an die neuen Anforderungen anzupassen, diejenigen, die am meisten draufhaben. Klingt banal, ist aber nicht jedem Berufsanfänger bewusst. In klassischen Medien – selbst und gerade bei Zeitungen – gibt es verblüffend viele ältere Kollegen, aber auch Anfänger, die glauben, dass sie eine Art Geburtsrecht haben, mit dem alten Stiefel bis zu ihrem Renteneintritt weiterzumachen. Über sie wird die Geschichte ebenfalls hinweggehen und sie werden es nicht einmal verstehen.