Tichys Einblick
SERIE: KRISE DER ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN

Die Entscheider verhindern bei ARD und ZDF mögliches gutes Programm

Der Skandal um die gescheiterte ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger hat den Blick auf die Krise der Öffentlich-Rechtlichen freigelegt. Diese besteht aus vielen ineinandergreifenden Elementen. Eines davon ist das Programm.

IMAGO/Panthermedia

SWR1 macht Radio. Einmal im Jahr. Dann ruft die Welle die Hörer auf, ihre Charts zu wählen. Später laufen 1.000 Titel in Folge, von denen die meisten im Programm sonst nicht denkbar sind: Der 17 Minuten dauernde Jazzrock-Klassiker kommt nach dem Bierzelt-Schlager und davor singt George Michael, dass er diese Weihnachten sein Herz an jemanden Besonderen verschenken will. Auch die Moderationen fallen aus dem Rahmen. Sie sind frei, frech und ufern mitunter aus. Alles zusammen ist sehr unterhaltsam – einmal im Jahr.

TE-Serie: Krise der Öffentlich-Rechtlichen
Rücktritt von Intendantin Schlesinger zeigt: Die ARD ist eine feudale Anstalt
Den Rest des Jahres macht SWR1 Formatradio. Alles ist darauf ausgelegt, dass die Hörer nicht wegschalten: kein Wortbeitrag, der länger als zweieinhalb Minuten dauert. Kein Song, der jemanden irritieren könnte. Denn dann könnten vielleicht Hörer den Kanal wechseln. Radio, dessen oberstes Ziel es ist, nicht zu stören. Dudelfunk. Für einen privaten Sender wäre das nachvollziehbar, er muss Werbespots verkaufen, um die Mieten seiner Mitarbeiter zu zahlen. Doch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt der Gebührenzahler dafür auf. Für 73 Wellen zieht der Staat die Gebühren zwangsweise ein. Als Alibi gibt es darunter eigene Wort- und Kulturwellen, auf denen dann schon Zwölftonmusik als Anbiederung an den Publikums-Geschmack gilt. Doch für ein gescheites Programm zwischen Dudelfunk und Experimentalmusik bietet der öffentlich-rechtliche Funk auf 73 Wellen nur wenig Platz.

Einen der wichtigsten Sätze über ARD und ZDF hat der Publizist Roger Willemsen gesagt: Es sei nicht das Problem, was die Sender mit den Rundfunkgebühren machen. Das Problem sei, was die Öffentlich-Rechtlichen mit dem Geld nicht machen. Trotz 8,5 Milliarden Euro staatlich erzwungener Einnahmen, trotz zusätzlichem Geld aus Lizenzen und Werbeerlösen, klaffen Lücken im System. Geht es um den Film, sieht es ähnlich aus wie beim Radio: Zwischen Angeboten für Anspruchslose und Freak-Show geht nur in Ausnahmefällen was. Wer indes gerne Filme sieht, in denen jemand seine sexuelle Identität in schwarz-weißen Bildern sucht, der wird reichlich bedient.

SERIE: KRISE DER ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN
ARD und ZDF behandeln ihre Zuschauer wie Schüler oder gar Untertanen
Ein Format mit guter Balance zwischen Pilcher-Mist und Autorenfilm war über Jahrzehnte der Tatort. Doch dann fiel die Reihe dem politischen Missionierungswahn der ARD zum Opfer. So kam der Senderverbund 2015 auf die Idee, es sei wichtig, sich gegen Nazis zu positionieren – und das war aus der Sicht der ARD jeder, der nicht mit der Einwanderungspolitik Angela Merkels konform ging. Es traf dann zentralistisches Steuern auf föderale Strukturen und so lief dann „mal ein Tatort über Nazis“. Und das Woche für Woche – über Monate. Doch selbst als diese Welle vorbei war, waren die Folgen der Missionierungswut nicht überwunden. Im Sinne des woken Zeitgeistes mussten die Figuren nun einem festen Schema entsprechen, wie es der ehemalige Tatort-Kommissar Tom Bohn in einem Interview schilderte. Ein sechszehnjähriger Senegalese ist als mit einem Messer bewaffneter Angreifer undenkbar – im Tatort. Die verschiedenen gesellschaftlichen Bilder sind in der Reihe mittlerweile so fest determiniert, dass Woche für Woche unterm Strich derselbe Krimi zu sehen ist. Und so sicher, wie der Manager der Mörder ist, ist das Opfer die Kreativität – lediglich die Krimis aus Münster bilden mit ihrem Humor eine angenehme Ausnahme.

Die ARD kann Geld ausgeben, als ob es kein Morgen mehr gäbe. Dafür braucht es nicht erst den Massagesessel auf der Chefinnenetage des RBB oder die zwei Dienstwagen für eine BR-Führungskraft. So berichtete das Morgenmagazin über die Fußballweltmeisterschaft 2014 aus dem Badeort Brasilien an der deutschen Ostseeküste. Zig tausende Euro zusätzliche Kosten nur für einen Gag auf dem Niveau eines Siebenjährigen: Kennste den? Wir berichten über die WM in Brasilien aus Brasilien, der Stadt. Verstehste? Die Stadt heißt wie das Land, kennste den? Der zusätzliche „Gewinn“ für den Zuschauer bestand darin, dass er sich die quälend langen und unlustigen Anmoderationen anhören musste an der Stelle, an der er einfach nur die Bilder von den Spielen sehen wollte. Doch um den Zuschauer ging es bei der Aktion nicht – wohl eher um den bezahlten Ostsee-Urlaub der Redaktion.

Serie: Krise der Öffentlich-Rechtlichen
Finanzen spalten die Mitarbeiterschaft bei ARD und ZDF
Doch geschenkt. Ist acht Jahre her. Und Willemsen gilt: Das Problem ist nicht, was die ARD mit dem Geld macht, das Problem ist, was sie nicht macht. Zum Beispiel in den Dritten Programmen. Wie etwa dem RBB. Oder im Saarländischen Rundfunk. Dessen Verantwortliche haben erst vor gut einem Jahr die nahe liegende Fusion mit dem SWR abgelehnt. 245.000 Euro verdient alleine der SR-Intendant laut Statistischem Bundesamt. In der Führungsebene dürfte noch der ein oder andere Cent versteckt sein, der sich sparen ließe. Vermutlich ging es bei dem Nein zur Fusion eher um diese Gehälter als um das Programm. Das müsste unter einer Fusion nicht leiden. Eher im Gegenteil. Der SR teilt sich bereits den Großteil des Programms mit dem SWR. Die lokalen Schienen, die dem Sender zur Verfügung stehen, kann er schon jetzt nicht alle bedienen. Stattdessen füllt er sie mit Material des Nachbarsenders. So bezahlen Saarländer denn für lokale Angebote, erhalten aber Berichte aus dem Schwarzwald oder Schlagerkonzerte aus der Pfalz – und finanzieren dem SR-Intendanten so ein schönes Leben.

Obwohl sie finanziell gut ausgestattet sind, überlassen die verschiedenen Redaktionen der ARD die investigative Recherche gerne den Kollegen von der Lokalzeitung. So kam es an einem Montag im August 2002 zu einer denkwürdigen und beispielhaften Redaktionskonferenz des lokalen SWR-Nachrichtenformats „Radio Mainz“. Am Wochenende zuvor fand das städtische Pressefest statt. Dort hatte ein Pressesprecher der Stadt die scherzhafte Frage gestellt, ob die Redaktion am Montag wieder die AZ (Allgemeine Zeitung) vertonen wolle. Darüber echauffierten sich nun die Journalisten. Wie könne er sich erdreisten, so ihre Integrität zu beleidigen. Der Tumult verstummte, als der Lokalchef die Konferenz eröffnete. Er verteilte drei DIN-A4-Seiten. Darauf hatte er ausgeschnittene Artikel aus der AZ geklebt. Die zu vertonen, war die Tagesaufgabe der Reporter. Sie taten wie geheißen. Eigene Vorschläge kamen von ihnen nicht. Zugegeben: Die Anekdote ist schon älter. Doch grundsätzlich hat sich nicht viel geändert – während die Rhein-Zeitung sowohl die Versäumnisse während der Flutkatastrophe an der Ahr gut aufarbeitete wie auch das Staatsversagen beim Wiederaufbau, konzentrierte sich der SWR darauf, Landeschefin Malu Dreyer (SPD) gut ins Bild zu setzen. In guter Zusammenarbeit mit der Regierungssprecherin – einer ehemaligen SWR-Mitarbeiterin.

SERIE: KRISE DER ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN
Die Aufsichtsgremien von ARD und ZDF sollten direkt gewählt werden
In der überregionalen Berichterstattung sieht es nicht besser aus. Zwar verfügen ARD und ZDF über eines der besten Korrespondentennetze der Welt. Doch was hat der Zuschauer davon? Das Programm von Phoenix, der Dritten oder den Spartensendern ist proppenvoll gefüllt mit Dokumentationen aus fernen Ländern. Aber die finden meist nur wenige Zuschauer, weil sie oft bis an die Grenze des Erträglichen fade inszeniert sind. Die Redaktionen haben an ihrem Trip in der Regel mehr Spaß als die Zuschauer. Geht es aber um Erkenntnisgewinn, sind die Öffentlich-Rechtlichen erstaunlich schwach aufgestellt: Vom Ukraine-Krieg ist der durchschnittliche Zuschauer von ARD und ZDF im Februar brutal überascht worden – obwohl der Konflikt seit mindestens 14 Jahren schwelt. Den Brexit haben die Öffentlich-Rechtlichen ebenso wenig kommen sehen wie die Wahl Donald Trumps im Jahr 2016.

Noch die Wahlnacht begann in der ARD damit, dass die Gäste im Studio auf den anstehenden Sieg Hillary Clintons mit Sekt anstießen. Ein möglicher Sieg Trumps kam ihnen nicht in den Sinn. Die Einspieler der Nacht ließen erahnen, warum das so war: Die meisten handelten von Clinton und ihren Perspektiven. Trumps Anhänger wurden nur als verbohrte Fanatiker gezeigt, ein bisschen Nazi, ein bisschen Christen – mehr Vorurteil als Wissen. Produziert von Korrespondenten, für die USA gleich Washington ist – vielleicht noch New York, Los Angeles und San Fransisco.

Alles dazwischen nannten sie alleine in dieser Wahlnacht mehrfach „Fly over States“ – Landmasse, die nur da ist, um sie hinter sich zu lassen, am besten mit dem Flugzeug. Berichten die Korrespondenten überhaupt aus den „Fly over States“, dann machen sie den Relotius: Die Geschichte steht schon vorher fest, vor Ort fahren sie nur, um die passenden Stimmen und Bilder zu finden. Die vom ZDF für ihre interne Kritik geschasste Journalistin Katrin Seibold hat später über diese Praxis berichtet. Doch den Geist dieser Beiträge erkennt der Zuschauer auch ohne Insiderwissen.

Serie: Krise der Öffentlich-Rechtlichen
Die Talkshow zeigt die Welt nur als Schatten an der Wand
Zu oft decken sich die Themen, die ARD und ZDF behandeln, mit den Themen, die der Politbetrieb vorgibt. Und weil sie über deutlich mehr Pressestellen als die Opposition verfügt, ist es in der Regel die Regierung, die den Ton setzt. Journalisten nennen so etwas „Terminberichterstattung“. Wenn sich der Kollege ein Thema nicht selbst erarbeitet, weil er es für interessant hält, sondern es aufgreift, weil es von Regierung oder Opposition gesetzt wird. Da ähneln dann ARD und ZDF Facebook, das jeden Beitrag zum Klimawandel und Corona mit Regierungsinformationen versieht, aber ignoriert, wie oft sich offizielle Aussagen und Ankündigungen in der Pandemie als falsch erwiesen haben.

Die Öffentlich-Rechtlichen fallen nicht so plump auf ihren Glauben an die Regierung rein wie Facebook. Aber letztlich tun sie es dann doch. Ein Beispiel dafür ist der Einsatz der deutschen Armee in Afghanistan: 20 Jahre war die Bundeswehr dort. Zwei Jahrzehnte lang versuchte sie, aus einem islamischen Unrechtsstaat einen demokratischen Rechtsstaat zu machen. Am Ende alles vergebens. Ein kleiner Selbsttest: Wer kann sich an Beiträge von ARD und ZDF erinnern, die in den 20 Jahren zwischen Stationierung der Bundeswehr und dem Fall von Kabul angedeutet haben, dass diese Mission inhaltlich komplett schiefläuft? Bestenfalls in den Auslandsmagazinen – aber nicht in den Haupt-Nachrichtensendungen.

Wie regierungstreu und regierungsblind die Öffentlich-Rechtlichen sind, zeigt sich auch an ihrem Umgang mit Angela Merkel (CDU). Die Kanzlerin haben sie 16 Jahre wohlwollend begleitet. So wohlwollend, dass die ARD wenige Monate nach Merkels Abschied eine Dokumentation aus dem Programm nehmen musste. Die Jubelarie, die ARD-Journalisten über die Kanzlerin sangen, war so weit von der Realität des russlandabhängigen Deutschlands entfernt, dass das Werk nicht mehr zeigbar war – nicht mal mit erläuternden Kommentaren.

RBB-Skandal
Der Rücktritt von Patricia Schlesinger offenbart grundlegende Probleme der ARD
Die Auslands-Berichterstattung leidet unter dem gleichen Grundübel, das auch die Inlands-Berichterstattung von ARD und ZDF vergiftet: Die Journalisten sind immer seltener bereit, mit einem offenen Blick in die Welt zu gehen – und sie dann so darzustellen, wie sie diese auffinden. Stattdessen steht vorher die Haltung fest und der Beitrag soll diese nur noch untermauern. So verfügt denn Deutschland über ein ebenso teures wie wundervolles Netz an Auslandskorrespondenten – doch der journalistische Fang darin nährt nur wenig. Hört man den Fans von Rosamunde Pilcher zu, räumen selbst die oft ein, dass die Handlungen banal sind – aber dass sie die Bilder mögen. Was auch okay ist. Wer einen harten Tag erlebt, will am Abend genießen. Doch wenn sich Menschen gerne an Bildern aus fernen Ländern erfreuen, müssen sich Korrespondenten schon fragen, warum sie Dokumentationen liefern, die im Nachtprogramm von Phoenix versteckt werden müssen.

Vielleicht ist es aber auch umgekehrt. Vielleicht würden die Zuschauer diese Dokumentationen gerne sehen. Lieber als das, was stattdessen im Abendprogramm von ARD und ZDF läuft. Dann müssten die Korrespondenten indes die Frage an ihre Chefs stellen, warum sie diese Ware so gerne im Nachtprogramm oder auf Spartenkanälen verstecken. Wobei die Antwort auch den Zuschauer interessieren dürfte. Denn angesichts von vielem Schrott, der zur besten Sendezeit angesetzt ist, ist es immer wieder bemerkenswert, wie es die Verantwortlichen bei ARD und ZDF schaffen, Perlen ins Nachtprogramm zu schieben.

TV-Quoten im April
ZDF stürzt bei den jungen Zuschauern ab
Ein Beispiel dafür bietet schon dieser Montag. Die ARD widmet sich (endlich) dem Thema, wie es zum Fall von Kabul kommen konnte. Um 23.35 Uhr. Im Anschluss, um 0.20 Uhr, beginnt eine Dokumentation über Familien, die durch die Pandemie auseinander gerissen wurden. Beides ist frisches Material, beides greift relevante Themen auf – und erfüllt den Auftrag, der die Rundfunkgebühren überhaupt erst rechtfertigt. Doch die ARD schiebt die Sendungen ins Nachtprogramm ab. Und wofür? Für die Wiederholung eines acht Jahre alten Krimis, der um 20.15 Uhr beginnt. Filme, bei denen in der Regel nicht mal jeder zehnte Zuschauer jünger als 50 Jahre alt ist.

Das Problem von ARD und ZDF ist definitiv nicht das Geld. 8,5 Milliarden Euro alleine aus Zwangsgebühren sind genug – für mehr als nur ein gutes Programm. Auch fehlt es den Öffentlich-Rechtlichen nicht an Mitarbeitern, die ihr Handwerk beherrschen. Das Problem liegt auf der Ebene der Entscheider. Die mitunter obskure Entscheidungen treffen, was läuft und was nicht. Aber das ist nicht das Schlimmste, da behält Willemsen recht – das Schlimmste ist, welch gutes, mögliches Programm sie verhindern.

Anzeige
Die mobile Version verlassen