Noch immer ist die neue Weltordnung im Werden. Die Übergangszeit ist geprägt vom Aufstieg Chinas, von den Rückzugstendenzen der USA, dem Revisionismus Russlands, den Systemkrisen westlicher Demokratien und einer Vielzahl möglicher Katastrophen-Szenarien, die ihren Anfang in Finanzkrisen, Pandemien sowie lokalen Kriegen und Bürgerkriegen nehmen könnten. Der jüngste Konflikt zwischen Berlin und Moskau wegen der Auslandssender RT DE und der Deutschen Welle (DW) verweist auf einen nicht unbedeutenden Nebenkriegsschauplatz: der Informationskrieg, früher einmal Propagandakrieg oder Desinformation-Strategie genannt, gewinnt sichtlich an Schärfe. Viele Nationen wollen ihre Sichtweisen der übrigen Welt vermitteln und forcieren ihre Medienaktivitäten. Der aktuelle deutsch-russische Disput zeigt auch, wie sehr Deutschland mit Blauäugigkeit, Irrationalität und Selbsttäuschung auf internationale Entwicklungen reagiert.
In Deutschland reagierte man auf das Sendeverbot der DW in Russland mit einem Aufschrei der Empörung. Abgesehen von allen legalen Aspekten stehe doch die Deutsche Welle für objektive Berichterstattung und Qualitätsjournalismus, während RT DE lediglich Staatspropaganda und oft genug auch „fake news“ verbreite.
Man muss nicht ernsthaft darüber diskutieren, ob es in Russland wirklich Presse- und Meinungsfreiheit gibt. Sie existiert vielleicht in Teilaspekten in begrenztem, staatlichem Rahmen, den der Kreml zudem jederzeit verändern kann. Auch die Arbeit der Auslandskorrespondenten wird in Moskau – und noch stärker in Peking – streng beäugt, nicht selten auch reglementiert und eingeschränkt. Es ist also schon recht forsch, wenn sich Kreml-Sprecher Dmitri Peskow als Hüter demokratischer Grundrechte aufspielt und das Sendeverbot für die RT DE als „Anschlag auf die Freiheit des Wortes“ bezeichnet; dennoch sollte man bei uns über die Sinnhaftigkeit des Vorgehens gegen RT DE nachdenken. Ist nicht auch ein solch tendenziöser Staatssender eine Bereicherung der Informationsmöglichkeiten?
Es ist eher eine Spitzfindigkeit, dass in Deutschland nicht die Regierung, sondern die unabhängige Kommission für Zulassung und Aufsicht von Medienanstalten (ZAK) gegen die RT DE vorgegangen ist. Außenministerin Annalena Baerbock hatte in Moskau kürzlich auch betont, in Deutschland seien Staatssender grundsätzlich verboten – was die Frage aufwirft, was denn die Deutsche Welle ist. Zudem sendet in Deutschland unbehelligt der türkische Sender TRT Deutsch, ein Ableger des türkischen Staatssenders TRT. Die Süddeutsche Zeitung (SüZ) nannte den Sender „Erdogans Megaphon“.
Tatsächlich ist im Grundgesetz die Staatsferne von Medien verankert – Staat und Parteien dürfen keinen Einfluss auf das Programm nehmen, darauf hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach gepocht. Wie staatsnah ist also die DW? Deren Radio- und Fernsehprogramme sowie die Webseiten werden mit deutschen Steuergeldern finanziert (2021: 390 Millionen Euro). Ausgestrahlt wird das Programm in zahlreichen Staaten in den jeweiligen Sprachen, der gesetzliche Auftrag lautet, deutsche und europäische Sichtweisen zu verbreiten. Das klingt sehr nach einem staatlichen Sender, allerdings ist die Selbstwahrnehmung der DW und der deutsche Blick auf die Anstalt völlig anders.
Das vielfältige DW-Programm lässt sich tatsächlich kaum auf eine „politische Agenda“ Berlins reduzieren – sehr gerne betont der Sender seine hohen journalistischen Maßstäbe, die DW sei alles andere als ein Propaganda-Sender. Es gibt allerdings manchen Grund, sowohl an dieser Aussage als auch grundsätzlich an der journalistischen Qualität des deutschen Senders zu zweifeln. Tatsächlich kann die DW nicht mit einem vom Staat streng gelenkten und kontrollierten Sender verglichen werden – aber deshalb gleich von einem Medium der freien Presse zu sprechen, scheint schon anmaßend.
2014 versuchte DW-Intendant Peter Limbourg eine notwendige Erhöhung der Staatszuschüsse damit zu begründen, dass er die Deutsche Welle zu einem „Anti-Putin-Sender“ formen wolle. Der Propaganda des russischen Präsidenten Wladimir Putin müsse künftig stärker Paroli geboten werden. Lediglich aus der CDU gab es laut des Handelsblattes damals Zustimmung: „Wir erleben eine internationale Desinformationskampagne durch Putin und müssen mit medialer Aufklärung dagegenhalten“, so damals der Bundestagsabgeordnete und Außenpolitik-Experte Roderich Kieswetter (CDU).
Wie sehr Ideologie und Parteilichkeit in der Deutschen Welle zu Hause sind, zeigen Enthüllungen über das Ausmaß von Antisemitismus und krasser Israel-Feindlichkeit (was im Grunde identisch ist). Nicht nur in den DW-Korrespondentenbüros im Nahen Osten fanden sich zahlreiche Journalisten, die den Holocaust leugnen, gegen Israel hetzen und gerne über „jüdische Weltverschwörung“ schwadronierten. Auch Mitarbeiter des Hauses und vor allem regelmäßige Interviewpartner entpuppten sich als Anti-Semiten, Sympathisanten des Islamismus und erbitterte Feinde Israels.
Die „Süddeutsche“ hatte im Dezember über anti-semitische Äußerungen von arabischen DW-Mitarbeitern in sozialen Medien berichtet. Der Holocaust sei da als „künstliches Produkt“ bezeichnet worden; Juden würden „die Gehirne der Menschen durch Kunst, Medien und Musik kontrollieren“. Israel wurde als „Terrorstaat“ bezeichnet, der Kinder töte. Mehrere Mitarbeiter der Welle wurden inzwischen freigestellt. Das Magazin „Vice“ hatte aufgezeigt, dass DW-Partnersender wie Al Jadeed oder Roya TV antisemitische Inhalte verbreiteten. DW setzte daraufhin – allerdings erst nach heftiger Gegenwehr – die Kooperation mit der jordanischen Roya TV aus.
Der deutsch-russische Konflikt um Deutsche Welle und RT DE beleuchtet die sich vermutlich weiter verschärfenden, weltweiten Auseinandersetzungen um Medienrechte und Auslandsberichterstattung, um Informationen und Wahrheit, um Desinformation und Propaganda, um „Fake News“ und „Hassnachrichten“. Dabei scheint Berlin nicht sonderlich gut vorbereitet zu sein, von einer in sich konsistenten, strategischen Ausrichtung ist wenig zu erkennen. Deutlich wird aber auch – neben dem Anspruch hoher moralischer Überlegenheit – eine ziemlich gestörte Selbstwahrnehmung.