Als das Filmteam nach der Premiere im Berliner Babylon-Kino kurz nach 22 Uhr auf die Bühne kommt, geht für die Regisseure Tobias Streck und Joachim Schroeder und die Schauspieler so etwas wie ein Lebensabschnitt zu Ende; sehr lange Jahre, in denen gedreht, vor allem aber Geld eingesammelt und über längere Strecken improvisiert wurde. „Wir haben uns öfter gefragt: was wird schneller fertig, der Film oder der Hauptstadtflughafen“, meint Henryk Broder, der in „Kill Me Today, Tomorrow I’m Sick“ den alten weißen Journalistenzausel Henryk Gorski gibt. Der Film spielt im Pristina des Jahres 1999, die Idee zu der Geschichte entstand irgendwann um das Jahr 2000, sie basiert auf Tagebuchaufzeichnungen einer Mitarbeiterin einer westlichen Hilfsorganisation auf dem Balkan. Die lange Zeit dazwischen hat ihm nichts anhaben können. Im Gegenteil, selten wirkte ein deutsches Kinostück der letzten Jahre so frisch. Und vor allem: so wenig bundesdeutsch. Ein komischer, leichter und blutig ernster deutscher Film, der etwas über die Welt zu erzählen hat – wann gab es das zuletzt?
Die ersten Minuten beginnen mit wohlmoduliertem Englisch; ein Mann, der vom Kosovo nach Kalifornien ausgewandert war, um dort als Auftragskiller seinen Lebensunterhalt zu verdienen, erzählt, wie er in den Kosovokrieg zurückkehrte, in eine Mischung aus Schlacht- und Irrenhaus, in der er sich pudelwohl fühlt. Wir sehen Anna (Karin Hanczewski) dabei zu, wie sie frisch aus Stuttgart in Pristana eintrifft, um als OSCE-Mitarbeiterin, wie sie sagt, ein Netz freier Medien in einem demokratischen, multiethnischen Kosovo aufzubauen. Die junge hochherzige Frau deklamiert Sätze, die wie ein ZEIT-Leitartikel klingen, die Phase geht allerdings schnell vorbei in dem Land, in dem noch nicht einmal die Nachkriegszeit richtig angefangen hat. Und noch jemand kommt an, Plaka, gespielt von der Überraschung des Films, Carlo Ljubek. Plaka, ein Bosnier, der einige Zeit in Österreich gelebt hat, kommt in seinem Citroën (der ihm gleich von der UCK abgenommen wird) in den Kosovo, um dort mit seinem Kumpel Burim (Eray Eğilmez) geschäftlich Fuß zu fassen. Erst einmal heuert er bei der OSCE an – so kommt er wieder zu einem Wagen – , wird Chauffeur und im weitesten Sinn Betreuer der guten Anna. Der Lebensakrobat und talentierte Gauner entdeckt schnell, wo seine und Burims Möglichkeiten in dem zerrütteten Land liegen, nämlich bei der OSCE: „Wir wollen Geld. Die haben Geld.“ Die beiden besorgen in einem steuerfreien Handel den Internationals alle möglichen Waren und handeln mit geklauten Gütern aus KFOR-Kasernen. Für Anna dolmetscht Plaka auch, indem er, streng inhaltlich, alles falsch übersetzt, dafür aber landesüblich passend.
Draußen muss Plaka Anna vor dem Lynchtod retten, als sie in einem Laden ahnungslos drei Finger hochhält, um zu zeigen dass sie drei Mark zahlen will: denn die drei Finger sind das serbische Siegeszeichen. Sie wird Zeuge, wie am kosovarischen Nationalfeiertag ein serbischer Professor und dessen Angehörige öffentlich exekutiert werden. Und begreift, wie wenig sich die OSCE-Funktionäre dafür interessieren. Denn unbedachte Schritte, belehrt sie Zoet, würden das aufgebaute Vertrauen der Bevölkerung nur gefährden. Natürlich weiß der Diplomat bestens Bescheid über die Geschäfte des UCK-Kommandanten und Mafioso Rhaci (Boris Milivojevic), der sich anschickt, Präsident des Landes zu werden, neuerdings Anzug trägt und das Schlachtgeschäft an den psychopathischen Killer Gazmend (Tommy Soward) ausgelagert hat, den Heimkehrer, mit dessen Stimme der Film beginnt.
Annas erstes großes Projekt besteht darin, in der abgeriegelten serbischen Enklave, in der sich die Redakteure der einzigen Zeitung immer noch an Milosevic klammern, Zeitungen von außerhalb verteilen zu lassen. Um Pluralismus herzustellen. Den Verteilerjob übernimmt Plakas depressiver serbischer Freund Sirdjan, der kein Wort albanisch spricht, praktisch kein Englisch, und trotzdem mit einem OSCE-Auto allein durch die UCK-Zone fahren will. Plaka warnt ihn: das sei Wahnsinn. Für Sirdjan bedeutet die Aufgabe dagegen Arbeit und Struktur, er glaubt, wirklich etwas Nützliches tun zu können. Er sagt, als er losfährt, stoisch den titelgebenden Satz: „Kill me today, tomorrow I’m sick.“ Es geht nicht gut aus.
An diesem Punkt könnte Anna nach Hause fliegen. Stattdessen ändert sie die Regeln. Sie überzeugt die OSCE-Missionsführer, Geld für ein multiethnisches Radio Kosovo zu geben, in dem alle zu Wort kommen sollen, Albaner, Serben, Roma, Frauen und alle möglichen Minderheiten. Die Apparatschiks in der Raumstation, die wissen, dass die junge Frau schon ein bisschen zu viele Interna weiß und zu viel gesehen hat, geben tatsächlich Geld für das Radio Pulverfass, um Anna ruhigzustellen. Sie weiß auch schon, wer den Sender managen soll: Plaka, der ja auch sonst auf jedem Seil tanzt, als wäre es eine Straße.
Was die durchgeknallten Radiopiraten senden, ist buchstäblich so unerhört, dass die Leute draußen an den Geräten kleben, um keinen der skandalösen Beiträge zu verpassen. Selbst Kommandeur Rhaci Rhaci kann sich nicht von dem Sender lösen, als er Gazmend den Auftrag gibt, die Kosovo One-Funker aufzuspüren und zu liquidieren.
„Kill me today“ ist schnell geschnitten, die Cuts ähneln einer Fahrt durch das Pristina von 1999. Der Zuschauer weiß nicht, was ihn hinter der nächsten Ecke erwartet. Mit einem großen Schnitt endet auch der Film mitten in dem unvermeidlich explosiven Finale. Zum Schluss sehen wir Plaka, lachend, mit Schusswunde und mit Anna im Arm. Wie es hinter dem Vorhang weitergeht, das darf sich jeder selbst ausdenken.
In dem Streifen kommen Scherz, Blut und tiefere Bedeutung vor, aber es gibt keine versöhnende Moral. Obwohl er fast zwanzig Jahre Anlauf brauchte, geht es um ein sehr akutes Thema: die nicht zu überbrückende Kluft zwischen den Anywheres, den Globalisten mit ihren Problemlösungen, weiß, schmuck und teuer wie ihre Missionsfahrzeuge, die sie mitbringen, und den Somewheres, den Einheimischen, deren Welt sich nicht so formatieren lässt, wie die Missionare es sich vorstellen. Das stört die Internationals noch nicht einmal. Was sie tun, hat mehr mit ihnen selbst zu tun als mit den Objekten ihrer Bemühungen. Davon erzählt der Film bestechend leicht und mit Witz. Was zu der Frage führt: Was könnten deutschen Filme, wenn sie ihren pädagogischen Anti-Eros einmal abschütteln würden?
Was könnte eigentlich aus der deutschen Fernsehunterhaltung werden, wenn ein Charmebolz wie Carlo Ljubek als Tatort-Kommissar angeheuert und die Karriere von Till Schweiger endlich auf dem Friedhof der Nuscheltiere begraben würde? Wenn Filmmacher die öden Rollen des edlen Wilden und der starken Frau, die den Männern den Weg zeigt, einfach streichen? Wenn ein Mafiakiller, wie „Kill Me Today“, schwul sein darf, einfach so, ohne Beilage aus der Psychoküche?
Dann wäre, um einen besonders kerndeutschen von-Trotta-Filmtitel zu bemühen, eine bleierne Zeit vorbei.
Auch der BR und der SWR hatten „Kill Me Today, Tomorrow I’m Sick“ mitgefördert. Erst einmal muss der Film in die Kinos. Aber dann sollte er auch irgendwann zur guten Ausstrahlungszeit in dem Senderprogramm zu sehen sein. Falls es die Dr. Zoets der Anstalten eine solche unbedachte Handlung nicht zu verhindern wissen.