Kürzlich gab es große Aufregung über einen polemischen Tweet von Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt: „Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er habe einen Abend bei den Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht?“, fragte er. Der folgende hysterische Aufschrei zeigte, dass er mit seiner Kritik offenbar einen wunden Punkt getroffen hatte.
Die (Links-)Politisierung der Kirchen ist weit fortgeschritten. In den fünfziger Jahren warben viele Geistliche ziemlich penetrant für die CDU, heute geht es oft genug um Grünen-Themen, etwa Energiewende und „Refugees Welcome“, besonders in den evangelischen, aber auch katholischen Gemeinden. Während die evangelische Kirche sich wie eine Vorfeldorganisation der Grünen präsentiert, gibt es in der katholischen Kirche noch einen Kampf zwischen Traditionalisten und Modernisierern, die sich einem mainstreamigen CDU-Kurs anschmiegen wollen. Die „Modernisierer“ sind auf dem Vormarsch. Die Kirchen schwimmen derzeit im Geld – weil die Steuereinnahmen trotz stark sinkender Mitgliederzahlen wie verrückt sprudeln. Aber die geistige Substanz wird immer dünner, hat es den Anschein.
Einen dramatischen Substanzverlust hat die katholische Presse in Deutschland erlebt. Die Auflagenzahlen der Bistumsblätter sind im freien Fall. Hatten die Wochenzeitungen der 27 Bistümer Mitte der sechziger Jahre noch rund 2,4 Millionen Auflage, ist es heute weniger als ein Viertel davon. Die meisten dieser Zeitungen sind auch ziemlich uninteressant; es sind harmlose, intellektuell wenig anspruchsvolle Blätter, die irgendwo in einem gutmenschlichen Kirchen-Mainstream mitschwimmen. Das ist auch die Haltung vieler Bischöfe und Kirchenfunktionäre.
Bis 2010 gab es noch die Wochenzeitung Rheinischer Merkur aus Bonn, der mit Millionensummen von den Bischöfen subventioniert wurde. In den fünfziger Jahren eine sehr einflussreiche Stimme, die der Adenauer-Regierung nahestand, hat der Rheinische Merkur spätestens seit den siebziger Jahren einen Bedeutungsverlust erlitten. Im letzten Jahrzehnt fiel die Auflage von 120.000 unter 40.000. Die katholischen Bischöfe verscherbelten die Zeitung dann für einen Euro ausgerechnet an die linksliberale Wochenzeitung Die Zeit. Als Beilage unter dem Motto „Glauben und Zweifeln“ fristet sie nun unter einer linksliberal-katholischen Chefredakteurin ein Schattendasein.
Viele Millionen an Kirchensteuergeld stecken die Bischöfe nach wie vor in das kircheneigene „Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses“ (IfP) in München. Dumm nur, dass an diesem Institut überwiegend grün-linke Journalisten ausgebildet werden. Eine 2011 publizierte Absolventenbefragung ergab, dass 34 Prozent der IfP-Jungjournalisten mit den Grünen sympathisieren, nur weniger als jeder Fünfte steht der Union nahe. Damit bilden diese kirchlich „handverlesenen“ Jungjournalisten in etwa die allgemeine linke Schlagseite des Mainstream-Journalismus ab. Nur 14 Prozent der IfP-Absolventen bezeichneten sich als „gläubiges Mitglied meiner Kirche“. Die Kirchensteuergelder versickern hier – wie an vielen anderen Stellen – in fragwürdiger Weise.
Keine Kirchensteuer-Subvention bekommt die in Würzburg erscheinende Tagespost, die einen katholisch-konservativen Kurs fährt. Das seit 1948 existierende Blatt wirkt nicht selten wie ein Stachel im Fleisch des Zeitgeistes, weshalb sie manchem Bischof fast schon peinlich ist, von einigen aber auch unterstützt wird. Prominentester Leser ist der emeritierte Papst Benedikt. „Die Tagespost ist unverzichtbar“, betonte der deutsche Papst vor Jahren, der sie schon als Kardinal Ratzinger förderte.
Kurz vor Weihnachten stand Die Tagespost aber kurz vor dem Aus. Die dreimal wöchentlich erscheinende Zeitung hat über die Jahre dramatisch an Auflage verloren, es sind nur noch weniger als 10.000 Abonnenten übrig. Mit einer Spendenaktion konnte Chefredakteur Oliver Maksan 300.000 Euro sammeln, um den Bankrott zu vermeiden. Seit Jahresbeginn erscheint die Tagespost nun als Wochenzeitung mit einem stark verbesserten modernen Layout und vergrößertem Umfang.
Anders als der Mainstream, vertritt die Tagespost klar wertkonservative Positionen etwa in Bezug auf Abtreibungen, Homo-Ehe, Leihmütterschaft und Sterbehilfe. Die weltweite Verfolgung von Christen besonders in islamischen und diktatorischen Ländern wird kontinuierlich angeprangert. In der Tagespost finden sich auch islamkritische Beiträge, die das problematische Gewaltpotential und die Unfreiheit im Islam herausarbeiten. Und die Tagespost bietet liberal-konservativen Kritikern der CDU-Vorsitzenden Merkel viel Raum. Gelegentlich wagt sie auch (eher vorsichtige) Kritik an Papst Franziskus. Die „Ratzingerianer“ im Vatikan seien klar auf dem Rückzug und würden verdrängt, so der Tenor einer Doppelseite von Guido Horst.
An Papst Franziskus scheiden sich die Geister. Während eher linksliberale Medien ihn gar nicht schlecht finden, sind konservative und liberalkonservative Katholiken eher skeptisch. Der Publizist Matthias Matussek, ehemals Spiegel-Kulturchef, der heute auch für Tichys Einblick schreibt, hat vor einiger Zeit in der Weltwoche eine furiose Abrechnung mit dem „Spontifex“ veröffentlicht. Franziskus oft aus dem Bauch heraus formulierten, wenig durchdachten Äußerungen können einen tatsächlich zum Verzweifeln bringen.
„Mit der ihm eigenen erfrischenden Direktheit fragte das britische Wochenblatt Spectator kürzlich auf seiner Titelseite «Has the Pope Gone Crazy?» Ist der Papst verrückt geworden?“, fing Matussek seine Abrechnung an. „Nicht so weit hergeholt, wie man denken könnte: Tatsächlich hat der argentinische Pontifex maximus seit Beginn seiner Amtszeit so viel Verwirrendes, Widersprüchliches und parteipolitisch Provokatives von sich gegeben, dass seine Presseleute mit Korrekturen und empfohlenen Lesarten kaum noch hinterherkommen. Ohne jetzt eine Aussage zu ihrem Wahrheitsgehalt zu treffen – aber wie zum Beispiel moderiert man seine Formulierung: „Die Zeitungsleser neigen zur Koprophagie“ – der lustvolle Verzehr von Exkrementen?
Der Papst räumt theologische Altbestände im Vorbeigehen ab und gibt den Modernisierer, häufig ist es aber ein Einschmeicheln bei einem grün-linken Zeitgeist. Hoch fragwürdig war es etwa, wie sich Papst Franziskus billigster linker anti-kapitalistischen Klischees bediente („Diese Wirtschaft tötet“), gleichzeitig aber eine gewisse Nähe zu linken Populisten und Demagogen in Lateinamerika (etwa die Peronisten in Argentinien und die Sozialisten in Venezuela) zeigt.
Umso wichtiger ist es, dass in der katholischen Kirche auch Kritiker sich artikulieren. Die Tagespost hat einen beeindruckenden Relaunch hingelegt und inzwischen eine moderne Internetpräsenz mit vielen tagesaktuellen Meldungen (www.die-tagespost.de). Ob sie damit aber der Niedergangstrend aufhalten und umkehren kann, ist noch nicht ausgemacht. Zwar bietet die Zeitung, die seit einiger Zeit in einer privaten Stiftung erscheint, auch für Nicht-Kirchen-Insider viele interessante Berichte, Reportagen und Meinungsartikel, doch müsste sie den Blick wohl noch mehr weiten, um breitere Kreise anzusprechen. Es wäre allerdings sehr schade und ein großer Verlust, wenn sie einfach unterginge.
Neben der Tagespost gibt es noch kleinere private Publikationen mit katholisch-konservativer Ausrichtung, etwa das rührige „PUR“-Magazin oder das seit einem Jahr existierende „theo“-Magazin, herausgegeben vom früheren FAZ– und Handelsblatt-Journalisten Albrecht Prinz von Croÿ, der gelegentlich auch für Tichys Einblick zur Feder greift. Beide Magazine haben etwa 4000 Exemplare Auflage. Das „theo“-Magazin zielt auf ein künstlerisch und literarisch anspruchsvolles Publikum, das sich an guten Texten, melancholischen Bildern und feinen Gedanken erfreut. Katholisch wird hier eher als Geisteshaltung verstanden, kirchliche Vereinsmeierei gibt es keine. Die jüngste Ausgabe geht der Frage nach dem „Heimatgefühl“ der Deutschen nach. Die politische Ausrichtung ist milde wertkonservativ, was eine Besprechung des Essaybands „Heimatlos. Bekenntnisse eines Konservativen“ von Ulrich Greiner zeigt.
Insgesamt sind dies aber nur kleine frische Inseln in einer katholisch-publizistischen Wüste. Die Zeitgeist-Prediger, die Ulf Poschardt bei seiner Weihnachtsmette nervten, sind Teil des Problems. Dabei darf man die Kirche als Wertevermittler nicht unterschätzen, trotz ihrer schwindenden Bedeutung, trotz rapide abnehmender Gottesdienstbesucher- und Mitgliederzahlen. Die existentielle Frage stellt sich, ob Europa im 21. Jahrhundert sich von seinen abendländischen Wurzeln völlig abnabelt und ein total-säkularisierter Kontinent (mit stark wachsendem muslimischem Bevölkerungsanteil) wird – oder ob es seinen Charakter als Kontinent bewahrt, der zwei Jahrtausende durch das Christentum geprägt wurde. Diese Frage wird in den kommenden Jahrzehnten – auch publizistisch – zu debattieren sein und wird das Leben unserer Kinder und Enkel entscheidend prägen.