Tichys Einblick
Plötzlich Kandidatin?

Kamala Harris, der deutsche Medienliebling

Die Medien feiern Kamala Harris, als fände der US-Wahlkampf in Deutschland statt. Man sieht sich nicht so sehr den USA, denn vielmehr den US-Demokraten als transatlantisch-ideologische Brüder verbunden. Es ist ein Getöse der Selbstvergewisserung, weil hinter dem Schein der Zweifel steckt, ob Harris wirklich eine Chance hat.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Erin Schaff

Findet der US-Wahlkampf in den USA oder in Deutschland statt? Ein Blick auf Spiegel, Süddeutsche, Zeit, Welt oder Bild spricht für letzteres. Die prominentesten Köpfe sind derzeit Joe Biden, Donald Trump und vor allem: Kamala Harris. Dass in den USA die Medien trommeln, da dort auch gewählt wird, verwundert nicht. Hierzulande dürfte der Zahl der US-Staatsbürger, die man umwirbt, eng begrenzt sein.

Nun gibt es freilich eine historische Beziehung zwischen deutschem Journalismus und den USA. Bleiben wir beim dominanten Modell auf der linksliberalen Seite (um sie von der Altlinken zu scheiden). Die Democrats sind für viele Journalisten, auch solche, die sich eigentlich eher in der Mitte oder gar Mitte-Rechts verorten, eine Art ideologischer Orientierungspunkt. Das ist ein wichtiger Unterschied: nicht die USA, sondern nur die von den Democrats regierten USA sind das Vorbild. Auch Christdemokraten haben sich in der Vergangenheit eher mit Barack Obama und Biden, denn Trump fraternisiert.

Alles, was jenseits des Teichs beginnt, schwappt irgendwann diesseits des Teichs. Darunter fallen auch zahlreiche Gesellschaftsexperimente, ob nun ökologisch oder soziologisch. Das Geschäft mit der Klimawirtschaft ist nur eines von vielen Beispielen. Erwartungsvoll geht daher der Blick zu den hoffentlich immerwährend regierenden Democrats, was sich diese Neues haben einfallen lassen, um es zu kopieren; mit demselben Schrecken wird jede Entwicklung aufseiten der Republikaner beobachtet, in der Furcht, derlei könne auch in Europa passieren. Woke Universitäten hui, konservative Neue Medien pfui. Für deutsche Medienschaffende bestehen die USA aus zwei Küstenregionen, in deren Mitte ein schwarzes Loch klafft, in dem Evangelikale, Waffenfanatiker, Abtreibungsgegner, Ku-Klux-Klan-Anhänger und Libertäre leben.

Ein bisschen schwingt demnach bei jeder US-Berichterstattung die Poesie von Claas Relotius mit, der in seinem berühmt gewordenen Artikel zu einer typischen amerikanischen Kleinstadt alle Klischees zusammenfasste, die die Deutschen, insbesondere ihre politische wie mediale Elite, von dem Land haben; bezeichnend war das Stück deswegen, weil es alle Stereotype widerspiegelte, die der linksliberale Deutsche in so einem Artikel erwartete (was freilich mehr über Schreiber und Leser, denn das beschriebene Objekt aussagt).

Deswegen ist Kamala Harris der Medienliebling des guten deutschen Blätterwaldes. Sie repräsentiert das „helle“ Amerika – um beim deutschen Sprachgebrauch zu bleiben. Multikulti, Wokeness, Säkularismus, „pro choice“, Zuwanderung – und eine Frau ist sie auch noch. Die Zeit verrät, welche Vorteile Harris bei der Wahl helfen werden; die Süddeutsche titelt „Yes we Kam“; und der Spiegel spricht in einer Fotoreihe von einer „Kamala-Mania“, die er mit vier Artikeln an diesem Morgen selbst mitbefeuert. Kurzum: Die Medien spulen das Programm ab, wie es David Boos für Michelle Obama vorausgesagt hat.

Bei dem ganzen Hype gibt es allerdings einige Schönheitsfehler. Erstens: Niemand hält das für Zufall oder für eine authentische Überraschung. Ganz im Gegenteil ist Harris als Vizepräsidentin keine Unbekannte gewesen. Und sie hat nicht nur in den USA nicht überzeugen können. Anders als Pence unter Trump, Biden unter Obama oder Cheney unter Bush hat Harris niemals das politische Schwergewicht aufgebracht, das man von ihr erwartet hat.

Denn alle ihre vermeintlichen Qualitäten, die oben aufgezählt wurden, kannten die Democrats ja selbst, als man sie aufgestellt hatte. Trotz dieses Startvorteils in wohlmeinenden Medien blieb sie PR-technisch wie politisch eine Fehlbesetzung. Die zynischen Kommentare der Republikaner, die 2020 noch darüber spekuliert hatten, Biden werde sich wenige Monate nach seinem Amtsantritt zurückziehen, damit die unbeliebte Harris übernehmen könnte, verebbten bald – denn die Democrats schienen selbst unglücklich mit der Vizepräsidentin zu sein, von der man mehr erwartet hatte.

Es gab gute Gründe anzunehmen, dass Harris in diesen Wahlkampf nicht einsteigen würde. Einmal, weil sie sich selbst in dieser relativ aussichtlosen Kampagne verfeuern würde. Und andererseits, dass sie die Democrats verfeuern würde – aufgrund ihrer mangelnden Popularität, selbst bei Stammwählern. Dass Harris für Biden irgendwann einspringen könnte, weil die gesundheitlichen Probleme des US-Präsidenten intern deutlich früher kommuniziert wurden, muss als Szenario immer klar gewesen sein – inklusive eines Plans, was an jenem Tag X zu tun sei. Doch dieser Tag X kommt nunmehr zum ungünstigsten Augenblick.

Denn erstens mangelt es Harris an Legitimität. In den Vorwahlen stimmte die Basis für Biden. Das Konzept, dass das (demokratische) Wahlvolk einen Kandidaten wählt und am Ende der Spitzenkandidat im Hinterzimmer beschlossen wird, ähnelt eher den EU-Institutionen als den Primaries. Zweitens hat sie nur kurze Zeit zur Vorbereitung, weil Biden auf seine Kandidatur erst sehr spät verzichtet hat. Und drittens hat sie – anders als Biden – keinen Amtsbonus.

Letzteres könnte den Democrats noch zum Verhängnis werden. Die Frage wird laut im Raum stehen, warum Biden nicht auch als Präsident zurückgetreten ist, um Harris eine stärkere Ausgangsbasis zu geben. Ob man Harris vielleicht doch für zu inkompetent hält, das Amt auszufüllen? Wie kann es sein, dass Biden nicht fit genug für den Wahlkampf ist, aber die Amtsgeschäfte des mächtigsten Mannes der Welt noch ein halbes Jahr führen will? Auch der Jugendbonus von Harris kann kein Thema im Wahlkampf gegen Trump sein, wenn die Democrats andererseits den 81jährigen im Weißen Haus belassen.

Auch das ist eine Aufgabe des Medienrummels: mit schönen Bildern, Liebesbekundungen und dem Ausspielen des „hellen“ gegen das „dunkle“ Amerika die offensichtlichen Probleme ausklammern, die sich Harris stellen. Es soll die Hoffnung geweckt werden, dass Harris den Drachen namens Trump erlegen kann. Darauf bauen Geschichten, Narrative – „Stories“ auf. In Wirklichkeit ist Harris nur dazu da, um die eigenen Reihen innerhalb der globalen Linken zu stärken. Außerhalb der Echokammer verhallt das Getöse, verblassen die Bilder. Dort, fern der transatlantischen Redaktionsstuben, sitzt der Wechselwähler in Ohio.

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