Tichys Einblick
Pressestimmen zum Ampel-Aus

Kabale und Hiebe in Berlin-Mitte

Endlich mal: ein episches Drama um Versagen, Verrat und Scheitern – aber die Presse hat in den Schongang geschaltet.

IMAGO / Schöning

Offenbar hat man alles Pulver bereits im Abwehrkampf gegen die „orangefarbene Bedrohung aus den USA“ verschossen, ist noch heiser und abgekämpft vom Bangen und Hoffen der Wahlnacht. Die Stichwortgeber in den Redaktionen ringen sich nur mühsam dazu durch, die unterirdischen schauspielerischen und politischen Leistungen im Krimi um die „Waschmaschine“ (Berlinerisch für Kanzleramt) kritisch zu kommentieren und zu hinterfragen.

Im englischsprachigen Raum zieht man es vor, bei der Beschreibung des Untergangs der deutschen Ampel genüsslich den Begriff „collapsed“ einzusetzen. In der deutschen Berichterstattung scheut man schon vor dem Wort „Zusammenbruch“ zurück und zieht das deutlich leisere „Zerbrechen“ oder „Auseinanderbrechen“ des Konstrukts vor. Und ein paar Töne sanfter formuliert ist es das „Aus“ oder „Ende“ der Ampel, sie sei nun „Geschichte“.

Wenn der Pfälzer sich Französisch verabschiedet

Volker Wissing, der Überzeugungstäter“ (ZDF heute) habe sich „kurzerhand“ (RBB24 Inforadio) seiner FDP-Mitgliedschaft entledigt, „bricht mit ihr“ (Süddeutsche), für das Redaktionsnetzwerk Deutschland habe er damit „für eine Überraschung gesorgt“. Genauso locker nimmt das die Zevener Zeitung: Wissing wolle „überraschend im Kabinett bleiben“.

Dem „Spiegel_online“ Titel nach geschah das keineswegs aus eigennützigen Gründen: „Der Liberale, der bleibt. Bundesverkehrsminister Wissing behält sein Amt und tritt aus der Partei aus. Aus christlichem Pflichtgefühl will er seine Aufgabe zu Ende bringen. Dafür überwirft er sich auch mit Christian Lindner.“ Bei SWR aktuell klingt das im Ticker ganz geschäftsmäßig: „Parteiloser Wissing übernimmt auch Justizressort“. „Capital“ spürt den harten „Wissing-Hammer: Minister stellt sich gegen Lindner“, und die FAZ übernimmt dessen Rechtfertigung direkt im Titel: „Ein Rückzug aus der Koalition wäre respektlos vor dem Souverän“. Und für die „Zeit online“ ist der frischgebackene Doppel-Minister „Der letzte Ampelfan – … verlässt dafür sogar seine Partei. Das passt zu einem Menschen, der seine Prinzipien hat – meistens.“

Siegfried Scholz, vom heimtückischen Hagen Lindner früh von uns genommen …?

Die Badische Zeitung hatte ja gewarnt: „FDP-Chef Christian Lindner gilt in der Ampel-Koalition als der Unberechenbare“. Jetzt haben wir den Salat. In vielen Kommentaren und Schagzeilen zieht man augenscheinlich den Noch-Bundeskanzler dem ehemaligen Finanzminister vor. Der Sender n-tv zum Beispiel beobachtet am Tag, nachdem Lindner „im Grunde Rausschmiss beim Kanzler bestellt“ hat, dass der nach Ampel-Aus „befreit“ wirke und nun nachlege. Lindner rechne mit der Ampel ab … erhebe schwere Kritik … und den Vorwurf der „Entlassungsinszenierung“ an Scholz, so n-tv in weiteren Überschriften, „reißt dabei aber eigene Fehler an“. Und der Sender prophezeit, dass das Ampel-Aus nun „fast jeden im Land, Millionen Bürger empfindlich treffen könne … Deutschlandticket, Jobs, Bauprojekte, Steuerentlastung“.

Bei den Tagesthemen fehlt der Überschrift eigentlich nur das vorangestellte „Ätschi“ – „Aus der Ampel wird Rot-Grün und Lindner ist nun Ex- Minister“. Das Hauptstadtstudio weiß: „Lange hat er versucht, das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP zusammenzuhalten. Doch nun ist Krisenkanzler Scholz mit seinen Bemühungen ans Ende gekommen.“

Die Tagesschau titelte brachial: „Bundeskanzler Scholz schmeißt Finanzminister Lindner raus“, und mutmaßt danach, ob sich der „Ex-Finanzminister Lindner verzockt hat?“ Hat tags darauf aber mit dem Rausschmeißer Mitleid: „Attacke gegen Scholz in der Aktuellen Stunde … er kommt dabei besonders schlecht weg“.

Der Merkur aus München zitiert Annalena Baerbock, deren „Aussagen zum entlassenen Finanzminister Lindner tief blicken ließen“. Außerdem „spotte Merz über Habeck … und Markus Söder trete nach Ende der Koalition nach“.

„Ruhr24“ verspricht in seiner Schlagzeile Geschenke: „Nach Ampel-Aus: Diese fünf Pläne hat Olaf Scholz noch bis Weihnachten“, und auch die Frankfurter Rundschau sieht das so: „Kanzler Scholz will mit Regierungsendspurt punkten – für Neuwahlen“, was die Rheinische Post bestätigt: „Welche Projekte Scholz bis Jahresende noch durchbringen will …“, und das Dilemma sei, dass „die FDP raus aus der Regierung gehe, der Kanzler und die Minister von SPD und Grünen bleiben. Das macht es schwierig, wichtige Pläne noch umzusetzen.“ Und die FR warnt Scholz schon vor: „Lindner mit schamloser Kampfansage“.

Für den Bundeskanzler, so das Redaktionsnetzwerk Deutschland, war dies die „Befreiung aus der Ampel …, mit deren Bruch er nun Führungsstärke zeigt“.

Beim Stern klingt es, wenn „Scholz Lindner rauswirft“, nach Kneipenschlägerei: „Anruf, Rausschmiss, Demontage – Bericht aus einer wilden Nacht in Berlin“.

Beim Focus blickt man hoffnungsvoll darauf, dass „Scholz ein Neuwahl-Wunder schaffen“ könne, und „was das für unser Geld bedeuten“ würde.

Für die Süddeutsche Zeitung ist die „To-do-Liste des Olaf Scholz noch lang … und der Kanzler präsentiert sich als Mann mit großen Plänen – vor allem für die schwächelnde Wirtschaft habe er noch Ideen“.

Das Video des „ZDF“ bei Youtube zum Ampel-Ende steht unter dem Titel „Minister Lindner hat zu oft blockiert“. Aber wenn man sich der Meinung des Senders zu den „Folgen des Ampel-Aus“ anschließt, heißt eine „Minderheitsregierung nicht sofort Chaos“.

„Der Westen“ hat eine klare Meinung: „Lindner will, dass Normalverdiener noch mehr Lasten tragen müssen“, der sei „in der Opferrolle – was hat er denn geglaubt, das passiert?“ Am Tag danach habe es in einer „eisigen Begegnung mit Scholz keinen Handshake gegeben“ und Lindners Ehefrau habe „in Berlin eine brisante Rolle gespielt“.

Für den „Tagesspiegel “ ist der Ex-Finanzminister „Kalkuliert rücksichtslos: Wie Christian Lindner politisch denkt“, da kann man nachvollziehen, dass das Blatt dem Kanzler am Tag danach bescheinigt, er habe „zum Lindner-Rausschmiss nachgelegt“. Das Blatt formuliert, nicht ganz neutral, die Frage an seine Leser: „Sind Sie enttäuscht von der FDP, … die aus der Koalition ausgetreten und ein politisches Beben in Berlin hinterlassen hat …?“.

Scholz, der reine Tor …?

Bei der Berliner Zeitung hält man viel von der „Staatskunst des Kanzlers“, der erst Lindner erledigt und dann Merz den Schwarzen Peter zugespielt habe: Der Kanzler habe den „Befreiungsschlag aus der Ampelregierung gewagt, die zu Stillstand und Chaos geführt“ habe. Er verfolge nun „einen eng getakteten Plan“.

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