Tichys Einblick
Kulturkampf und Zivilisationskrieg

Ist Gewalt gegen die AfD erlaubt – oder sogar erwünscht?

Ist die AfD einfach noch eine weitere Partei im Wettbewerb um die Macht - oder ist sie ein Machtkonkurrent und Demokratiefeind, der mit allen, auch ungesetzlichen Mitteln bekämpft werden muss? NZZ-Autor Heribert Seifert über die entgleisende deutsche Debatte.

© Carsten Koall/Getty Images

Da die heldenhaften antifaschistischen deutschen Journalisten durch den Fluch der späten Geburt daran gehindert wurden, den realexistierenden Nationalsozialismus zu bekämpfen, muss man halt mit dem Gegner vorlieb nehmen, der jetzt zur Verfügung steht. Und das ist die AfD. Seit ein paar Wochen rollt in Presse, Radio und TV eine Kampagne, die alle Ressourcen des  Gewerbes aufbietet. Jeder Huster, jeder beiseite gemurmelte Halbsatz und selbst die Kleidungsstile von Vertretern jener Partei werden mit investigativen Furor ins Licht der Öffentlichkeit gebracht, kommentiert und beurteilt, auf dass dem Publikum bei der eigenen Meinungsbildung keine Fehler unterlaufen.

Die Botschaft ist immer dieselbe und wird mit jener schönen Beharrlichkeit gedruckt und gesendet, die älteren Zeitgenossen noch aus dem gleichfalls antifaschistischen Repertoire der Medien vertraut ist, die eine ähnliche Aufklärung bis 1989 zwischen Elbe und Oder betrieben haben. Die Kampagne läuft auf allen Ebenen: auf der Pöbelebene des Boulevards und der TV-Talkshows und in den feinsinnigen Feuilletons ebenso wie auf der Ebene einer politischen Berichterstattung, die alle Professionsregeln im Dienste der guten Sache suspendiert. Sie mobilisiert nicht nur Haudrauf-Politiker, journalistische Moraltrompeter samt angeschlossenem Randalier- und Prügelpöbel, die dann an Wahlständen zur Tat schreiten oder die Autos der Akteure beschädigen. Engagement ist mittlerweile auch von solchen Vertretern der „Zivilgesellschaft“ gefordert, die man nicht in der ersten Reihe solcher Auseinandersetzungen erwartet und denen man eigentlich einen Vertrauensvorschuss einräumen möchte.

Massive Kampagne

Da ist zum Beispiel Andreas Wirsching, ein ausgewiesener Historiker und Leiter des respektablen „Instituts für Zeitgeschichte“ in München. Auch Wirsching hatte jetzt seinen Auftritt im Kreis der Zola-Nachfolger und „Ecrasez l´ infame!“-Rufer. Bereitwillig gab er den Kronzeugen für die These eines Interviewers vom Deutschlandradio, der mit dem Aufkommen der neuen „Rechtspopulisten“ einen historischen Bruch mit der tradierten „Identität“ der Republik zu erkennen glaubte. Mit der Aura des Experten lieferte Wirsching dabei eine knappe Skizze des Gefahrenraums, in den wir eintreten, wenn wir die Gaulands, Petrys, Höckes e tutti quanti einfach so hinnähmen. In trautem Einklang konstruieren beide, der Journalist und der Historiker, ein bizarres Geschichtsbild und ein  bemerkenswertes Verständnis der Verfassungsordnung. Und daraus lässt sich die Lageeinschätzung ableiten, die in diesen Kreisen derzeit herrscht und die beunruhigt.

Doch der Reihe nach. Schon der Einleitungstext zum Gespräch wird jeden Freund des Lügenpresse“-Vorwurfs juchzen lassen. Der 1986 ausgetragene Streit zwischen dem Faschismus-Forscher Ernst Nolte, der bei der Interpretation des Nationalsozialismus auch den Sowjetkommunismus in den Blick nehmen wollte, und dem Philosophen Jürgen Habermas, der in solchem vergleichenden (nicht gleichsetzenden) Denken schon eine Apologie der einzigartigen deutschen Verbrechen identifizierte, wird in eine bestimmte Lesart gepresst und dann mit der Gegenwart kurzgeschlossen:

„Der auch durch die damals erbittert geführte Debatte erzielte Grundkonsens unserer Gesellschaft steht inzwischen auf der Kippe.“

Etwas später heißt es:

„Der Historikerstreit war ja auch ein Ringen um unsere Identität, also was ist tabu? Und tabu ist, die deutsche Verantwortung in Frage zu stellen.“

Daran ist so ziemlich alles falsch und schief. Die damalige „Debatte“ war keine, sondern eine an Tücke und auch an philologischer Niedertracht schwer zu überbietende Denunziation. Mit zum Teil unzutreffenden Zitaten und mit einer bemerkenswerten historischen Ignoranz des allzuständigen Meisterdenkers zielte Habermas gerade nicht auf einen wissenschaftlich und politisch-argumentativ auszutragenden Diskurs, sondern auf Aufrichtung von Denkverboten und Untersagung von multiperspektivischer Betrachtung der kontaminierten Vergangenheit. Sprach- und Interpretationskonventionen sollten durchgesetzt werden. Zugleich ging es darum, ein Exempel für den Umgang mit Abweichlern zu statuieren: Ernst Nolte wurde in Deutschland (freilich nur dort) ausgeschlossen aus dem Kreis der als zurechnungsfähig geltenden Teilnehmer öffentlicher und wissenschaftlicher Kommunikation.

Diesen Akt der brachialen Etablierung historisch-politischer Korrektheit als Erzeugung eines „Grundkonsens“ zu bezeichnen, wäre zynisch, wenn es nicht, wie zu vermuten, einfach vernagelt dämlich ist.

Kulturkampf- und Zivilisationskriegs-Modus

Auffällig ist an dem Zitat aber auch die Verwendung des Begriffs „unsere Identität“, ist diese Formulierung unter den Blechtrommlern der Merkel’schen Modernisierung Germanistans doch eigentlich ein verbotenes Wort. Verwenden darf man es aber offensichtlich in Verbindung mit „tabu“, was den repressiv-obrigkeitlichen Charakter dieser politischen Instrumentalisierung von deutscher Geschichte unterstreicht.

Mit Blick auf die intellektuelle Zurichtung des operativen Feldes für den Kampf gegen die AfD sind derlei Widersprüche für die „Kämpfer gegen rechts“ aber ohne Belang. Denn wenn die „deutsche Identität“ vor allem auf einer einmal fixierten Lesart der NS-Geschichte beruht, dann braucht man nur noch hinreichende Evidenzen dafür zu beschaffen, dass die AfD gegen diese Lesart und damit gegen die deutsche Identität verstößt, um gegen die Partei massiv vorzugehen. Das kleine, an eher abgelegenem Ort publizierte Interview macht damit deutlich, wie man im dominierenden Milieu den „Kampf gegen rechts“ mental konfektionieren möchte: Die AfD gilt nicht einfach als neue Partei, die nahezu schulbuchgetreu deshalb entstand, weil das bestehende politische Kartell die Problemwahrnehmung des Volkes konsequent ignorierte. Es geht nicht mehr darum, dass in einem gesellschaftlichen Teilsystem durch das Auftreten eines neuen Mitspielers die Karten neu gemischt werden könnten. Die AfD und die ihr verbundenen Milieus gelten vielmehr als fundamentale Herausforderung der politischen und kulturellen Gewissheiten, deren Veränderung auf möglichst vielen Feldern mit strikten Tabus belegt waren oder für Dissidenten nur knappe Spielräume zuließen.

Einer solchen fundamentalen Herausforderung kann man nicht mehr mit den üblichen Mitteln der politischen Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Parteien begegnen, sondern muss in einen Kulturkampf- und Zivilisationskriegs-Modus schalten. Den Herrschaften geht es offenbar ums Ganze. Und welches Vorgehen da notwendig ist, darüber plaudern der Journalist und der Historiker ganz unverhohlen im zweiten Teil dieses Radiointerviews.

Andreas Wirsching will die „Instrumente einer wehrhaften Demokratie neu diskutieren:“ Dazu gehört für ihn nicht bloß, dass Schluss sein muss mit den ständigen Auftritten von AfD-Politikern in den Medien. Die Begründung ist grandios:

„Denn das (=die Medienauftritte) ist eine kognitive Realitätsverweigerung, die sich immunisiert gegen jedes Gegenargument.“ Das hat schon die Qualität von Orwell’schem Newspeak: Das Publikum daran zu hindern, Gegenargumente zur herrschenden Politik auch nur wahrzunehmen, gilt als Ausweis besonderer Realitätstüchtigkeit und Argumentationsbereitschaft.

Orwell’scher Newspeak überall

Vor allem aber ist ihm „unerträglich“, dass immer noch Gerichte Versammlungsverbote und die „Untersagung, in bestimmten Räumen zu demonstrieren“, aufheben und so der Partei Spielräume lassen, die sie nicht verdient. „Rechtsformalismus, Rechtspositivismus“ nennt das der Direktor jenes historischen Instituts in Deutschland, das explizit mit dem Auftrag der Erforschung der NS-Diktatur gegründet wurde. Er möchte, dass mit solcher „ganz formalistischen“ Argumentation Schluss sei. Keine Frage: wenn sich ein beamteter AfD-Politiker zu solchen Ausfällen gegen Grundprinzipien unserer politischen Ordnung hinreissen ließe, hätte er ein Disziplinarverfahren zu erwarten, von dem einschlägigen öffentlichen Aufruhr ganz zu schweigen. Herr Wirsching wird dagegen auf Zuspruch für seine „mutige“ Positionsnahme rechnen dürfen. Vielleicht hat Herr Maas ja in einem seiner diversen Kontroll- und Überwachungsbeiräte noch einen Platz frei.

Die Zügellosigkeit, mit der in intellektuellen Kreisen der „Kampf gegen rechts“ mittlerweile auch die Aufhebung von Grundrechten propagiert oder mindestens billigend in Kauf genommen wird, erschreckt. Hier spricht eben nicht ein durchgeknallter Journalist, tobt nicht ein Agent der Neo-Stasi für Internet- und Redekontrolle, sondern ein ausgewiesener Vertreter der Zunft, die auf abwägendes Urteil verpflichtet sein sollte. Und dennoch will er Rede- und Versammlungsrechte massiv einschränken, greift die unabhängige Justiz an.

Diese Stimmung ist nicht auf Deutschland beschränkt ist. Ähnliches ist in den USA beim Kampf gegen Donald Trump zu beobachten. So rückte gerade das Magazin „THE NEW YORKER“ den republikanischen Kandidaten in einer gewundenen Sottise doch recht nah an unser aller Gottseibeiuns Adolf Hitler heran. Hillary Clintons Propaganda operiert mittlerweile in ähnlicher Richtung und bringt in diesem Zusammenhang auch den Tyrannenmord ins diffuse Spiel. Die Folgen beschreibt Scott Adams , Autor der Dilbert-Comics, auf seinem Blog mit beißender Ironie:

„Wenn Clinton es schafft, in unseren Köpfen Trump mit Hitler gleichzusetzen – wie sie das jetzt versucht – und dennoch verliert, dann denkt ein Viertel des Landes, es sei moralisch gerechtfertigt, seinen Führer zu ermorden….

Ich habe deshalb entschieden, Hillary Clinton bei ihrer Kandidatur für die Präsidentschaft zu unterstützen, aus Gründen meiner persönlichen Sicherheit. Trump Anhänger haben keine bösen Gefühle gegenüber amerikanischen Patrioten wie ich einer bin. Deshalb habe ich von ihnen nichts zu befürchten. Aber die Clinton-Anhänger haben mich überzeugt – und das meine ich zu 100% ernst – , dass meine Sicherheit in Gefahr ist, wenn man mich für einen Trump-Anhänger hält.“

Auch als notorischer Optimist gerät man da doch ins Grübeln. Wenn diese Schlussfolgerung richtig sein sollte, dann wird es Zeit, dass wir uns mit den Verhältnissen in der Türkei und Weissrussland doch noch aus einem anderen Blickwinkel beschäftigen. Könnte sein, dass dort schon unsere „postdemokratische“ Zukunft zu besichtigen ist.

Heribert Seifert beobachtet für die NZZ die deutsche Medienszene und schrieb dort zuletzt über die verlorene kritische Distanz sowie über die blinden Flecken der Berichterstattung. Er ist Mitherausgeber des im August erscheinenden Buches „Der Unterricht ging pünktlich weiter. Zur Geschichte des Gymnasium Petrinum in Recklinghausen in der Zeit von 1933 bis 1945“.

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