Die Eskalation läuft, Österreich kündigt seinerseits verstärkte nationale Grenzsicherung an.
Der Independent aus Dublin sieht Angela Merkel aus den Reihen der CSU gerettet. „Ihr rebellischer Innenminister habe letzte Nacht zunehmend isoliert ausgesehen, nachdem seine Partei sich im Streit um die Zuwanderung auf die Seite der Kanzlerin geschlagen habe”.
Die Irish Times gibt zu Bedenken, dass selbst die hartgesottensten Beobachter nun “völlig perplex“ seien. „Diese beispiellose Krise in der deutschen Mitte-Rechts-Politik schockiere auch den ganzen europäischen Kontinent. Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Uni Duisburg-Essen meine, dass dieses „kollektive Führungsversagen… Vertrauen und guten Willen für die Zukunft verspielt habe…“ Und die Opposition habe nur schwer ihre Schadenfreude über den angeschlagenen Zustand der Koalition von Angela Merkel verbergen können. Dr. Sahra Wagenknecht habe gesagt: „Jeder normale Bürger, der seinen Job so gemacht hätte, wäre ihn blitzschnell losgeworden.“
Sky News findet, dass sich der Ruf der Kanzlerin als “grösste Überlebenskünstlerin”, die es wieder einmal geschafft habe, einmal mehr bestätigt habe. „Sie sei aus Brüssel mit einem neu geschmiedeten, Kritiker würden sagen zusammengekleisterten Abkommen mit den Europäischen Partnern zur Behandlung von Asylbewerbern und Zuwanderern zurückgekehrt … und ihre Koalitionspartner hätten für den Augenblick darauf verzichtet, die Regierung zu versenken… aber auch Nachfolger Horst Seehofers würden wohl eher eine noch härtere Linie verfolgen.“
Auch die BBC scheint erleichtert, dass das „Duell zwischen Seehofer und Merkel vorbei ist“. Die BBC-Reporterin Jenny Hill in Berlin meint, „Mr Seehofer habe wohl sein Blatt mit seinem Ultimatum überreizt, nachdem Merkel aus Brüssel mit einem Abkommen über eine EU-weite Strategie in Händen zurückgekehrt sei..“
NPR (National Public Radio) ist sich sicher, dass „nur der Kompromiss zur Zuwanderung A. Merkel an der Macht gehalten habe.“ Dadurch „würden Asylanten aus sog. Ankerzentren zurück in die Staaten geführt, über die sie zuerst eingereist seien… das könne man aber schwerlich als Sieg für Seehofer werten, wenn man einbeziehe, dass Abkommen dazu nicht einmal mit Österreich existierten.“
Die NY Times geht mit Merkel ins Gericht: Die Kanzlerin, „die durch ihr Willkommen für hundertausende Zuwanderer ihr gesamtes politisches Erbe aufs Spiel gesetzt habe, sei nun einverstanden damit, dass Grenz-Lager für Asylanten gebaut und die Grenze zu Österreich stärker überwacht würde, um ihre Regierung zu retten. Ein spektakuläre Kehrtwendung für eine Führerin, die lange als Standartenträgerin einer liberalen Europäischen Ordnung gesehen worden sei, die aber wegen ihrer Zuwanderungspolitik nun unter gewaltigem Druck aus ihrer eigenen Regierungspartei und der extremen Rechten stünde. Obwohl dieses Zugeständnis an die Konservativen ihre zunehmende politische Schwäche blossgelegt habe, wird Ms. Merkel als Kanzlerin weiterhumpeln. Für wie lange, sei unklar.Der Nationalismus und die Anti-Zuwanderungs-Strömungen, die den Multilateralismus in ganz Europa in Bedrängnis brächten fassten nun – sehr schnell- Fuss im politischen Alltagsgeschäft Deutschlands.“
El Pais schreibt, dass “die deutsche Regierung sich darauf geeinigt habe, Migrantenzentren an der Grenze zu Österreich zu bauen. Diese Übereinkunft habe Seehofer erlaubt, sein Gesicht zu retten und seine Rücktrittsdrohung zurückzuziehen.“ Sigmar Gabriel, sozialdemokratischer Aussenminister in der letzten Groko, habe das Unbehagen in einem Tweet zusammengefasst: Die CSU habe Deutschland und Europa in Geiselhaft genommen, was die Demokratie in diesem Land in beispielloser Weise geschädigt habe…man könne aus Zorn über diese Verantwortungslosigkeit nur rufen : Aufhören!“.
La Vanguardia aus Barcelona zeigt das Foto einer sehr erleichtert wirkenden Kanzlerin, „deren Übereinkunft mit Seehofer die Regierungskrise beendet habe.“
„Österreich verstärke nun seinerseits die Grenzkontrollen“ schreibt El Periodico.
Die ultrakonservative Regierung in Wien antworte nun auf das deutsche Abkommen mit mehr restriktiven Massnahmen. Diese Reaktion habe nicht lange auf sich warten lassen: In den frühen Morgenstunden habe die österreichische Regierung eine Mitteilung herausgegeben, der zufolge sie das Land darauf vorbreite, nationale Massnahmen zur Grenzsicherung zu ergreifen.“
Le Monde sieht Angela Merkel nur noch „Auf Bewährung“- sie habe aber ihre Regierung gerettet, und sich endlich von ihrer Willkommenspolitik verabschiedet, bleibe aber das bevorzugte Ziel für die härtesten Strömungen bei den Konservativen. Sie werde ihre Anstrengungen verdoppeln müssen, um ihre Autorität wiederherzustellen und ihre zerbrechliche Koalition zu konsolidieren. Ein Vertrauter Seehofers, Markus Blume, spreche von einem Wendepunkt in der deutschen Asylpolitik, dagegen habe Bernd Riexinger, ein Führer der radikalen Linken, bezüglich der geplanten Ankunftszentren von „Massen-Konzentrationslagern“ gesprochen und von der SPD verlangt, den Kompromiss abzulehnen.“
Und bei Youtube klingen die Meldungen von euphorisch (France 24 – „Und wer gewinnt am Ende? Angela Merkel“) bis skeptisch: (Euronews – “Die SPD sieht Rot”)
Bei Atlantico vergleicht man die Kanzlerin schon mit dem späten Napoleon:
„Sie werde es schwierig haben, ihre vierte Amtszeit abzuschliessen. Das sei ein bisschen wie bei Napoleon und seinem französischen Feldzug (vor Waterloo, Anm.) . Die brillianten Manöver seien noch da… aber das Umfeld werde immer feindseliger. Was sie noch an der Macht halte, sei die Furcht vor der Leere, in Deutschland wie in Europa. Daher mache man ihr genau das immer mehr zum Vorwurf: Sie habe die Krise, die sie nun an der Macht halte, selbst ausgelöst.“
ANSA berichtet von der „Einigung auf Transitzentren, um den gemeinsamen europäischen Geist zu erhalten“.
Milano Finanza schreibt: Merkel habe ihre Regierung gerettet. Wenigstens bis heute Abend… für den ein Gipfeltreffen der drei Koalitionsparteien geplant sei. Ein SPD-Experte für die Zuwanderung, Aziz Bozkurt, habe mittlerweile bei der „Welt“ die Zuwanderungsbeschränkungen kritisiert: Die gingen genau in die Richtung der Rechtsextremen.“
Bei der RAI kommt der österreichische Kanzler zu Wort, „der nun „Klartext“ aus Deutschland erwarte: Wenn der gestrige Übereinkunft bestehen bleibe, dann sei man dort bereit, Vorkehrungen zu treffen, um Schaden von Österreich abzuwenden… und Salvini habe geantwortet:
“Österreich sei bereit, die Grenze zu sperren? Für sie sei das ein Geschäft: es gebe mehr, die nach Italien zurückkehrten, als nach Österreich abwanderten. Bereits Morgen könne man die Brennerkontrollen wieder einführen. Dabei könne Italien nur gewinnen“.