Tichys Einblick
Internationale Presse:

Im westlichen Ausland blinzelt man irritiert zur deutschen Wahl

Auslandsmedientenor: Die Deutschen vertrauen am ehesten dem Kandidaten und den Parteien, die versprechen, dass sich nichts ändert.

IMAGO/photothek

„Zwei Kanzler, zwei Königsmacher“; „Lasst das Pokern beginnen!“; „Zwei Möchtegern-Kanzler“ – so lauten einige der Schlagzeilen nach der Bundestagswahl. Die Daily Mail hebt das nun offenbar bevorstehende MONATELANGE Verbleiben Angela Merkels im Amt besonders hervor… die Konservativen (gemeint sind CSU und CDU, Anm.) „…steuerten auf ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegszeit zu, obwohl ihr Kandidat Laschet im Sommer als klarer Favorit um den Spitzenjob in Europas größter Volkswirtschaft ins Rennen gegangen sei… dessen Popularität aber nach einer Reihe von Fehlern im Laufe des Sommers geschwunden sei, unter anderem sei er während einer Gedenkstunde an die Opfer der verheerenden Überschwemmungen in Deutschland vor laufender Kamera beim Lachen im Hintergrund erwischt worden … und am Wahltag selbst habe er durch einen weiteren Patzer beim Falten seines Wahlzettels offenbart, dass er seine beiden Stimmen für die CDU abgegeben hat..“

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Die SPD „… habe noch vor wenigen Monaten so schlechte Umfragewerte gehabt, dass viele schon die Möglichkeit abgeschrieben hatten, dass sie sogar in die nächste Regierung kommen könnte, … nun aber habe Herr Scholz, 63, ein farbloser, aber kompetenter ehemaliger Hamburger Bürgermeister, die Chance, der erste SPD-Kanzler seit Gerhard Schröder zu werden…weil er solche peinlichen Fehler vermied.“

CNBC zitiert Präsident Biden zu dem deutschen Wahlergebnis: „Na, da brat mir doch einer einen Storch…!“,  soll er ausgerufen haben, als er hörte, dass die Sozialdemokraten vor der CDU/CSU lägen…“ Daniela Schwarzer, Exekutivdirektorin für Europa und Eurasien bei den Open Society Foundations, sagte dem US-Sender in Berlin dass es „bei der SPD eine starke Gruppe von „ziemlich amerikanisch-kritischen“ Leuten gebe… die davon überzeugt werden müssten, dass das transatlantische Bündnis etwas ist, das wir derzeit sehr dringend brauchen“.

Für Politico „scheint es, also ob die SPD die Oberhand habe, denn sie seien nicht nur Erste geworden, sondern hätten auch noch aufgeholt… im Gegensatz zur CDU und ihrem bayerischen Partner, die gegenüber ihrem letzten Ergebnis implodiert seien…“

Weder Scholz noch Laschet haben das Sagen
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Annalena Baerbock, die ihre Partei bei einer Bundestagswahl zum besten Ergebnis aller Zeiten führte, habe geschworen, dass die Grünen bei den kommenden Verhandlungen nicht herumgeschubst würden. Zusätzlich zu einer strengeren Klimapolitik werde ihre Partei darauf bestehen, soziale Gerechtigkeit und Jugendfragen zu Prioritäten für die nächste Regierung zu machen… „Politik ist kein Basar“, habe sie hinzugefügt.

„Angela Merkel werde sich nach 16 Jahren nun damit abfinden müssen die Macht an die Partei abzugeben, der sie den Kanzlerposten einmal weggeschnappt habe. Sie wird auch aus ihren eigenen Reihen dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie ihre Nachfolge verpfuscht hat, indem sie sich nicht mit mehr Enthusiasmus an der Kampagne beteiligt habe.“

Am frustrierendsten für Merkel, die in den letzten Monaten wehmütig von einem Leben nach der Politik, Bücherlesen und Reisen gesprochen habe, sei, dass sie im Dezember möglicherweise wieder einen glänzenden Seidenanzug anziehen müsse, um die traditionelle Neujahrsansprache zu halten.“

Die BBC berichtet von einem „schmalen Sieg von Mitte-Links über Merkel’s Partei… der sie dadurch nun mitgeteilt hätten, dass sie nicht länger an der Macht bleiben solle…“ Deutschland sei „..das reichste und mächtigste Land der EU. Seine große Rolle auf der Weltbühne werde durch den Abgang von Angela Merkel nicht plötzlich schrumpfen.Deutschlands Verbündete und Handelspartner schätzten seine politische Stabilität. Ein „Change“ mit einem kleinen „c“ werde daran nichts ändern..“

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Und weiter die BBC: „Bazooka-Mann“ Scholz habe sein Image als „Technokrat und Scholzomat“ hinter sich gelassen, und während Angela Merkel sich auf ihren Rücktritt vorbereite, käme ihm auch seine Bilanz bei der Aufrechterhaltung der deutsch-französischen Solidarität zugute…. so habe der französische Finanzminister Bruno Le Maire nicht nur „Olaf“ für seine Solidarität mit Frankreich, sondern auch seinen Bruder Dr. Jens Scholz, der sechs schwerkranke französische Covid-19-Patienten ins Kieler Krankenhaus gebracht hatte, gelobt: „Also danke, Olaf, für alles, was du schon getan hast. Danke aber auch an deinen Bruder. Es ist wirklich eine tolle deutsche Familie, die Familie Scholz“, zitiert die BBC Le Maire.

Die New York Times fragt: „Was haben eine Ampel, die jamaikanische Flagge und eine Kiwi gemeinsam? Wer die deutsche Politik genau beobachte, wisse, dass alle drei Spitznamen für potenzielle Regierungskoalitionen sind.“

„Mit der Wahl am Sonntag ginge eine Ära für Deutschland und Europa zu Ende. Über ein Jahrzehnt lang sei Frau Merkel nicht nur Kanzlerin Deutschlands, sondern praktisch die Führerin Europas gewesen und habe ihr Land und den Kontinent durch aufeinanderfolgende Krisen gesteuert und Deutschland damit erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg zur führenden Macht in Europa gemacht…“.

Was für ein Unterschied ein paar Monate machen. Heute sind Herr Scholz und seine einst todgeweihte Partei unerwartet die Favoriten für die nächste Regierung.
Herr Scholz hat es im Wahlkampf geschafft, die lange Hauptlast seiner Partei – die als Juniorpartner von Merkels Konservativen mitregiert – zu seinem wichtigsten Kapital zu machen: Bei einer Wahl ohne Amtsinhaber hat er sich als Amtsinhaberin – oder der Frau Merkel am nächsten steht, gestylt.“

„Die Deutschen sind kein sehr veränderungsfreundliches Volk, und der Abgang von Angela Merkel ist für sie im Grunde genug Veränderung“, sagte Christiane Hoffmann, eine prominente politische Beobachterin und Journalistin. „Sie vertrauen am ehesten dem Kandidaten, der verspricht, dass der Übergang so einfach wie möglich ist.“
Scholz hat sich mit der charakteristischen rautenförmigen Handgeste der Kanzlerin – der „Merkel-Rhombus“ – fotografieren lassen und verwendete die weibliche Form des deutschen Wortes für Kanzler auf einem Wahlplakat, um die Deutschen davon zu überzeugen, dass er Frau Merkels Arbeit fortsetzen könnte, obwohl er ein Mann ist. Die Symbolik ist nicht subtil, aber sie funktioniert.

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Der Korrespondent der Irish Times hält die deutschen Wähler für „einen vorsichtigen Haufen und am Sonntag hätten sie für den politischen Wandel gestimmt – allerdings mit halb angezogener Handbremse … da Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mehr auf dem Stimmzettel stehe, hätten sich die Deutschen in Rekordzahlen von ihrer Christlich Demokratischen Union (CDU) zu der Person und Partei verlagert, die ihrer Meinung nach ihre Politik am ehesten fortsetzen wird: Olaf Scholz und seine Sozialdemokratische Partei (SPD). Aber ihr Wahlheld und mutmaßlicher Kanzler, sei „derselbe Mann, den die Mitglieder 2019 als Führer ablehnten.“

Und „vier Kilometer westlich wurden am Montagmorgen im Konrad-Adenauer-Haus die Messer gewetzt, um jemanden zu finden, der für das Wahldebakel und das magere Ergebnis der CDU verantwortlich ist … letzte Woche hätten einige hochrangige CDU-Vertreter bei einer einem Leichenschmaus nicht unähnlichen Treffen mit langem Gesicht Angela Merkel dafür verantwortlich gemacht, dass sie 2018 den Parteivorsitz aufgegeben, aber als Kanzlerin geblieben sei … andere zeigten mit dem Finger auf Wolfgang Schäuble, den scheidenden Bundestagspräsidenten und graue CDU-Eminenz. Er habe den unsicheren Laschet durchgesetzt, um die politischen Ambitionen von Markus Söder, dem populistischen Chef der bayerischen Schwesterpartei zu durchkreuzen. Herr Söder und seine Verbündeten griffen Laschet am Montag an, weil er „auf jede verfügbare Bananenschale getreten sei…“

Le Monde findet, dass „die Deutschen den Sonntagabend-Tatort diesmal nicht hätten vermissen müssen, denn an Spannung habe der Wahlabend durchaus mithalten können,denn am Ende des „Tatorts“ kenne man zwar immer den Mörder, aber hier ginge die Spannung ja weiter…“

Und die Zeitung belegt, dass dieser Wahlabend für die „Konservativen“ (gemeint sind CDU/CSU, Anm.) eine heillose Niederlage gewesen sei: „Bitter…..an der Ostsee war es der SPD-Kandidat, der im Wahlkreis, den Angela Merkel 31 Jahre lang innehatte, siegte. In Aachen, der Hochburg von Armin Laschet, unterlag der CDU-Kandidat dem der Grünen. Im Saarland verlor der Merkel-treue Wirtschaftsminister Peter Altmaier gegen seinen auswärtigen Amtskollegen, den Sozialdemokraten Heiko Maas. In derselben Region wurde Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer von ihrer SPD-Gegnerin besiegt. In Hessen unterlag auch Helge Braun (CDU), Nummer zwei im Bundeskanzleramt, einem Sozialdemokraten….“

France 24 hält diese Wahl für „historisch“: „Die deutschen Liberalen feiern ein Comeback und versprechen, in der Post-Merkel-Koalition unverzichtbar zu sein. Aber zu welchem Kompromiss sei diese eher rechts zu verortende Partei bereit, um mit der Öko-Partei, ihren „Lieblingsgegnern“, zu regieren? Mit 11,5% bei den Parlamentswahlen am Sonntag kann sich die FDP sicher sein, dass sie weit mehr als den vierten Platz errungen hat. Sie sei, zusammen mit den Grünen (14,8%) „Kanzlermacher“ …“

Wer gelb gewählt hat, bekommt grün
Lieber ganz schlecht regieren, als gar nicht regieren
Und Europe1 verrät uns, dass Emmanuel Macron „..trotz eines Treffens mit 200 Küchenschefs in Lyon immer mit einem Ohr am Telefon gewesen sei, um die deutschen Wahlen keinen Moment zu verpassen…“ Das, so eine Quelle nahe des Präsidenten, belege die enge Beziehung, die Macron mit Kanzlerin Merkel aufgebaut habe…“ Frankreich hoffe, während seiner bevorstehenden EU-Ratspräsidentschaft „schnell“ einen „starken“ deutschen Kanzler an seiner Seite zu haben, um Europa voranzubringen, sagte der französische Staatssekretär für Europaangelegenheiten am Montag. „Wir haben ein Interesse daran, schnell eine starke deutsche Regierung zu haben“, so Clément Beaune zum Sender France 2“

La Stampa zitiert Finanzminister Scholz mit den Worten „dass dieser zuversichtlich sei, dass Angela Merkel in diesem Jahr die Neujahrsansprache nicht halten werde“. Zudem bekräftigte er, dass der „Wille der Wähler eine Regierung aus SPD-Grünen und FDP sei und solch eine Koalition gute historische Grundlagen besitze…Deutschland sei solide“.

Für die Repubblica habe Annalena Baerbock es zwar auch als Meisterin im Trampolinspringen nicht geschafft, auf den Sessel der Kanzlerin zu hüpfen.. trotzdem werde ihre Partei aber fast sicher Teil der nächsten Regierung … nur das klassische Element, das letztlich jede Wahl entscheidet, bleibe das Portemonnaie. Die Grünen wollten den Kohleausstieg und den Termin für ein emissionsfreies Deutschland vorziehen und hätten den Unternehmen großzügige Anreize für die Energieumwandlung versprochen. Doch für ein Land mit hohem Energieverbrauch, das sich auch für den Atomausstieg entschieden habe und dessen Bürger die höchsten Abgaben in Europas belasteten, bleibe die Frage: Wer zahlt?“

Il Foglio beschreibt die Reaktionen in Italien auf die deutsche Bundestagswahl:
Enrico Letta, Vorsitzender des Partito Democratico, ist sich ziemlich sicher, was das Ergebnis in den nächsten Tagen sein werde. „Kanzler wird Scholz, daran habe ich keinen Zweifel. Und das wird er, weil er der CDU das positive Erbe der Merkel-Ära abringen konnte.“

Vorsitzender der Partei „Italia Viva“, Matteo Renzi: „…entscheidend seien die Liberalen und die Grünen… der Name des Kanzlers hänge von ihnen ab, mehr als von den großen Parteien. “ Dessen andere Überlegung sei, dass „Europa von Deutschland abhängig sei, aber in diesem Klima der deutschen Unsicherheit und Instabilität hätten sich das gedreht und Draghi bilde seit heute zusammen mit Macron die europäischen Führung“

Es wird weitergemerkelt
Was der rotgrüne Klimastaat für Deutschland bringt
Matteo Salvini sei einer der ersten gewesen, der sich gestern zu den ersten Hochrechnungen geäußert habe: „Wenn sich die ersten Daten mit einer sensationellen Niederlage der Mitte-Rechts und dem Sieg der Sozialisten bestätigten, sei es noch wichtiger, dass die italienische Mitte-Rechts in Italien, aber vor allem in Europa zusammenkomme und zusammenarbeite in Brüssel, Spaltungen und Parteiinteressen überwänden. Möge die Deutschstunde eine Lehrstunde sein, sonst hat die sozialkommunistische Ideologie in Europa keine Grenzen mehr „, habe der Parteisekretär der Lega Nord gesagt..“

Aussenminister Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung: „Wir bewegen uns auf einen großen Sieg für die proeuropäischen Kräfte zu. Ein ausgezeichnetes Zeichen, die Souveränisten seien wieder einmal besiegt worden“

El Diario aus Madrid schreibt: Für eine „neue Regierung werde es mit ziemlicher Sicherheit drei Parteien brauchen. Schätzungen zufolge würde es sowohl für eine Regierungskoalition „Ampel“ als auch „Jamaika“ reichen… theoretisch wäre es noch möglich, eine „große Koalition“ zwischen Sozialdemokraten und Konservativen neu aufzulegen…aber viele Analysten hielten Diese für politisch wenig tragfähig…die extreme Rechte hingegen käme, weil sie sich in „sanitärer Isolation“ befände, nicht für eine Koalition in Frage…“

Carlos Alsina zieht beim spanischen Sender Ondacero denselben Schluss:
„In Deutschland hielten die Grünen den Schlüssel in der Hand, die Liberalen und die Gruppe der Linken, denn die Alternative für Deutschland, die extreme Rechte, mit denen paktiere niemand..“

El Mundo Financiero aus Madrid sieht die Märkte wenig beeindruckt: „Der Aktienmarkt, national und international, habe der Bundestagswahl wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dies sei nicht verwunderlich, da die Probleme überwiegend nationaler Tragweite seien. Daher sei es schwierig, international größere oder gar nachhaltige Auswirkungen zu erwarten…zumal es keine Koalition aus SPD, Grünen und „Die Linke“,…die die geostrategische Ausrichtung Deutschlands hätte in Frage stellen können, geben werde…und auch eine lange Phase der Koalitionsbildung dürfe daher keine Auswirkungen auf den deutschen Markt haben…“

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