Tichys Einblick
ZDF-Talk um den heißen Brei

Lesen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen. Illner talkt sich ins Leere.

Die Babyboomer gehen in Rente. Doch wo bleibt der Nachwuchs? Warum arbeitet die Jugend so wenig? Und wo bleiben die seit Jahren gesuchten Fachkräfte? Willkommen bei Maybrit Illner. Wo all diese Fragen zur Debatte stehen. Und keine davon beantwortet wird. Von Michael Plog

Screenprint ZDF / Maybrit Illner

„Das deutsche Wohlstandsmodell wackelt“, wirft Illner zu Beginn dramatisch in die Talk-Runde zum Thema „Arbeitskräfte dringend gesucht – wer sichert Wirtschaft und Wohlstand?“. Doch schnell ist klar: Hier, an diesem Tisch, wackelt wenig. Andrea Nahles etwa kommt aus dem Lächeln gar nicht mehr heraus. Ist es die Zufriedenheit, dass sie nach ihrem Abgang aus der Politik doch noch einen gutdotierten Posten zugeschoben bekam? Die Freude über den Vorstandsvorsitz der Bundesagentur für Arbeit scheint ihr buchstäblich ins Gesicht gebrannt. Man hat den Eindruck: Nur wenn sie auf den Studiobildschirmen sieht, dass ihr Gesicht in Großaufnahme gezeigt wird, setzt sie die halbtrübe Miene der Betroffenen auf. Doch es fällt ihr schwer. Die Freude scheint einfach zu groß. Die meiste Zeit ergeht sich Nahles, immerhin Chefsucherin jener Millionen fehlender Arbeitskräfte, im fröhlichen Höglismus (Brockhaus: Höglismus = TV-Hintergrundfeixen, benannt nach Eva Högl 2017, während Martin Schulz vor den TV-Kameras einen Terror-Anschlag betrauerte).

Die jungen Leute legen zu viel Wert auf Freizeit. Es fehlt eine halbe Million Fachkräfte. Und der Arbeitsmarkt wird bis 2035 um sieben Millionen schrumpfen. Alarmierend. „Die größte Herausforderung der nächsten Dekade“, wie Nahles sagt. Und: „Wir haben einen eklatanten Fachkräftemangel.“ Dazu ein Einspieler von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck: „Überall fehlt es“, sagt der. Ingenieure, Handwerker – keiner will. „Das ist ein richtiges Problem, das auf uns zukommt.“ Und jetzt? Weiterlächeln.

Staatlicher Interventionismus
Agentur für Arbeit inzwischen größte Bundesbehörde – Wohngeldstellen dagegen komplett überlastet
Elisabeth Niejahr (Hertie-Stiftung) erzählt, dass durch die Corona-Lockdowns viele Firmen pleitegegangen sind. Und dass ihre eigene Tochter die Eltern als „seltsame Workoholics“ betrachtet. Und dass früher 50 Prozent der Frauen gearbeitet haben, heute 71 Prozent. Bringt die Runde auch nicht wirklich weiter. Zustands-Wehklagen als zentraler Duktus des deutschöffentlichrechtlichen Abendtalks. Kennt man.

„Was sagt Rebecca Lang?“ fragt Illner. Da ist er wieder, der Illnersche Kurioskognitivismus. Mit Namen hat sie es nicht so. Erst kürzlich begrüßte sie Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Marie-Luise. Da hätte nur noch „Flak-Zimmermann“ gefehlt. Ja, und was sagt Rebecca Lang nun? „Ricarda“, sagt sie vom ausreichend großen Bildschirm herunter. Sie lächelt gequält, und man fragt sich, ob das nur an Illners Namensschwäche liegt. Was sie sonst sagt an diesem Abend: Ach, lassen wir das. Langs bester Beitrag ging etwa so: „Dass wir bei der Einwanderung Fehler gemacht haben, das oft eher zu erdulden statt aktiv zu gestalten. Da erleben wir ein großes politisches Versäumnis. Jetzt geht es darum, sehr schnell das Erwerbspotential zu heben, also dafür zu sorgen, dass mehr Frauen in Vollzeit arbeiten können und dass wir auf Einwanderung setzen.“ Niemand zerpflückt ihre Worthülsen, niemand fragt, wie Ricarda so schnelle Phrasen-Priouetten drehen kann. Einwanderung und Frauen in Vollzeit, was hat das miteinander zu tun?

Wurden eigentlich Fehler gemacht, als Andrea Nahles von 2013 bis 2017 selbst noch Arbeitsministerin war? Will Illner von Andrea Nahles wissen. Überraschende Antwort: Nein. Man habe aber eine Flüchtlingskrise bewältigt. Aha. Weiterlächeln.

Einzig Jörg Dittrich kommt an diesem Abend mit handfesten Vorschlägen. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks ist ein bodenständiger Typ, Dachdeckermeister aus Dresden. Er meint, dass wir dringend „eine Bildungswende“ schaffen müssen. Dittrich: „Wir brauchen Berufsberatung an allen Schulen, auch an den Gymnasien. Weil: Die Priorisierung, die wir haben, ist uns aus dem Ruder gelaufen. Es gehen zu viele in Richtung Studium, die vielleicht zu einem zu späten Zeitpunkt erkennen, dass sie dort gar nicht gut aufgehoben sind“, sagt er. Interessanter Punkt. Auch Illner fragt, wer eigentlich die ganzen Windräder bauen soll. „Wer wird die Leuchttürme in die Landschaft setzen?“ Sie hat das komplizierte Konstrukt namens Windrad offenbar unter „blinkt, wenn’s dunkel ist“ abgespeichert.

Die Stille Reserve
3,1 Millionen Menschen wollen arbeiten, können aber nicht
„Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir 25 Prozent weniger Fachkräfte haben werden“, sagt Carsten Linnemann. „Das werden wir auch durch Zuwanderung nicht schaffen.“ Es ist einer der wenigen Momente, an denen das Wort Zuwanderung überhaupt fällt. Ansonsten kommt Linnemann noch mit dem Vorschlag, dass Rentner doch einfach weiterarbeiten sollen. Steuerfrei, tärä! Er nennt seine Idee „Aktivrente“, fände es aber auch in Ordnung, wenn man es „die neue Illner-Rente“ nennen würde. Das schlägt er selbst vor. Oha, ganz schön TV-desperat, der Mann.

Nahles freut sich derweil, dass die Langzeitarbeitslosigkeit gerade um zehn Prozent gesunken sei. Aber es gebe eben „viele Menschen, bei denen wir es nicht schaffen, die zum Arbeiten zu bekommen“. Damit scheint sie sich auszukennen. Sie fordert eine „Qualifizierungsoffensive“. Weiterlächeln.

Niejahr wirft einen bemerkenswerten Punkt ein: Pflegekräfte mussten noch bis vor kurzem sogar für ihre eigene Ausbildung selbst bezahlen, da „fasst man sich wirklich an den Kopf“. Und Dittrich beklagt einen weiteren Knackpunkt des realen Alltags: die explodierenden Sozialabgaben und Steuern. „Das, was die Fachkraft netto bekommt, und das, was der Betrieb brutto in Rechnung stellen muss, ist soweit auseinander gerutscht, dass es sich ein normaler Mensch nicht mehr leisten kann. Der, der die Leistung erbringt, kann sie sich selbst nicht kaufen. So hat es keine Zukunft.“ Nahles sagt noch: „Demografie muss auch Automatisierung küssen. Manches von dem werden am Ende auch wegen der hohen Personalkosten Menschen nicht mehr machen.“

Jetzt lächelt Illner: „Sie merken, liebe Zuschauer, wir schaffen das schöne Thema Zuwanderung nicht. Wir heben uns das auf.“

Ja, das haben wir bemerkt.

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