Tichys Einblick
Gefangene der Bürokratie

Bei Illner: Sind Ukrainer bessere Flüchtlinge?

Viele ukrainische Flüchtlinge erlernen schnell die deutsche Sprache, bemühen sich um Jobs und zeigen Motivation, irgendwann in ihre Heimat zurückzukehren. Sie stoßen aber auf bürokratische Hürden in Deutschland. Zu diesem Thema hat Maybrit Illner ein Musterbeispiel ins Studio eingeladen.

Screenprint ZDF / Maybrit Illner

Es war wieder Donnerstag, das heißt: lila Studio und Maybrit Illner. Diese Woche das Thema: „Ihr schafft das schon! Viele Flüchtlinge und kein Plan?“ Aber anders als die letzten hundert Folgen von Illner, nahm diese tatsächlich eine interessante Wendung. „Über eine Million Menschen sind im letzten Jahr aus der Ukraine zu uns geflohen und rund 240.000 aus aller Welt. Das sind mehr als im Jahr 2015.“ Das klingt erstmal hoch problematisch. Schließlich ist Deutschland heute nicht mehr das gleiche wie damals 2015 – wir werden schließlich alle nicht jünger.

Seitdem hat das Land viel durchgemacht – besonders die Wirtschaft hat viel durchgemacht. Eine Coronapolitik, die das Geld bereits aufgefressen hat, jetzt noch eine Inflation, die den übrig gebliebenen Scheinchen den Rest gibt. Das betrifft nicht nur das Geld der Privatpersonen, sondern auch die Reserven des Staates. Unsere Rentenkasse hat schon bessere Tage gesehen und die Krankenkassen pfeifen aus dem letzten Loch. Alles, was nicht die Abgeordneten mit Kohle versorgt, ist runtergewirtschaftet. Nein, ein zweites 2015 können wir gerade gar nicht gebrauchen.

Ukrainische Flüchtlinge bekommen in Deutschland Schutz ohne Asylantrag – und dürfen sofort arbeiten. Im Februar 2023 waren bei den Jobcentern 480.000 Ukrainer registriert, Ende 2022 hatten 120.000 ukrainische Flüchtlinge einen sozialversicherungspflichtigen Job. Das sind Zahlen, die man sich 2015 gewünscht hätte. Während es also für einen Teil der Ukrainer tatsächlich schon geklappt hat, sind andere immer noch auf der Suche. Dabei steht ihnen nicht selten die „gute alte deutsche Bürokratie” im Weg.

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Für dieses Thema hat man sich ein Musterexemplar ins Studio geholt. Hanna Stoiak ist Kinderärztin mit 10 Jahren Berufserfahrung und ist direkt nach Kriegsbeginn aus der Ukraine mit ihrer elfjährigen Tochter Olga nach Deutschland geflüchtet. Ihre Tochter spricht bereits fließend Deutsch, sie selbst lernt gerade für die B2-Sprachprüfung. Die Tochter erzählt, dass sie manchmal auch zu Hause auf Deutsch sprechen. Obwohl sie in der Ukraine vollwertige Medizinerin war, darf Hanna Stoiak in Deutschland nur als unbezahlte Praktikantin arbeiten. Sie muss von Sozialhilfe leben. Sie wünschte, dass sie darauf nicht angewiesen wäre: „Das ist etwas Neues für mich, in der Ukraine habe ich gearbeitet und war selbstständig. Das ist nicht so einfach für mich, dass ich jetzt Sozialgeld bekommen muss, und ich möchte arbeiten gehen, so schnell wie möglich.“ Ihr Weg, um in Deutschland als Ärztin zugelassen zu werden, ist steinig. Erst muss sie vom Jobcenter geprüft werden, dann nochmal von der Ärztekammer. Das kann sogar mehrere Jahre dauern.

Mit dieser jungen Frau werden die Gäste der Sendung konfrontiert. Besonders die Politiker der Runde: Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Hendrik Wüst (CDU) und Boris Palmer (Mitgliedschaft bei den Grünen ruht), frisch wiedergewählter Oberbürgermeister von Tübingen. Tja, was soll man da sagen – und dann auch noch als Politiker? Erstmal Mitgefühl aussprechen. Dann Besserung geloben. Wie genau, weiß man eher nicht so.

Der Einzige, der da etwas mehr als Formeln von sich zu geben hat, ist Boris Palmer: „Wir müssen von den deutschen bürokratischen Standards runter. Ich würde sie morgen arbeiten lassen, weil sie es kann. Und den Papierkram einfach mal zur Seite legen.“ Das klingt erstmal dynamisch – besonders, weil man die ganze Zeit die junge pflichtbewusste Ärztin vor Augen hat. Aber Boris Palmer verfällt hier in ein Muster, dass er schon zu Corona in diesen Sendungen an den Tag gelegt hat: erstmal machen und dann schauen. Von Papierkram hat er noch nie was gehalten. Das hatte zu Corona den Höhepunkt, als er sagte, dass man die allgemeine Impfpflicht einfach machen sollte, denn ehe das Bundesverfassungsgericht das geprüft hat, wären ja eh alle geimpft.

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Wir haben hier also ein Positiv- und ein Negativbeispiel für das Übergehen der Bürokratie und der Vorschriften. Als Illner die ukrainische Ärztin nach ihrem absurdesten Beispiel deutscher Bürokratie fragt, antwortet die: „zum Beispiel Öffnungszeiten“. Die seien in ihrer örtlichen Behörde von „acht bis zwölf Uhr“. Sie kann da nicht kommen, da sie zu der Zeit ihren Sprachkurs hat. Da muss man ehrlicherweise sagen, dass das schon sehr peinlich für uns ist. Ganz abgesehen von dem Sprachkurs – ein Zeitfenster von vier Stunden, das dann auch noch so gelegt ist, dass kein arbeitender Mensch da ohne Probleme hinkommen kann, ist ganz grundlegend ein Problem. Insofern stimmt es definitiv: Die Bürokratie gehört schon gestern überarbeitet.

Aber problematisch ist dieser Wunsch nach dem kompletten Übergehen, aufgezogen an sympathischen Einzelfällen. Denn sicher würde man es der jungen Frau gönnen, dass sie ihren Beruf wieder ausüben darf. Und der Drang, unabhängig von Sozialhilfe leben zu können, ist ja auch in unserem Interesse. Aber auch in unserem Interesse ist, dass die hier praktizierenden Ärzte von der Ärztekammer überprüft wurden. Schließlich muss man prüfen, ob die medizinische Ausbildung in der Ukraine unseren entspricht. So unmöglich es auch manchmal erscheinen mag – aber ein paar Dinge an der deutschen Bürokratie sind tatsächlich dazu da, um uns zu schützen, und sie tun dies auch tatsächlich. Darauf kommen dann Unmengen an Prozedere, die nur schaden. Der Trick läge jetzt darin, nur den unnützen Kram zu eliminieren. Das wird aber nichts, wenn einfach einer alles über den Haufen schmeißt, weil eine junge Dame, exemplarisch für Millionen Menschen, ganz sympathisch ist.

Während die Ukrainer unsere Bürokratie kennenlernen, steht Deutschland vor ganz anderen Problemen: „Die Zahl der nicht-ukrainischen Geflüchteten steigt. 2021 wurden über 190.000 Erstanträge auf Asyl gestellt. 2022 beantragten mehr als 244.000 Asyl in Deutschland. Das ist ein Anstieg von 27, 9 Prozent im vergangenen Jahr.“ Diese Massen an Migranten können nicht mehr aufgenommen und versorgt werden. Upahl wird angeführt, ein kleines Dorf mit 500 Einwohnern, das nun Container-weise Flüchtlinge bekommen soll – um die 400. Dass das zu viel ist, fällt nun auch Illner auf, nachdem monatelang nur alternative Medien differenziert über die Lage dort berichtet haben. Der ÖRR hat das Dörfchen derweil als rechtsradikal verunglimpft. Ohne die Berichte über Nazis kommt diese Sendung natürlich auch nicht aus, allerdings wird zumindest erwähnt, dass die mit den Einwohnern nichts zu tun haben.

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Tino Schomann (CDU), Landrat des Landkreises Nordwestmecklenburg, wird ins Studio geholt. Er ist verantwortlich für das Containerdorf in Upahl. Seine Begründung: Er hätte ganz einfach keine Wahl. Sein Landkreis ist komplett überlaufen mit Flüchtlingen und alle seine Kapazitäten seien ausgeschöpft. Boris Palmer bestätigt diese Notlage, das würde er von vielen Kommunen wissen. Doch die Aussichten der beiden sind nicht rosig. Es werde noch mehr Upahls geben müssen, da die Kapazitäten aus sind. Als Lösung nennen sie „bessere Organisation“.

Davon, dass solche Zustände keine Option sein sollten, spricht keiner. Als Hendrik Wüst auf die Lösung des Problems angesprochen wird, redet auch der von besserer Organisation. Und vom Runterschrauben der Vorschriften. Das hat mich stutzig gemacht. Was soll da jetzt schon wieder runtergefahren werden? Wieder das gleiche Thema wie bei der Ukrainerin. An vielen Stellen ist so etwas lästig. Aber trotzdem kann man nicht von vornherein davon ausgehen, dass diese Vorschriften keinen Sinn haben. Es fragt aber niemand nach. Insofern werden wir wohl erstmal nicht erfahren, wo man das nächste Upahl errichten wird. Das Original wird jedenfalls trotz Protesten der Anwohner trotzdem gebaut.

Es wird natürlich nicht in den Mund genommen, aber eins fällt auf: Seit Beginn 2022 sind über eine Million Ukrainer nach Deutschland gekommen. 2022 gab es um die 244.000 Asylanträge von nicht ukrainischen Flüchtlingen – also wohl aus Syrien etc. Der Unterschied zwischen beiden Zahlen ist schon eindeutig. Doch die Probleme haben wir nicht mit den Massen an Ukrainern in diesem Land. Warum nicht? Könnte es daran liegen, dass aus der Ukraine tatsächlich zu einem beträchtlichen Teil Frauen und Kinder zuerst geflüchtet sind, während die Männer im Kriegsgebiet kämpfen? Das Gleiche kann man trotz Framings nicht über die Flüchtlinge behaupten, die über das Mittelmeer zu uns kommen. Schiffsladungen von Männern, die Frauen und Kinder in Kriegs- und Krisengebieten zurücklassen.

Ein anderer Unterschied: die Motivation zu arbeiten. Hunderttausende Ukrainer haben innerhalb von einem Jahr einen Job in Deutschland bekommen, der in unsere Sozialkassen einzahlt. Sie tragen etwas bei. Und viele von denen, die noch auf Sozialhilfe angewiesen sind, bitten darum, sich ihr eigenes Geld verdienen zu dürfen. Das betrifft – wie immer – nicht alle. Wie bereits erwähnt, dürfte Hanna Stoiak ein Musterexemplar sein. Doch es ist auffallend, wie schnell ein beträchtlicher Teil der ukrainischen Flüchtlinge die deutsche Sprache erlernt, sich um Jobs bemüht und die Motivation zeigt, in ihre Heimat und zu ihren Männern zurückzukehren. So wie man es jedem wünschen würde, der aus seiner Heimat gerissen wurde.

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