Tichys Einblick
Bei Maybrit Illner

Corona-Sturmflut und Dauer-Lockdown für den Rest des Jahres? „Unser Leben findet nicht in Petrischalen statt“

Tobias Hans wird angegriffen: Hamburgs OB spricht von einer Corona-Sturmflut und Melanie Brinkmann von einem "Dauer-Lockdown für den Rest des Jahres". Doch Saarlands Ministerpräsident beherrscht die Sprache der Vorsicht perfekt - und daher beißt man sich an ihm die Zähne aus.

Screenshot ZDF: Maybrit Illner

„Die Lage ist ernst“, mit diesen Worten eröffnet Maybrit Illner die Gesprächsrunde. Zuvor hatte sie den Zuschauern in ihrer Einleitung erklärt, dass wir „mitten in der dritten Welle“ sind – das muss sie sagen, denn sonst würde das niemand mitbekommen. Bei dieser ernsten dritten Welle, die wir nur aus Erzählungen kennen, kommt es schon überraschend, dass jetzt ein Bundesland, die ersten ernsten Öffnungen einleitet – und dann ist es auch noch ausgerechnet das Saarland. Tobias Hans, der dortige Ministerpräsident, ist plötzlich ganz unverhofft der Mann der Stunde und Maybrit Illner hat ihn für die gestrige Sendung gerade noch ergattern können. Dabei wurde ihm aber genug Opposition entgegengesetzt: Cihan Çelik, der Leiter einer Corona-Isolierstation, der sich einen Lockdown wünscht, die Virologin Melanie Brinkmann, der der besorgte Blick im Gesicht festgefroren scheint und der erste Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher, der scheinbar gerade so gar nicht gut auf Hans zu sprechen ist. Zur Seite gestellt wird Tobias Hans gegen diese NoCovid-Front nur ein DJ – und doch lassen sich die beiden nicht unterkriegen.

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Wenn ein ehemaliger Obrigkeitstreuer plötzlich rebelliert, dann stellt man ihn sich aufgebracht, trotzig und runter mit den Nerven vor. Man erwartet reißerischere Rhetorik und irgendein großspuriges Statement als Begründung für diesen plötzlichen Sinneswandel. Nicht aber bei Tobias Hans. Er spricht ganz ruhig und geduldig. Der tiefe Tonfall und die Art zu Sprechen, die auf erklären statt aufbringen ausgelegt ist, haben schon fast eine beruhigende Wirkung. Wenn Tobias Hans von Öffnungen spricht, klingt das wie die vorsichtigste und vernünftigste, aber vor allem normalste Sache der Welt – so, dass selbst Angela Merkel schwer widersprechen könnte.

Er schlägt die Regierung mit ihren eigenen Mitteln, er kennt sich mit der Rhetorik ja schließlich auch bestens aus. Da wirkt es bei ihm fast vorwurfsvoll so, als würden alle anderen aus der Reihe tanzen. „Das Saarland folgt exakt den Stufenplänen“, betont er. „Wir bringen Menschen dauernd in harte Lockdowns, obwohl es mildere Mittel gibt. Wir sind verpflichtet nach milderen Mitteln zu suchen“, erklärt er. Dabei legt er besonders Wert darauf, nochmal zu betonen, dass er aber nicht nach den möglichst milden Mitteln sucht, sondern nach milden Mitteln, die genauso gut wirken wie harte. Ganz unschuldig unterstellt er damit der Regierung, dass sie nicht effektiv arbeitet, übel nimmt ihm das aber keiner.

Illner ist bei ihm mit ihrem Latein am Ende. Immer wieder versucht sie, aus ihm irgendeine Erklärung herauszukitzeln, wie er denn jetzt zu dieser Oppositionshaltung kommt, doch Tobias Hans bleibt bei seiner Geschichte: er ist immer noch der Alte, er ist noch immer genauso besorgt und genauso vorsichtig und seine jetzige Politik ist einfach nur folgerichtig aus dieser Haltung entstanden. Auch Virologin Brinkmann versucht ihn aus der Reserve zu locken, doch er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. So kritisiert sie zum Beispiel, dass er gleich das ganze Bundesland geöffnet hat, statt nur Teile, damit man die mit den ungeöffneten Landstrichen vergleichen kann. Bei seiner Antwort spricht Hans sie extra mit „Frau Professorin Brinkmann“ an. Er erklärt ihr dann ganz entspannt, dass das niemals funktionieren würde, weil das Saarland zu klein ist und die aus den geschlossenen Gebieten dann ja dorthin gehen würden, wo es offen ist.

„Kommt da noch ein zweites Schloss an den sowieso schon geschlossenen Laden?“

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher kritisiert derweil, dass er dann ja mit seiner Problemlösung neue Probleme geschaffen hätte, doch auch er prallt an der Fassade des Profi-Laberers Hans ab. Vor allem Tschentscher scheint ein Problem mit dem Ministerpräsidenten zu haben. Die ganze Zeit funkelt er ihn böse an und beschwert sich dann „Wir haben einen Plan gehabt!“.

Dass jetzt andauernd irgendwelche Politiker ihr eigenes Ding machen, gefällt ihm gar nicht, er hätte lieber einheitliche Maßnahmen. Er findet auch die Teststrategie nicht vorsichtig genug und will jetzt erstmal ganz runterfahren, an Lockerungen ist für ihn nicht zu denken. Hans fragt ihn daraufhin ganz diplomatisch, ab welchen Inzidenzen er denn öffnen würde – eine klare Antwort bekommt er nicht.

Tobias Hans ist Profi darin, Dinge schön zu reden und vor allem um Dinge herum zu reden. Zum Ende hin fragt Maybrit Illner ihn, wann Laschet denn den Kanzlerkandidaten bekannt werden wird, seine Antwort: rechtzeitig vor der Bundestagswahl. Zur Seite steht ihm DJ van Dyk und man muss schon anmerken, dass er beim Niveau der anderen mithalten kann, was man von anderen Gästen aus der Musikbranche, die Illner schon im Studio hatte, nicht so behaupten kann. Trotzdem ist van Dyk auch kein Politiker, weshalb er sich traut, Dinge zu sagen wie „Unser Leben findet nicht in Petrischalen statt“, als Begründung, weshalb er nicht für NoCovid ist.

Das mag sich zwar nicht sonderlich kontrovers anhören, aber im Vergleich zu Hans ist es schon mal ein Unterschied, dass er sich überhaupt klar positioniert und das auch zugibt. Weiter regt sich der Musikproduzent über Begriffe wie den Brückenlockdown auf. „Was soll das bedeuten? Kommt da noch ein zweites Schloss an den sowieso schon geschlossenen Laden?“ Ehe man es sich versieht, wirkt die Lockerungsstrategie gar nicht mehr so verrückt. Selbst Virologin Brinkmann kritisiert zwar den Zeitpunkt, sagt aber auch „Herr Hans, ich finde das super, dass sie Modellprojekte machen“.

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Zurück bleibt nur ein verschnupfter Peter Tschentscher, der sich ärgert, dass er nicht endlich mal im Mittelpunkt stehen darf, obwohl er sich doch so brav bei allen eingeschneit hat. Dann möchte er noch ein wenig in die Fußstapfen von Helmut Schmidt treten: „Die Wissenschaft hat uns eine Sturmflutwarnung geschickt. Da können wir nicht sagen: Och, ein bisschen windig ist es schon, aber der Wasserstand ist noch Normal Null!“. Aber Tschentscher hat auch etwas Positives zu berichten: „Wir haben in Hamburg eine sehr gute Erfahrung gemacht. Wir haben das ruhigste Osterwochenende seit Jahrzehnten erlebt. Und die Polizei berichtet, dass man auch weniger Verstöße im privaten Raum mitbekommt. Wenn man nicht mehr in Gruppen unterwegs sein kann, wird das alles zur Ruhe gebracht.“ Wow, das ist ja echt toll, dass die Polizei die Leute so gut einsperren kann!

Melanie Brinkmann warnt dann natürlich nochmal obligatorisch vor einem „Dauer-Lockdown für den Rest des Jahres“. Und so nimmt alles seine gewohnten Bahnen bei Illner. Nur im Saarland kehrt etwas Vernunft ein.

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