„Die Renten sind sicher.“ Das ist im Grunde ein Satz wie: „Wir schaffen das“. Jeder wusste schon damals, dass es nicht stimmt, der dreiste Politiker hat es trotzdem gesagt. Die Zeit hat bewiesen, dass der misstrauische Bürger mal wieder recht behält, aber ehe das rauskommt, ist der Politiker schon über alle Berge und braucht keine Verantwortung mehr zu übernehmen. Dass die Rente uns einmal Probleme machen wird, war seit Jahrzehnten abzusehen. Und 2015 wurde uns noch erklärt, dass der demographische Wandel der Grund sei, weshalb wir unbedingt die syrischen Flüchtlinge aufnehmen müssen, da mehr junge Leute einen Ausgleich bieten würden.
Es stellt sich jedoch überraschend heraus, dass das Rentenproblem nicht einfach von allein weggegangen ist. Bald geht die Baby-Boomer-Generation in ihren wohlverdienten Ruhestand, doch Deutschland hat nicht für ausreichend Nachwuchs gesorgt. Da muss Maybrit Illner natürlich drüber reden. „Rentenpaket der Ampel – alles für die Alten?“, lautet der Titel der Sendung. Noch bevor der erste Gast zu Wort kommt, hat es der Einspieler an Zahlen diesmal in sich.
Das erste Wort bekommt in der Sendung die Jüngste in der Runde, die 29-jährige Franziska Brandmann (FDP), ihres Zeichens Bundesvorsitzende der Julis. Warum sich denn die jungen Leute nicht ans Ministerium von Hubertus Heil festkleben, will Illner von ihr wissen. Nun, die ehrliche Antwort wäre wohl gewesen: weil die meisten jungen Leute gar nicht richtig mitbekommen, dass sie überhaupt für die Rente zahlen, geschweige denn wie viel sie zahlen. Viele jungen Menschen arbeiten erst im Alter um die 30 Jahre herum, also nach dem Studium; vorher haben sie nur Studentenjobs, bei denen die Rentenbeiträge keine Rolle spielen.
Die junge Nachwuchspolitikerin umging die Frage aber bereits sehr geschickt, indem sie schilderte, dass sie das Rentenpaket falsch finde, sich aber nicht festkleben, sondern stattdessen mit Hubertus Heil in der Talkshow diskutieren werde. Damit kommen wir zur Gästeliste: Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) ist im Studio sowie die „Wirtschaftsweise“ Monika Schnitzer, die Präsidentin des Sozialverbandes VdK Verena Bentele und der Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer von „Finanztip“ Hermann-Josef Tenhagen.
Es ist Ihnen vielleicht noch nicht aufgefallen, aber bis auf die FDP-Vertreterin und vielleicht Hubertus Heil hatten wir diese Gäste teilweise sogar schon mehrmals bei Illner zu Gast. Dass ich Sie darauf explizit hinweise, können Sie gern als Zeichen dafür interpretieren, dass ich nicht erwarte, dass einer der drei einen bleibenden Eindruck bei Ihnen hinterlassen hat.
Hubertus Heil spricht, als wäre er schon im Wahlkampf. Immer wieder bringt er Einzelschicksale von Bürgerinnen (es sind eigentlich immer Frauen) an, deren Schicksale ihn ganz besonders mitgenommen haben und für die es sich in der Rentenfrage zu kämpfen lohnt. Die „Wirtschaftsweise“ Monika Schnitzer kommt derweil davon gänzlich unbeeindruckt mit Statistiken um die Ecke. Ihre Angewohnheit, nicht mal grob die Quelle für ihre Zahlen zu nennen, lässt einen mit dem Wunsch zurück, Maybrit Illner hätte einen Faktencheck. So sollen nur 17 Prozent von der staatlichen Rente abhängig sein, während 83 Prozent entweder noch eine betriebliche Absicherung oder private Ersparnisse haben. Besonders ulkig ist dann der Satz, der bei ihr folgt: „Also wir reden schon über Menschen, 17 Prozent sind Menschen.“
Es klingt ein wenig so, als wären wir kurz davor, die Rente einfach abzuschaffen, doch weil 17 Prozent so dämlich waren, sich auf den Staat zu verlassen und nicht noch zusätzlich Geld bei Seite geschafft haben, muss man die halt jetzt durchfüttern, weil Notschlachtung keine Alternative ist. Ich frage mich, ob die Wirtschaftsweise sich überhaupt bewusst ist, wie viel Geld man im Monat für Sozialabgaben zahlt – und dass manche ganz einfach nicht genug verdienen, um auch noch für den Fall vorzusorgen, dass der Staat nicht mit Geld umgehen kann.
Doch Monika Schnitzer baut auf ihre Statistiken ihre ganz eigene Rentenreform auf. Die abschlagsfreie Rente will sie künftig nur noch für Geringverdiener, weil die gesundheitlich schlechter dran sind. Schließlich muss man ja überdurchschnittlich gesund sein, wenn man es zum Rentenantritt überhaupt geschafft hat, ohne Erwerbsminderung. Dass es auch in der Mittelschicht Berufe gibt, die körperlich zehrend sind, scheint Frau Schnitzer nicht bewusst zu sein, oder es interessiert sie ganz einfach nicht.
Diese Blauäugigkeit, die sie mit der jungen FDP-Politikerin teilt, die ihr eifrig zustimmt, ist besonders bei Frau Schnitzer mit einem Blick auf ihre Person etwas irritierend. Franziska Brandmann ist gerade mal Ende 20, wie soll sie sich vorstellen, dass sie körperlich jemals ausgelaugt sein könnte. Doch Frau Schnitzer ist 62 Jahre alt. Auch sie geht bald in Rente. Man muss doch über ihre Distanziertheit zu dem Thema staunen. Auch wenn diese wohl nur dem Umstand geschuldet ist, dass sie ihr ganzes Berufsleben auf ihrem Hintern gesessen hat und auch niemanden im Umfeld hat, der sich in seinem Beruf mehr betätigen muss, als morgens die Treppen zum Büro rauf zu gehen und abends wieder runter.
Illner fragt Frau Brandmann, wie sie denn gegenüber Rentnern rechtfertigen würde, dass man sie damit bestraft, wenn man ihnen weniger Rente gibt. Die antwortet: „Erst einmal glaube ich grundsätzlich, dass wir einfach mal sehen müssen, es geht jetzt nicht um eine Respektfrage oder so. Wir haben alle Respekt vor der Lebensleistung von Menschen. Aber die Frage, die sich da stellt, ist keine politische, sondern eine mathematische Frage.“ Man kann also schon froh sein, dass die jungen FDPler zumindest noch im Prinzip Respekt vor der alten Generation haben. Von Respekt kann man sich allerdings keine Stützstrümpfe kaufen.
Ich habe vollstes Vertrauen in unser Land und sein Potenzial, und dass es uns grundsätzlich möglich wäre, essenzielle Ausgaben wie die Rente auszugleichen, ohne pleite zu gehen. Und ich halte das deshalb für wichtig, weil in der Debatte eines gern vergessen wird: Die Rente ist keine Bonusleistung, nichts, was uns der Staat gönnt, für das wir dankbar sein dürfen. Wer jetzt in Rente geht, hat Jahrzehnte lang vorher in die Rentenkasse eingezahlt und das Rentensystem finanziert. Ist man sozialversicherungspflichtig angestellt, kann man sich nicht aussuchen, ob man in die Rente einzahlen will, man wird mit der Lohnabrechnung vor vollendete Tatsachen gestellt.
Es ist damit keine Frage, was wir uns leisten wollen. Es ist auch keine Frage von Respekt. Es ist vielmehr eine unemotionale Frage von Schuldigkeit. Der Staat schuldet uns unsere Rente ganz einfach. Er hat behauptet, er hätte ein Konzept, das funktioniert, dann muss es auch funktionieren. Sonst hätte er nicht über Jahrzehnte hart arbeitenden Beitragszahlern monatlich das Geld allein für diesen Zweck aus der Tasche ziehen dürfen.
Die Situation wäre eine andere, wenn jeder von vornherein selbst für seine Altersvorsorge verantwortlich gewesen wäre. Aber der Staat war der Meinung, er könne es besser regeln – also dann mal los. Der demographische Wandel hat sich bereits vor Jahrzehnten abgezeichnet, der ist keine gute Ausrede. Dass man davon jetzt trotzdem überrannt ist, ist ein perfektes Argument gegen die Planwirtschaft – aber nicht das Problem der Beitragszahler. Und ob sich nicht noch 83 Prozent in weiser Voraussicht zusätzlich eigenes Geld zur Seite gelegt haben, das geht den Staat überhaupt nichts an.