Tichys Einblick
Aufklärung bei Illner?

„Aus Putins Sicht sind wir schon längst Kriegspartei“

Immer wieder heißt es, man wolle die „Menschen mitnehmen“: Die Kritiker in der Bevölkerung will man abholen, denn die haben da bestimmt nur was noch nicht verstanden. Doch wenn man schon beim ÖRR sagt, dass man sich die Mühe nicht machen will, mit den lästigen Russland-Schwurblern zu diskutieren – warum sollte sich dann die Politik die Mühe machen zu erklären, was sie tut?

Screenprint: ZDF / Maybrit Illner

Militärexperte Carlo Masala, Marina Weisband (Grünen-Mitglied), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses Michael Roth (SPD), ehemaliger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger, Friedensforscherin Nicole Deitelhoff und die Tochter des ermordeten russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow, Schanna Borissowna Nemzowa – die Gästeliste könnte schon alles über die Illner-Sendung aussagen, aber wir wollen es uns ja nicht zu einfach machen. „Putin droht, Europa zerstritten – Ukraine auf verlorenem Posten?“ war diese Woche der Titel der Sendung.

Wieder einmal ging es um die Taurus, schon wieder um den Atomkrieg – zur Abwechslung mal von Putin in die Debatte gebracht. Es ging um die von Macron nicht ausgeschlossenen Bodentruppen und die Frage nach der Kriegspartei. Im Osten nichts Neues. Was die Ukraine braucht, ist „Munition, Munition, Munition“, erklärt Michael Roth eingangs. „Wir wissen seit anderthalb Jahren, dass Munition das Hauptproblem ist, und wir schaffen erst jetzt, unsere Produktion anzupassen“, beklagt Carlo Masala.

Munition ist ein Thema, das in keiner Sendung über den Ukraine-Konflikt fehlen darf. Irgendwie klar, denn es geht ja schließlich um Krieg. Trotzdem ist es ein schönes Sinnbild für das Niveau, auf dem diese Sendungen immer laufen. Keiner geht bei dem Thema sonderlich in die Tiefe – was gibt es an Munition auch schon groß zu sagen? Doch es nimmt sich auch keiner die Zeit, irgendetwas zu erklären. Es geht nur darum, dass es Munition braucht, dass wir Munition liefern sollten, dass Munition nicht schnell genug geliefert wird, dass wir nicht genug Munition liefern.

Man könnte wohl inzwischen eine Kalenderspruch-Sammlung mit allen möglichen Munition-Sätzen aus den zig Illner-Sendungen zum Thema Ukraine anfertigen. So richtig schön mit Sonnenuntergang-Bildern mit Brücken und Seen darauf. Man könnte das Wort „Munition“ auch mit einem anderen Wort austauschen – „Liebe“ zum Beispiel, die meisten Sätze würden grammatikalisch immer noch passen. Die Frage nach der Munition ist im Grunde keine Diskussion mehr, es ist ein Reihum-Bekenntnis, um klarzustellen, auf welcher Seite man steht.

Dabei tun sich dann aber zwei Fragen auf. Erstens: Wenn die Redner allesamt ihre Sätze so allgemein und seicht halten und in keiner Weise durch besonderes Detailwissen verfügen oder sich durch die Fähigkeit, die komplexen Themen ihren Zuschauern näher zu bringen, hervortun – wie viel wissen sie dann wirklich, was sie reden? Es gibt wenige Experten zum Ukraine-Krieg, die man als bewandert beschreiben würde. Die meisten sind durchschnittliche deutsche Personen der politischen Öffentlichkeit, die für sich selbst beschlossen haben, dass sie jetzt Ukraine-Experten sind – und die Talkshows laden sie wöchentlich ein, weil sie einfach Leute brauchen, die wissen, wo Kiew liegt.

Die andere Frage – und man würde sagen, im Kontext des Formates die viel wichtigere: Wer ist eigentlich die Zielgruppe? Wen stellt Illner sich als Adressaten vor, wenn sie der Kamera einen schönen guten Abend wünscht? In der Sendung wurde dieses Mal ganz besonders viel darüber gesprochen, wie man den Krieg den Deutschen nahe bringt, wie man sie mitnimmt, wie man dafür sorgt, dass sie die Ernsthaftigkeit der Lage verstehen. Gerade in dieser Sendung wäre das auch wichtig gewesen, denn die Themen an sich waren nichts, was man einfach so wegsteckt.

Macron wird zitiert, wie er Nato-Bodentruppen nicht ausschließt. Masala erklärt dazu: „Das Problem mit Emmanuel Macron ist, dass er die richtigen Sachen zum falschen Zeitpunkt sagt.“ Das sei von Macron auch gar nicht so ganz so gemeint gewesen, erklärt er. Wann ist der richtige Moment für eine Mutter, darüber nachzudenken, dass ihr wohlbehüteter Sohn vielleicht in den Krieg ziehen muss?

Man kann die Ukrainer bewundern, man kann der Meinung sein, dass sie für unsere Freiheit kämpfen, man kann auch Putin und den Atomkrieg für die größte aktuelle Gefahr Europas halten – und trotzdem Angst bekommen, wenn schon über Bodentruppen geredet wird. Das hat auch gar nichts damit zu tun, ob Macron es einfach in den Raum gestellt hat, ob man es ernst nimmt, ob es eigentlich gar kein echtes Vorhaben ist. Wer einen jungen Mann im wehrfähigen Alter in seinem Leben hat, kann den Gedanken und die Sorgen kaum unterdrücken.

Dann ist da die Sache mit den Taurus. Das ist ein Thema, das extrem ausgiebig, um nicht zu sagen endlos, bei Illner diskutiert wurde. Es ist ein kontroverses Thema in Deutschland und wieder eng mit der Angst verbunden, dass Deutschland zur Kriegspartei werden könnte. Der Bundeskanzler führt diese Sorge an, und es ist klar, dass dem viele folgen. „Der Grundsatz von Bundeskanzler Scholz ist richtig. Er will vor allem verhindern, dass Deutschland Kriegspartei eines Nuklearkriegs wird“, erklärt auch Roth in der Sendung.

Die Standpunkte von Masala und Weisband zum Thema Ukraine kennt man. So ist es auch kein Wunder, dass sie mit der Frage sehr viel lockerer umgehen. „Aus Putins Sicht sind wir schon längst eine Kriegspartei. Er wiederholt immer wieder, dass er Krieg gegen den Westen führt“, klärt Masala die Zuschauer auf. Weisband geht sogar noch einige Schritte weiter: „Putin befindet sich schon lange in einem Krieg mit uns und wir weigern uns, uns dem zu stellen.“ Sie führt dabei die Desinformationen im Netz und die Finanzierung bestimmter Parteien an.

Aus der Position von Frau Weisband heraus mag diese Äußerung für sie selbstverständlich sein. Sie mahnt auch: „Die Menschen in der Ukraine hoffen noch immer auf einen Sieg, weil sie keine andere Wahl haben. Sie wissen aber auch, dass sie es ohne die Unterstützung des Westens nicht schaffen können.“ Ihre Anhänger sind dabei sicher ihrer Meinung. So wie die Anhänger Masalas ihm folgen werden. Aber ist das die Zielgruppe der Sendung? Die Anhänger der Gäste? Denn dann braucht man weder erklären noch argumentieren, man kann einfach in jeder Sendung immer und immer wieder das Gleiche sagen und die Zuschauerschaft wird begeistert sein.

Doch wie war das mit „Wir müssen die Menschen mitnehmen“? Es ist das übliche Dilemma mit der Opposition. Man will eben immer beides. Die Zeit, in der Talkshows im Öffentlich-Rechtlichen das ganze Meinungsspektrum der potenziellen Zuschauer abgebildet haben und nicht der Mitarbeiter, ist lange vorbei – oder hat es nie gegeben, ich bin zu jung, um das einzuschätzen. Gerade zum Thema Ukraine-Krieg gibt es keine Opposition in den Talkshows. Die Oppositionellen in der Bevölkerung dagegen will man abholen, die haben da bestimmt nur was noch nicht verstanden. Kann man alles machen – doch dann muss ich mal unsere Regierung verteidigen. Wenn es jemanden gibt, dessen Existenzberechtigung es ist, die „Menschen mitzunehmen“, ihnen etwas zu erklären, dann ist das der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Information und Aufklärung ist sein Selbstzweck.

Wenn man aber dort schon sagt, dass man sich die Mühe nicht machen will, mit den lästigen Russland-Schwurblern zu diskutieren, sondern einfach nur den gleichen Punkt wie immer an die aktuellsten Gegebenheiten anpassen will – warum sollte sich dann die Politik die Mühe machen zu erklären, was sie tut? Stattdessen setzt Illner Carlo Masala und Marina Weisband in eine Sendung, die auf die Angst, Deutschland könnte Kriegspartei werden, einfach nur mit „Sind wir doch eh schon, also ist das auch egal“ antworten und die Zuschauer, die nicht zu ihrem Fanclub gehören, mit ihren Ängsten allein lassen. Zwischendurch wird dann eingestreut, dass Putin selbst schon mit dem Atomkrieg droht, der Satz wird kurz eingeblendet und wieder wird der Zuschauer mit seiner Interpretation allein gelassen.

Allerdings: Ein Blick auf die sozialen Netzwerke wie Twitter stellt ein ganz anderes Bild dar. Vielleicht bringe ich hier Sympathie für eine Gruppe auf, die gar nicht existiert. Denn die gähnende Leere an Tweets, Kommentaren und überhaupt Likes legt den Schluss nahe: Nicht die Zuschauer werden hier allein gelassen, es sind Illner und ihre Gäste. Vereinzelt regt man sich über die Einseitigkeit der Gästeauswahl oder die kiegstreiberischen Kommantare der Anwesenden auf. Ebenso vereinzelt findet man Kommentatoren, die Marina Weisband für ihren Mut und ihre Weisheit loben. Vielleicht liegt es daran, dass Heidi Klum nahezu zeitgleich auf Pro Sieben das große Umstyling von Germanys Next Topmodel veranstaltet, doch die einzigen, die die Sendung bis zum Ende geschaut haben, sind wohl der Video Producer der Show und ich.

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