Tichys Einblick
Staatsbankrott

Bei Illner: Milliardenbetrug und positive Fehlerkultur

Diese Sendung zeigt: Die aktuelle Haushaltskrise ist nur ein weiteres Kapitel, eine weitere Krise, die die Ampel unbeschadet überstehen wird. Sie werden keine Lehre daraus ziehen, nichts an ihrem Verhalten ändern, keine Reue zeigen. Warum sollte man auch Verantwortung übernehmen, wenn einen niemand zur Verantwortung zieht?

Screenprint: ZDF / Maybrit Illner

„Wir müssen reden“, sagt Illner vor jeder Sendung – es ist ja schließlich auch die einzige Rechtfertigung für eine Talkshow, doch heute Abend stimmt das so richtig. Die Ereignisse der letzten Tage überschlugen sich beinahe, und gerade wenn man sich mit Finanzfragen so gar nicht auskennt, bekommt man dieser Tage nur noch ein Signal geliefert: Diese Regierung hat sich nicht mehr im Griff. Dass die Ampel das Land nicht mehr im Griff hat, ist ja nichts Neues. Ob sie das Land überhaupt jemals unter Kontrolle hatte, das ist vielmehr die Frage.

Bisher hat die Ampel ihre Agenda noch ganz gut durchgedrückt bekommen. Aber nun steht sie enttarnt und ohne Kohle da. Insgesamt könnten mit dem Karlsruher Urteil schuldenfinanzierte Ausgaben in Höhe von über 100 Milliarden Euro verfassungswidrig sein. Bundesfinanzminister Christian Lindner will nun 2023 quasi rückwirkend zum weiteren Notstand-Jahr erklären, und auch hier muss man kein Experte sein, um zu merken, dass hier irgendwas nicht stimmt.

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„Ausgetrickst – Ampel ohne Geld und Zukunft?“ So lautete der Titel der Illner-Sendung, die Licht in dieses Thema bringen sollte. Ich finde es ja immer wieder interessant, wenn aus Nischenthemen plötzlich Themen von nationaler Bedeutung werden, weil man dann auch mal unbekanntere oder auch neue Politiker kennenlernt. So geht es mir an diesem Abend mit der Besetzung der Talkshow-Runde.

Christian Dürr (FDP) will nicht nur Bundespolitiker sein, sondern auch Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion. Nennen Sie mich ungebildet, aber ich habe Dürr noch nie in meinem Leben gesehen. Beim Namen Alexander Dobrindt klingelt es zwar, aber auf der Straße wäre ich wohl an dem CSU-Politiker vorbei gelaufen, dabei war der Mann Verkehrsminister unter Merkel. Nicht dass die beiden Herren Gesichter hätten, an die man sich unbedingt erinnert. Wirklich zum ersten Mal lerne ich aber Danyal Bayaz kennen, Finanzminister von Baden-Württemberg. Zwar habe ich bei diesem Posten keine Schuldgefühle für mein Unwissen. Aber dass ein Bundesland einen Grünen zum Finanzminister gemacht hat, hätte einen Vermerk im Hinterkopf verdient gehabt – so als Eisbrecher für Partys zum Beispiel.

Zwischen den drei Männern mit den Allerweltsgesichtern ist eine interessante Dynamik entstanden. Allein schon, weil eigentlich eine entscheidende Partei fehlt: die SPD. Laut Einspieler zu Beginn der Sendung soll Scholz als der Architekt dieser kleinen Mogelei gelten. Was man sich auch hätte denken können, denn bei jedem großen Finanzskandal ist immer ein Scholz nicht weit, der sich nicht erinnern kann. Doch obwohl seine Partei damit einen beträchtlichen Teil der Schuld trifft, muss sie sich nicht verantworten. Das ganze Problem wird Lindner zugeschoben und mit ihm der FDP.

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Nun ist Lindner nicht unschuldig. Doch es ist alleine schon interessant, wie die Dinge, die er tut, immer auf die ganze Partei zurückfallen, während Scholz von seiner Partei völlig losgelöst ist. Überhaupt ist es oft so, als würde die SPD gar nicht wirklich existieren. Das ist eine altbewährte Taktik der Partei, mit der sich jede Regierung und jede Krise durchstehen lässt. Und so müssen sich nun nur ein FDPler und ein hervorgekramter Grünen-Landesminister für den Milliardenbetrug verantworten. Sie sind der Lage sichtlich nicht gewachsen.

Woran erkennt man in die Enge getriebene Politiker mit Schuldgefühlen? Ganz einfach an Sätzen wie: „Es geht hier nicht um Parteipolitik“, oder: „Es bringt nichts, jetzt mit den Fingern zu zeigen.“ Solche Sätze kramen Politiker immer nur raus, wenn die Finger auf sie zeigen und das zu recht. Und so erklärt Danyal Bayaz: „Wissen Sie, diese Fehlerkultur, wer ist schuld, wessen Kopf muss rollen, bringt uns in der Situation nicht weiter“, und betont: „Es geht um die Zukunft des Wirtschafts- und Industriestandortes.“ Dass es um die Zukunft des Wirtschafts- und Industriestandortes geht, hätte man sich auch überlegen können, bevor man vor den Augen der Öffentlichkeit gegen das Grundgesetz verstößt.

Bayaz hatte die Sendung über nicht viel mehr als solcher Phrasen zu bieten. So erklärte er, dass diese Situation nun „der Beginn einer großen finanzpolitischen Diskussion“ sei und eine „finanzpolitische Zeitenwende“ lostrete. Man kann sich inzwischen sicher sein – wenn im Zusammenhang mit der Ampel das Wort „Zeitenwende“ fällt, sollten alle Alarmglocken schrillen. Ob die Phrasendrescherei von Bayaz ihn nun aber als einen guten oder schlechten Politiker auszeichnet, kann ich allerdings nicht sagen. Immerhin sind Habeck und Scholz so an Kanzlerposten gelangt.

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Ob unerfahren oder nicht, neben Christian Dürr wirkt der Grünen-Finanzminister jedenfalls wie ein blutiger Anfänger. Denn das Level an Abgestumpftheit kann einem wohl nur die Bundespolitik verleihen. „Diese Koalition hat die Schuldenquote deutlich nach unten gebracht!“, verkündet Dürr stolz. Er wirkt dabei so, als würde er nicht so ganz verstehen, warum alle gerade so eine Panik schieben. Konfrontiert mit der Basis-Abstimmung in seiner Partei über den Verbleib der FDP in der Ampelkoalition reagiert er ganz gelassen.

Wie ernst er die nehmen müsste, fragt ihn Illner. Er antwortet: „Wir nehmen alles immer sehr ernst.“ Dann lenkt er ab, dass ja auch bei den Grünen gerade Briefe geschrieben werden, und dass die Anforderungen für eine Abstimmung innerhalb der FDP niedriger seien als bei anderen Parteien. Er verkauft das als „sehr legitim“, doch er redet die Bewegung damit auf ein kleines putziges Minderheiten-Trüppchen herunter. „Was ich höre von der Basis, ist, dass die FDP sich richtigerweise dieser Verantwortung gestellt hat 2021 und sie jetzt natürlich auch weiter tragen sollte. Und das werden wir tun.“ Kurz gesagt: Er nimmt die Abstimmung eben doch nicht ernst.

Während die Ampel-Vertreter in dieser verletzlichen Lage zusätzlich noch ordentlich Angriffsfläche lassen, stellt sich die Union so blöd an wie immer. Dobrindt machte zwar ordentlich Lärm, aber an den wichtigen Stellen knickte er ein – wie immer. Illner spielte zum Beispiel eine Audio ab, in der Habeck die Schuld für das Milliarden-Loch nicht etwa bei sich selbst suchte oder seiner Koalition – sondern bei der CDU, weil sie geklagt hatte. Man könne sich ja bei Friedrich Merz persönlich dafür bedanken, schimpft er. Genauso gut hätte er auch gleich die Verfassungsrichter angreifen können, dass sie so ein verantwortungsloses Urteil getroffen haben.

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Dafür hat Habeck nichts Geringeres verdient, als dass man auf breiter Front zurückschlägt, ihm mangelnden Respekt für unsere Rechtsordnung, das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht vorwirft und anprangert, dass er aus diesem Urteil offensichtlich nichts gelernt hat und wahrscheinlich auch in Zukunft mit unlauteren Mitteln Politik machen wird. Denn nichts anderes symbolisiert er, wenn er seine Ankläger verteufelt, nachdem sie vom obersten Gericht Recht bekommen haben. Ein schlechter Verlierer war Robert Habeck zwar schon immer, aber das ist keine Entschuldigung.

Doch nichts dergleichen von der Union. „Wir als Union sind die Kontrolleure der Ampelregierung und deshalb ist es unsere Aufgabe, sie auf Fehler hinzuweisen“, erklärt er defensiv. Er kriecht praktisch zu Kreuze. Er symbolisiert damit: „Von mir geht keine Gefahr aus.“ Und er wirkt beinahe geknickt, dass Habeck jetzt sauer auf seine Partei ist. Denn eigentlich wollen CDU/CSU doch nur liebgehabt werden – allerdings nicht von den eigenen Leuten oder den Wählern, sondern immer nur von der Opposition. Sie wird wohl nie begreifen, dass diese Liebe nicht erwidert werden wird.

Und so macht die Sendung wahr, was Sie sich wahrscheinlich schon gedacht haben: Diese Haushaltskrise ist nur ein weiteres Kapitel, das die Ampel unbeschadet überstehen wird. Die Ampelkoalitionäre werden keine Lehre daraus ziehen, nichts an ihrem Verhalten ändern, keine Reue zeigen. Und das nicht etwa, weil sie so schlau und gerissen sind. Das sieht man an Lindners verzweifeltem Ausruf des Notstandes. Es ist ganz offensichtlich, was er damit bezweckt. Es ist auch offensichtlich, dass es keinen Notstand gegeben hat, denn dann hätte Olaf Scholz nicht so tief in die Trickkiste greifen müssen. Genauso offensichtlich waren die Phrasen von Bayaz und die Ausreden von Dürr. Doch warum sollte man Verantwortung übernehmen, wenn einen niemand zur Verantwortung zieht?

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