Tichys Einblick
Israel-Debatte bei Illner:

Von vergifteten Diskursen und hingerichteten Helfern

Wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk plötzlich neutral? Eine Deutsch-Israelin und ein Deutsch-Palästinenser sind zu Gast bei Illner. Doch nur sie muss sich der Kritik stellen. Ihn lässt man dagegen unkritisch zu einer der kompliziertesten Konfliktlagen der Welt mit am meisten zu Wort kommen.

Screenprint: ZDF / Maybrit Illner

Wie schafft man es, den fanatischen Tunnelblick von Maybrit Illner für einen Krieg, dessen Ausgang sie nicht im Geringsten beeinflussen kann, aufzubrechen? Richtig, man gibt ihr einen Krieg in die Hand, der noch weiter entfernt ist und von dem sie noch weniger versteht. „Israel, Iran und Gaza – Eskalation unvermeidlich?“, war der Titel der vergangenen Sendung.

Nun muss ich eines klar stellen: Ich habe reale Angst, dass es dort zu einem Krieg kommen könnte. Weil mir Israel als Land, das ich für seine Standhaftigkeit bewundere, am Herzen liegt. Doch ich habe das Gefühl, dass einer „bedrohten Gruppe“, so nenne ich es jetzt mal, nichts Schlimmeres passieren kann, als dass Frau Illner sich auf sie einschiesst.

Ihre Sendung ist nicht darauf ausgelegt, außenpolitische Themen in dem extremen Fokus immer wieder durchzukauen, wie sie es so gerne tut. Und Maybrit Illner selbst bringt das weder spannend noch authentisch rüber, sodass man von ihren ganzen Sendungen zu Kriegen und Konflikten einfach nur genervt ist.

Und doch war diesmal eine Sendung, in der etwas Neues passiert ist – ein ziemlich interessanter Aspekt, der tief blicken lässt. Dafür ein Blick auf die Gästeliste: Omid Nouripour, Parteivorsitzender der Grünen, die Autorin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal, die Washington-Post-Korrespondentin für internationale Sicherheit Souad Mekhennet – und jetzt kommen wir zu dem entscheidenden unfreiwilligen Pärchen: die Deutsch-Israelin Melody Sucharewicz und der Deutsch-Palästinenser Abdul Kader Chahin.

Haben Sie schon mal in einer öffentlich-rechtlichen Talkshow über den Ukraine-Krieg einen Russen sitzen sehen? In einer Sendung über die AfD einen AfDler? In einer Sendung über Corona-Leugner einen Maßnahmenkritiker? In einer Sendung über Klima-Leugner einen Wissenschaftler mit anderer Ansicht zum Klimawandel?

So etwas gibt es sonst nicht. Denn der deutsche Rundfunk hat kein Problem damit, sehr klar Stellung zu beziehen und seine Produkte auch dahingehend auszugestalten. Kommt mal alibimäßig eine kritische Stimme in einer Sendung vor, dann immer im Verhältnis 1 zu 5, eingeschlossen der Moderator. Die Situation spiegelverkehrt wird es so gut wie niemals geben.

Und dann ist Krieg in Israel und der Rundfunk wird plötzlich „neutral“? Plötzlich ist die Stimme eines Comedians zu einer der kompliziertesten Konfliktlage der Welt ganz besonders wichtig und man muss ihn dringend mit am meisten zu Wort kommen lassen. Und man behandelt ihn überhaupt nicht kritisch in der Runde.

Nein, ihn lässt man schön ausreden und stellt lächelnd Fragen, die ihm noch mehr Sendezeit geben. Stattdessen ist es die Israelin, an die sich die kritischen Nachfragen richten – die einzige in der Runde, die sich Kritik stellen muss. Hat Israel mit seiner Abwehr des iranischen Angriffs wirklich gewonnen, wo das alles doch Milliarden gekostet hat?

Derweil darf Abdul Kader Chahin von den „faschistoiden Gesinnungen“ der israelischen Regierung sprechen, die er aufgrund seiner Arbeit mit der Erinnerungskultur sofort erkennen kann. Gönnerhaft erklärt er, dass man ja die Bevölkerung und die Regierung Israels trennen muss, da es ja auch gute Israelis gibt, die gegen die Regierung auf die Straße gehen.

Das ist der Punkt, an dem Melody Sucharewicz nicht mehr höflich nickend daneben sitzen kann. Man hätte sich doch längst mal gewünscht, dass die Palästinenser gegen ihre faschistoide Regierung auf die Straße gehen, die sie ja schließlich selbst als Kanonenfutter missbraucht.

Abdul Kader Chahin antwortet darauf: „Ich würde mir auch eine Demokratie in Gaza wünschen, wo Demonstrationen okay sind, das haben wir aber leider nicht. Deswegen gucke ich da mit ganz viel positivem Neid nach Israel, wo das stattfinden kann. In Gaza bedeutet sowas, sein Leben zu riskieren.“ Nein, ist das nicht interessant?

Im Land, das seit Jahren von der bösen rechtsextremen Regierung mit faschistoiden Gesinnungen regiert wird, die Herrn Abdul an die Nazis erinnern, kann man gegen diese böse Regierung friedlich und ohne Furcht auf die Straße gehen. Im Nachbarland, wo die armen Opfer der israelischen Vergeltungsschläge leben, bedeutet das allein schon den Tod.

Wie passt das ins Bild vom deutsch-palästinensischen Comedian? Gar nicht, deshalb hängt er schnell mit dran: „Im Gaza bedeutet das, sein Leben zu riskieren. In Israel glücklicherweise nicht – noch nicht!“, Abdul erhebt den Zeigefinger „Weil wir haben wie gesagt ’ne Regierung, die versucht hat, mit ’ner Justizreform die Macht auf sich zu zentrieren.“

Hah, und da haben wir ihn schon wieder. Was heißt hier „versuchen“? Wie wurde Benjamin (der oft als „Hitler 2.0“ dargestellte) Netanjahu denn an seinem bösen Ermächtigungsplan gehindert? Was musste geschehen, dass die Machtergreifung endlich ein Ende hatte? Bomben, Anschläge? Nö, Debatten im Parlament, Protest auf den Straßen. Wie langweilig. Aber wird bestimmt alles ein Ende haben, wenn die faschistoide Regierung zum nächsten Coup ansetzt, nächstes Mal klappt es bestimmt.

Es ist auch nicht die iranische Regierung, die gerade einen Krieg provoziert und die einen Einspieler mit ernster Musik gewidmet bekommt. Auch nicht die Hamas. Es ist natürlich Israel, eine Aneinanderreihung deutscher Politiker, die Israel dazu auffordern, gerecht und verhältnismäßig zu kämpfen.

Und wieder, weil es sich angesichts der letzten 1832735 Sendungen so gut anbietet: Wir sprechen in unseren Talkshows darüber, dass die Ukraine mit Waffen ausgestattet werden soll, die möglichst zielgerichtet möglichst große Zerstörung, etwa der russischen Infrastruktur bewirken kann. Aber wenn Israel mal eine Bombe wirft, haben Juden plötzlich den Kollateralschaden erfunden.

Es wäre alles nicht so verlogen, wenn Israel nicht ohnehin schon das einzige Land der Welt wäre, das seine Todfeinde versorgt. Die Hamas zieht die Menschen in Gaza in einen Krieg mit einer Macht, die Geld statt für die Bevölkerung in Tunnel und in Abwehrsysteme investiert hat, und die Bösen sind dann Israel, weil sie sich wehren. Ich frage mich, welches Land jemals evakuiert und vorgewarnt hat, bevor es angegriffen hat.

Als ob das nicht genug wäre, setzt sich der Comedian und Nahostexperte vom Dienst ins Fernsehen und erzählt davon, dass Israel „gezielt“ die humanitären Helfer von Menschenrechtsorganisationen töten würde. Als Melody Sucharewicz dann nach Beweisen für die Behauptung fragt, antwortet Professor Abdul nur: „Das ist das, was gerade passiert in Gaza.“

Als Sucharewicz darauf antwortet, dass er Hamas-Propaganda verbreitet, empört er sich über die Generalisierung. „Ich reiß mir den Arsch auf, um multiperspektivisch zu sein“, erklärt Abdul und schildert, wie sehr er seinen „Hass“ zurückhalten muss. Die Sprache und der ganze Diskurs seien vergiftet, erklärt er weiter. So vergiftet wie ein Brunnen? Die Metapher traut Abdul sich dann doch nicht. Das würde sein wahres Gesicht zu sehr offenbaren.

Insofern muss ich meine Kritik am Beginn des Beitrags vielleicht doch zurücknehmen. Was sich in dieser Sendung abspielte, war sehr wohl ein innenpolitisches Problem – wenn auch ein importiertes. Denn ich würde dem Team um Illner sofort glauben, wenn es erklären würde, dass es sich bei diesem Comedian hier um den gemäßigtesten Deutsch-Palästinenser handelt, den sie finden konnten.

Er begann die Sendung noch ganz vorsichtig, nur der aufmerksame Zuschauer konnte seine Meinung an Schlagwörtern wie „Gewaltspirale“ ablesen – und plötzlich bämmmm: Israel richtet gezielt humanitäre Helfer hin und die Palästinenser dürfen dank Israel froh sein, „wenn sie Katzenfutter essen können“. Das können wir ihm ruhig glauben, weil seine Verwandten aus Gaza das so erzählen. Illner sagt die gesamte Diskussion über nichts. Wieso auch? Sie hat Abdul Kader Chahin doch nicht ohne Grund eingeladen.

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