Was darf man heute noch sagen? Und worüber darf man heute noch lachen? Über solche Fragen sollte es in der letzten Folge bei Maybrit Illner vor der Sommerpause gehen. Genauer gesagt war der Titel der Sendung: „Freiheit nur für meine Meinung – müssen wir wieder streiten lernen?“ Im Studio zu Gast waren der Komiker Hape Kerkeling, der Philosoph Julian Nida-Rümelin, die Aktivistin Düzen Tekkal und eine „queere Influencerin“, die sich Frau Löwenherz nennt, aber eigentlich Leonie Plaar heißt.
Man könnte jetzt denken, dass die Redaktion im ZDF Einsicht walten lässt und es endlich zugibt: Für sie gilt Meinungsfreiheit nur für die eigene Meinung. Die Öffentlich-Rechtlichen umgehen ihren Rundfunkauftrag und die Neutralität und bilden nur ab, was sie für richtig halten. Und sie geben es endlich zu. Immerhin klingt der Titel so.
Illner und ihre Gäste hätten die perfekte Gelegenheit zur Einsicht gehabt. Die Ausgangsfrage zwingt sie ja quasi zur Reflexion. Aber diese Gelegenheit lassen sie weitestgehend verstreichen. Denn wissen Sie, wer wirklich das Meinungsklima verpestet? Na, die Rechten. Die, die das Gendern verbieten wollen, die nicht nur von Zigeunern und Indianern sprechen, sondern sich auch so verkleiden wollen, die die Cancel Culture canceln wollen und Vergewaltiger verteidigen.
Im ersten Teil der Sendung geht es um Humor. Dafür hat man sich mit Hape Kerkeling ein schillerndes Beispiel für gute Comedy geholt. Mit 13 Jahren bewarb er sich bei Loriot und wurde zwar abgelehnt, hat aber schon damals Geschmack für guten Humor bewiesen. Er wird zu seinen Auftritten gefragt und, ob er die heute immer noch so machen könnte. „Wenn ich das so sehe, hätte ich da eigentlich nichts zurückzunehmen.“
Es ist eine Sendung, bei der ich mich endlich mal wieder amüsieren konnte. Und das gar nicht wegen Hape Kerkeling, sondern ausgerechnet wegen der einzigen Person im Raum, die keinen Spaß versteht. Die Influencerin Frau Löwenherz hat sich anscheinend schon viele Gedanken gemacht über dieses Konzept „Humor“, das sie nicht so ganz begreifen kann. So sehr, dass sie eine genaue Wertevorstellungen hat, wer über wen Witze machen darf. Eingangs stellte sie die These auf, dass diskriminierungsfreier Humor die Frage stellt: Trete ich nach oben oder nach unten? Wer Witze auf Kosten von Minderheiten machen muss, so ihre Ansicht, der ist eigentlich gar nicht so lustig, wie er denkt.
Problem ist nur: So meinte Frau Löwenherz das gar nicht. Sie unterteilt die Menschen nicht in mächtig und weniger mächtig aufgrund ihrer objektiven Stellung in der Gesellschaft – sondern nach sexueller Orientierung, Hautfarbe und Geschlecht. Eigentlich ist das internalisierte Diskriminierung.
„Also wenn Migranten nur noch über Migranten Witze machen können und Schwule nur noch über Schwule und Dicke nur noch über Dicke, ist das dann eine diskriminierungsfreie Humorzone?“, fragt Illner sie. Darauf antwortet die queere Influencerin: „Absolut nicht. Ich würde auch gar nicht sagen, dass dieser Humor innerhalb dieser Gruppen bleibt, oder bleiben muss.“ Doch dann kommt wieder oben und unten ins Spiel: „Es ist was anderes, wenn ich als lesbische Frau einen Witz über Hetero-Männer mache, dann trete ich nach oben, das sind die Menschen von denen ich Diskriminierung erfahre. Wenn diese Männer aber lesbenfeindliche Witze über mich machen, dann hat das eine ganz andere Machtebene.“
Diese Witzprivilegien müssen dabei bis ins kleinste Detail unterschieden werden. Als Beispiel dafür führt sie an, dass ja sowohl sie selbst als auch Hape Kerkeling homosexuell sind – auf dieser Ebene also gleich arm dran. Allerdings ist Hape Kerkeling ein Mann und sie eine Frau, damit steht er an der Stelle besser da als sie, es ist also diskriminierend, wenn Hape Kerkeling einen Witz über sie als Frau machen würde, während er selbst aber ja über ihr steht.
Da nickt Hape Kerkeling nicht mehr so euphorisch, sondern beäugt sie kritisch. So ganz kann er das auch nicht teilen, wenn man mal an seine Karriere zurückdenkt. Er hat Witze über Schwule gemacht, aber das darf er als Schwuler ja. Er hat Heteros gespielt – da er als Schwuler ja nach der Frau Löwenherz‘schen Witzlehre da unter zu ordnen ist, geht das ja auch in Ordnung. Allerdings, wie ist das mit Hetero-Frauen? Wer ist jetzt ärmer dran, der schwule Mann oder die heterosexuelle Frau? Königin Beatrix zum Beispiel? Oder Evje van Dampen, die große Autorin des Buches „Liebe ist Arbeit, Arbeit, Arbeit“?
Auf die Frage, ob nur noch Schwule Schwule spielen dürfen, antwortet Kerkeling ganz nüchtern, dass er in seiner Karriere sehr oft heterosexuelle Männer gespielt und glaubhaft verkörpert hat. „Also warum sollte umgekehrt nicht auch ein Heterosexueller einen Schwulen spielen dürfen und auch können?“ Weiter erklärt er: „Das macht den Beruf eines Schauspielers aus, dass er sich in nahezu alles hineinversetzen kann.“
Die gibt sich allerdings auch als so linksextrem, dass man sich mit ihr wirklich nicht anlegen will, solange man noch in Backsteinwurfreichweite ist. So wird sie von Illner danach gefragt, ob Rammstein noch immer gecancelt gehöre – trotz Unschuldsvermutung und Gerichtsurteil. Für Frau Löwenherz ist die Sache klar. Lindemann ist ein Vergewaltiger. Sie würde bei einer dreistelligen Zahl an Frauen, die ihn dessen bezichtigen, eher den Frauen trauen als der einen Stimme des Mannes. Gleichzeitig macht sie sich Sorgen, dass eine Vergewaltigung schwer zu beweisen ist, viele Täter kämen einfach frei. Nach ihrer Logik ist es dann die Aufgabe der Gesellschaft, diese Täter zu ächten. Also zunächst einmal – sollten bei über hundert Zeuginnen keine Beweise zusammenkommen, die eine Verurteilung ermöglichen, dann war vielleicht wirklich nichts dran.
Da die Dame in der Sendung gerne über Bildung gesprochen hat: Das Strafrecht soll die Ultima Ratio darstellen – also quasi den letzte Ausweg, die letzte Lösung. Nicht alle Probleme sind strafrechtlich relevant und sollen es auch nicht sein. Bis zu einer gewissen Schwere der Tat sollen die Bürger das ohne den Staat klären. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, wenn die Behörden ermitteln und es zu einem Prozess kommt, dann haben wir ein Level erreicht, auf dem die Bürger das eben nicht mehr unter sich ausmachen können. Ab diesem Punkt wird die Unschuldsvermutung unverzichtbar. Kein Ausgang eines solchen Prozesses ist erfreulich. Hat er sie missbraucht, bedeutet das, dass wir es mit einem schwer traumatisierten Opfer zu tun haben. Hat er sie nicht vergewaltigt, wurde er zu Unrecht aus der Gesellschaft verstoßen und hat er seinen Ruf trotzdem unwiederbringlich verloren.
Gerade in solchen Fällen ist es brandgefährlich, wenn eine Influencerin, die nicht mal über juristisches Viertelwissen verfügt, geschweige denn über ein Gefühl für Rechtsstaatlichkeit, darüber entscheiden will, für wen die Unschuldsvermutung noch gelten darf und für wen nicht. Sie stellt sich damit über Gesetze, die sie gar nicht versteht, die aber aus gutem Grund gelten.
„Am Ende glaube ich lieber einer Lügnerin als einem Vergewaltiger“, stellt die Influencerin klar. Was schön klingen mag, ist auf so vielen Ebenen falsch, dass man einen Ausflug durch die Matrix machen muss, um alles abzudecken. Zunächst mal: Warum ist es denn so schwer, als Vergewaltigungsopfer Gehör zu finden? Nicht zuletzt wegen der vielen Fälle von Frauen, die unschuldige Männer der Vergewaltigung bezichtigt haben, als wirkungsvolle Methode, das Leben der Männer zu zerstören? Das war übrigens auch ein gesellschaftlicher Prozess. Darunter leiden heute echte Opfer, denn man ist misstrauisch geworden. Aber wieder folgt sie ihrer Weltsicht vom Oben und Unten. Was eine Frau einem Mann antut, kann nicht so schlimm sein wie das, was ein Mann einer Frau antut.
Dass der Mann in diesem Drama unschuldig und die Frau eine Lügnerin sein könnte, kommt in ihrer Weltsicht aber ohnehin nicht wirklich vor. So führt sie zum Beispiel an, dass es ja schließlich auch in vielen Verfahren zu einem Freispruch gekommen ist, obwohl „klar war, dass da was dran sein muss“. Gerichtsurteile zählen nicht. Das ist nur nice to have und wenn es nicht passt, stellt man sich drüber. Es ist ein allgemeines Problem in der Gesellschaft. Häufig haben Menschen, die zu Unrecht angeklagt wurden, es schwer, wieder in die Gesellschaft zurückzukehren, weil alle immer denken, „irgendwas muss ja dran gewesen sein“. Vielleicht hat er sie nicht gleich vergewaltigt, aber angegrabscht hat er sie bestimmt. Oder die Beweise waren einfach nicht da, aber die Tat fand trotzdem statt. Gerade deshalb gibt es die Unschuldsvermutung aber. Wir waren nicht dabei, Beweise können in die Irre führen und wir sind nicht Gott.
Illner war nach dieser Äußerung komplett perplex und sprachlos, aber der Philosoph Julian Nida-Rümelin ist eingesprungen und es war sehr wichtig, dass er das getan hat. Er verteidigt das Recht und die Unschuldsvermutung. „Also ich vertraue nicht, dass das alles immer gut ausgeht, völlig klar, dass das manchmal nicht gut ausgeht – aus Mangel an Beweisen Freisprüche, die man schrecklich findet, solche Fälle kommen vor. Aber das berechtigt uns nicht, an die Stelle des Rechtsstaates zu treten.“ In ihrer vollkommenen Verblendetheit wirft die Influencerin an der Stelle hinein, dass solche Fälle nicht nur manchmal vorkämen, sondern der Regelfall seien. Sie erklärt nicht, woher sie diese Behauptung hernimmt. Wahrscheinlich aus ihrem Bauch heraus. Denn sei es drum. Ein Mann mehr im Gefängnis, ob nun unschuldig oder nicht, ist ja immer noch nichts im Vergleich zu der Unterdrückung der Frau.