Tichys Einblick
Israel und die Ukraine

Illner: Grüne belehren die Ukraine über den Krieg

Illner möchte in dieser Woche die geopolitischen Implikationen des Doppelkonflikts Israel und Ukraine beleuchten. Doch sie beleuchtet vor allem die innenpolitischen Spannungen in Deutschland zwischen den Wagenknecht-Linken, die jede Waffenlieferung ablehnen, und den Grünen wie Daniel Cohn-Bendit, der plötzlich doch für Waffengewalt ist.

Screenprint: ZDF / Maybrit Illner

Fast vier Wochen nach dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel wird im deutschen Fernsehen über die geopolitischen Folgen des Krieges in Nahost diskutiert. Auch mit Blick auf den immer noch andauernden Krieg in der Ukraine. Eine reichlich späte Diskussion für das – ansonsten so präsente  – Deutschland.

Bei Maybrit Illner geht es in die nächste Runde: Die Frage der letzten Talkshow „Krieg im Nahost – Gefahr für die Welt?“ wird mit „Ukraine und Israel – zwei gefährliche Kriege für die Welt?“ fortgesetzt. Mit gehaltvollen Worten bekannter Politiker der Ukraine, Israels und der USA wird das Thema angekündigt: Die Ukraine bangt um ihre militärische Unterstützung angesichts der entsetzlichen Nachrichten aus Gaza. Gleichzeitig erwartet Israel verständlicherweise Solidarität von der westlichen Welt sowie politische und militärische Unterstützung im Kampf gegen den Terror der Hamas.

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Währenddessen scheinen die einst so standhaften Stellungen des Westens im Krieg der Ukraine gegen Russland im Nahost-Krieg zu wanken. Scholz verpflichtet sich, Israel in jeder Lage zu unterstützen, doch in der UN enthält sich Deutschland, um die Anti-Israelfront nicht vor den Kopf zu stoßen. Scholz möchte wiederum die Lieferung bestimmter Waffensysteme in die Ukraine einschränken, da die Ukraine lediglich ihre Grenzen verteidigen dürfe. Deswegen sollen Taurus-Marschflugkörper beschränkt werden, sodass ein Angriff auf russisches Territorium vorgeblich nicht möglich ist.

Die Frage, die der Welt laut Illner auf der Zunge brennt, ist: „Welche Rolle spielt Deutschland?“ – Eventuell muss das Zugeständnis gemacht werden, dass diese Frage schwer zu beantworten ist. An klaren Worten der Politik mangelt es nicht. Bundeskanzler Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck haben deutliche Worte zur Unterstützung Israels gefunden: Nur an Taten lassen sie es mangeln.

Für den israelischen Blickwinkel wurde die internationale Sonderkorrespondentin des ZDF, Katrin Eigendorf, aus Tel Aviv zugeschaltet. Sie ist seit dem 10. Oktober, also drei Tage nach dem Massaker an israelischen Zivilisten im Land. Die ukrainische Sichtweise konnte dagegen der Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba, vor Ort vertreten. Wolfgang Ischinger, von 2008 bis 2022 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), heute Präsident des MSC-Stiftungsrats, soll die geopolitische Komponente liefern. Er war sowohl Staatssekretär im Auswärtigen Amt als auch Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Washington und London.

Weiterer Gast ist der ehemalige Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit. Cohn-Bendit hat sich in seiner beruflichen Laufbahn auf europäischer Ebene spezialisiert. Er ist also auch eher kein Deutschland-Spezialist und schon lange nicht mehr bundespolitisch aktiv. Der letzte Gast ist dann endlich ein bundespolitischer Volltreffer: die Vereinsvorsitzende des neuen BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) Amira Mohamed Ali. Sie kommt aber nur zweimal zu Wort und wird zuletzt von Cohn-Bendit unhöflich unterbrochen. Illner, die ansonsten gerne mal ihren Gästen das Wort abschneidet, findet hier ihre Moderationsstimme nicht.

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Allgemein scheint Illner in dieser Talkshow-Runde um die Kontrolle des Gesprächs stärker kämpfen zu müssen als sonst. Cohn-Bendit bringt Illner auch ab und zu in unangenehme Situationen, so muss Illner auf Cohn-Bendits Einleitung „Also Frau Illner, erstmal um es klarzumachen: Ich bin nicht neutral heute“, mit einem nachdrücklichen und nervösen „Ich glaube, keiner ist neutral heute“ unterstreichen – dabei fehlt bei Illners vergangenen Gesprächsrunden definitiv eine klare Abgrenzung zur Terrororganisation Hamas. Statt einen natürlichen Gesprächsverlauf zu erreichen, fällt Illner ihren Gästen Mal um Mal ins Wort. Ischinger lässt vorsichtige Kritik am Handeln der Außenministerin Baerbock anklingen: Wer sich bei Abstimmungen in der UN enthält, der „wird nicht respektiert“, von keiner Seite. Baerbock wollte sich der Gaza-Resolution der UN nicht anschließen. In der Resolution fehlt jede Verurteilung der Taten der Hamas. Dagegen stimmen wollte Baerbock aber auch nicht.

Cohn-Bendit zeigt klare Kante gegen die Terroristen und gesteht: „Wir waren ein paar Idioten. Ja!“ Er konfrontiert auch seine eigene Naivität in Bezug auf die Hamas und Russland. Trotzdem ist diese Erkenntnis zu spät und die Härte, mit der nun versucht wird, geradezurücken, was bereits zusammengebrochen ist, protzt vor Unaufrichtigkeit. Vergessen wird, dass die, die vor Hamas und Russland warnten, schon fast als verspätete Kalte Krieger gesehen wurden. So wird Kritik von Illner an der Hamas-freundlichen Haltung von Fridays for Future mit einem trotzigen „Nein, nein, nein“ von Cohn-Bendit heruntergespielt und Illner wird von ihm mit einem „Aufpassen! Aufpassen!“ verwarnt.

Als das Gespräch dann auf die militärische Verteidigung von Israel bzw. der Ukraine kommt, muss sich der ukrainische Außenminister Kuleba von ihm die westlichen politischen Fehler der Vergangenheit anhören und mit einem „Come on, come on!“ (Komm schon, komm schon!) für seine vorsichtige Beschreibung verspotten lassen. Kuleba versucht sich während des Gesprächs dagegen klar, aber auch diplomatisch auszudrücken. Sein Land ist auf deutsche Hilfe und Wohlwollen angewiesen, was er offensichtlich nicht gefährden will. Ausfälle der Art, wie sie sich der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk geleistet hat, umschifft er geschickt. Seine Reaktionen sind daher äußerst bedacht und lassen sich auch nicht von Cohn-Bendit oder von Illner, nachfragend zur Stimmungslage in der Ukraine über die eingeschränkte Waffenlieferung, beeinflussen.

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Mohamed Ali versucht gegen den das Gespräch dominierenden Cohn-Bendit in Bezug auf die Waffenlieferung durchzudringen: „Das Recht auf Selbstverteidigung ist begrenzt durch das humanitäre Völkerrecht. Und da gibt es berechtigte Zweifel.“ Mohamed Ali, die sowohl im Ukraine-Krieg als auch im Israel-Krieg auf eine diplomatische Lösung drängt, muss aber frustriert aufgeben – jedoch nicht, ohne Cohn-Bendit ein wenig in Rage zu bringen.

Hier zeigt sich die Bruchlinie der modernen Linken in diesem Land. Die Wagenknecht-Linken lehnen jede Lieferung von Waffen ab. Mohamed Ali, wie auch ihre anderen Mitstreiter, sympathisieren mit den Palästinensern mehr als mit den Israelis. „Das Ziel ist richtig, die Mittel falsch“, sagt sie nicht über die Hamas: Es schwingt aber immer mit. Dass die Hamas die Vernichtung aller Juden, nicht „nur“ des Staates Israel anstrebt, spart sie aus. Das Drängen auf eine diplomatische Lösung ist die konsequente Fortsetzung der alten Politik, dass in Krisengebiete keine Waffen geliefert werden dürfen. Diese Haltung ist kompromisslos wie naiv.

Cohn-Bendit hingegen kann keinen Widerspruch für seine eigene Position der unbedingten Waffenlieferungen dulden: Der moralische Eifer der ehemaligen Pazifismus-Partei hat sich in sein Gegenteil verkehrt. Das muss selbst jenen unangenehm sein, die eigentlich eine Waffenlieferung in die Ukraine und nach Israel von Anfang an unterstützt haben. Selbst dem Minister Kuleba scheint das zu viel: Sein Land „zahlt den höchsten Preis, das Blut“, wie er sagt; und er muss sich von Cohn-Bendit wie ein unmündiges Kind unterbrechen lassen, damit der Grüne für ihn argumentieren darf.

Zeitgleich zu dieser Diskussion über die Rolle Deutschlands berichtet Katrin Eigendorf von einer positiven Stimmung in Tel Aviv gegenüber Deutschland: „Das Abstimmungsverhalten von Deutschland hat hier keine so große Rolle gespielt. Die Rede von Robert Habeck dagegen schon. Das hat man hier mit großem Wohlwollen aufgenommen.“ Da ist sie wieder, die klare Haltung, auf die lange gewartet wurde. Jeder weiß: Statements sind die neuen Taten der Politik. Auch wenn dieses Statement eventuell nur dem Polieren des Kanzlerkandidaten-Images dienen soll.

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