Tichys Einblick
Schmerzhafte Bauchlandung

Über Erfolg und Misserfolg: „Honig im Kopf“ und „Head full of honey“

Nach sechs Tagen nahm man den Film an der US-Westküste aus dem Programm. Ganze 12.350 Dollar habe er eingespielt, so das US-Portal „boxofficemojo“. Gerade einmal 6.400 deutsche Kinogänger in 86 Kinos sahen den Film.

imago images / Prod.DB

Warum macht man einen Film? Weil es eine besondere politische Botschaft oder eine bewegende Geschichte gibt, die man den Zuschauern erzählen möchte. Weil man meint, zusammen mit tollen Schauspielern vor beeindruckender Kulisse ein bleibendes Monument in bewegten Bildern erschaffen zu können. Weil man ein paar schauspielerisch begabte Töchter kennt?

Mag sein, dass den ewigen Lausebengel Til Schweiger eines dieser Motive dazu gebracht hat, seinen in Deutschland erfolgreichen Film „Honig im Kopf“ in den USA noch einmal neu unters Volk zu bringen. Vielleicht war ihm der Zuspruch „Til ist ein toller Typ“ von Altmeister Michael Douglas zu Kopf gestiegen, den er ursprünglich als Hauptdarsteller vorgesehen hatte.

Jedoch: was nach dem 60 Mio Euro-Ergebnis der Ursprungsversion geklappt hatte, wurde für Schweiger mit dem englischen Zwilling eine schmerzhafte Bauchlandung. Eigentlich hätte er aus seinen paar Nebenrollen als „der Bösewicht mit dem deutschen Akzent“ die Erfahrung mitnehmen müssen, dass man einen Oscar nicht mal eben so und schon gar nicht mit dem Brecheisen bekommt.

Der Kritiker des US-Observers verglich „Head full of Honey“ mit einer Wurzelbehandlung ohne Narkose. Andere englischsprachige Blätter ließen an dem Streifen ebenfalls kein gutes Haar. Übertroffen wurde die verbale Kritik noch von dem dröhnenden Schweigen derjenigen, die das Werk nicht einmal eines Verrisses würdigten.

Nach sechs Tagen nahm man den Film an der US-Westküste aus dem Programm. Ganze 12.350 Dollar habe er eingespielt, so das US-Portal „boxofficemojo“.

Trotzdem hielt Schweiger, der neben seinen Aktivitäten als Kneipier endlich auch öfter als Regisseur reussieren möchte, daran fest, sein US-Remake auch noch in Deutschland in die Kinos zu bringen. Gerade einmal 6.400 deutsche Kinogänger in 86 Kinos sahen den Film, bevor er (TAG24) aus den Programmen genommen wurde. Der Schauspieler wundere sich sehr und fände keine Erklärung für das Fiasko, berichtet n-tv.

Fehlersuche: es muss an den Deutschen liegen

Die englischsprachige Webseite der Deutsche Welle meinte, dem Selfmade-Director Schweiger (berüchtigt dafür, seine Streifen selbst zu schneiden und sich am Set als „Imperator“ ansprechen zu lassen) beispringen zu müssen. Sekundiert von Prof. Christof Decker, der Amerikastudien an der LMU München unterrichtet und sich auf Film und Kulturforschung spezialisiert hat, startete man einen Erklärungsversuch:
Immerhin tritt Prof. Decker zu Beginn des Interviews der Vermutung tapfer entgegen, dass die Deutschen ein erbliches Defizit beim Humor hätten – das stimme nicht, hingegen liege der Fehler bei der deutschen Filmwirtschaft selbst. Der fehle das Innovative, sie gebe sich zu oft und zu leicht mit einfachen Konzepten zufrieden.

Daraus zieht der Experte dann allerdings schnell den Schluss, dass deutsche Komödien nur für ein deutsches Publikum gemacht würden, für einen nationalen Geschmack, einer implizit angesprochenen „weißen, homogenen Mittelklasse, die ihren lifestyle in der Komödie bestätigt sehen wolle – aber das Seltsame, Intellektuelle, Nichtangepasste ablehne“. Slapstick sei harte Arbeit, aber wenn er schwerelos daherkäme, sei er am besten. „Deutsche Komödien seien viel zu oft klobig und schwermütig, und im Gegensatz zu den US-Amerikanischen (die sich ja in Deutschland grosser Beliebtheit erfreuten) weniger radikal und skrupellos – man scheine immer zu fürchten, jemanden wehtun zu können. Daher blieben viele Themen unberührt und eine weltweite Gruppe von Zuschauern könnte nicht erreicht werden.“, so Decker weiter, der noch beispielhaft den fehlenden internationalen Erfolg deutscher Schlager anführt.

Die These der DW: Deutsche Komödien seien für eine zu homogene deutsche Zuschauerschaft bestimmt, “er sehe hier das deutsche Kino in einem wirklichen Dilemma: Komödien seien seit Jahren die erfolgreichsten Produktionen in Deutschland, wie man es z.B. an der “Fack Ju Göhte“ Serie erlebe. Gleichzeitig scheine die deutsche Komödie aber nur Erfolge zu feiern, wenn sie provinziell, und nicht kosmopolitisch bleibe.“ So Prof. Decker.

Moralin als Stolperstein

Ihm zufolge weise der Film “Willkommen bei den Hartmanns”, eine der aktuell finanziell erfolgreichsten Komödien, „zudem auf eines der fundamentalen Probleme des Genres in Deutschland hin: es käme einfach nicht umhin, Komödiantisches mit moralischen Ansichten oder Doktrinen zu verbinden, um damit den aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft bestehenden Status Quo zu bestätigen und explizit den an den Rändern auszublenden.“

Der Experte nennt sodann Loriot als positives Beispiel, der „genau wie seine Vorbilder von der britischen Truppe der „Monty Python“ den Nonsense kultiviert und seine Komödien nicht auf einfache Moralformeln hätte reduzieren wollen.“

Nun steckt „Head full of Honey“ nicht gerade voller erhobener Zeigefinger. Aber wie Til Schweiger trotz seiner US-Erfahrung diese Fehleinschätzung unterlaufen konnte, ist schon bemerkenswert. Er war offensichtlich der Ansicht, dass er die US-Zuschauer mit der Rekrutierung eines in die Jahre gekommenen Schauspielers und einer rührseligen Story gerade rechtzeitig für die Oscarnominierungen mal eben über den Löffel barbieren könnte. Die langmütigen deutschen Zuschauer konnten ihm noch viele handwerkliche Patzer und peinliche Witze vergeben, weil er „es ja gut meinte“ – und weil man sich mit der lebensechten schauspielerischen Leistung ihres Volkskomödianten „Didi“ Hallervorden identifizieren konnte.

Die Amerikaner hingegen, emotional nicht involviert, nüchtern und kritisch, zeigten dem deutschen Emporkömmling konsequent die dunkelrote Karte. Sie nahmen die Tragik der Diagnose und den tapferen Kampf der Angehörigen vor den Begehrlichkeiten des Drehbuchs in Schutz.

Schweiger hätte ahnen müssen, dass die amerikanischen Zuschauer sich das Theater wie bei der Standup-Comedy in Las Vegas fünf Minuten antun und unfähige Aspiranten dann gnadenlos auspfeifen würden. Er hätte wissen müssen, dass ihm in USA niemand schlüpfrige Witze in Kombination mit anzüglichen Anspielungen auf die wenig amüsanten Symptome von Alzheimer durchgehen lassen wird. Dass man es auch bei wenig Begeisterung für „Bad Boy“ Nick Nolte nicht zulassen würde, dass ihn ein dahergelaufener deutscher Komparse „wie einen Zweihundertjährigen“ (Observer) aussehen lässt. Dass die unterirdische Qualität von Regie, Kameraführung und Musik dem Streifen dann den Rest geben wird.

In Amerika dreht man solche Filme einfach nicht

Der Amerikaner hat ein feines Gespür dafür, wo der Kitzel mit der scharfen Klinge der Selbstironie endet, und wo die Selbstzerfleischung beginnt. In den USA gibt es eine Grenze, an der man die Kamera auslässt. Nicht dort, wo die im Grundgesetz in Artikel 1 geschützte unantastbare Würde des Menschen (hier bei der Bundeszentrale für Politische Bildung erläutert) beginnt, sondern weit davor, wo Manche eine für sie durchaus verhandelbare „hohe Achtung gebietende Stellung…“ (Duden) wittern.
Diese Messlatte, unterhalb derer man Themen der Lächerlichkeit preisgeben darf, die für viele Menschen Dreh- und Angelpunkt ihrer Lebensauffassung sind, hat Til Schweiger in den USA gerissen. Ein Kardinalsfehler in einer Zeit, in der Vielen wenig bis gar nichts mehr Achtung abnötigen kann.

Gerade hat Rainer Zitelmann bei TE Beispiele dafür genannt, was heutzutage alles verächtlich gemacht werden darf.

Vielleicht liegt diese immer wieder offenbare Angriffslust auf die persönliche Würde daran, dass man sie oft in unmittelbarer Nähe zum verminten Gelände der „Ehre“ findet? Wie weit kann man den lästigen Baldachin über den Würdenträgern einer Gesellschaft absteppen? Wir haben da erhebliche Fortschritte gemacht. Die von Ode, Lowitz und Tappert gespielten Kommissare hätten sich vom Drehbuch nie in entwürdigende Situationen bringen lassen. Ob der Alte sich besoffen, der Kommissar nachts in die Kissen geheult oder Horst durch Bordelle getappert wäre; das hätte weder vor dem Schirm noch hinter der Kamera jemanden interessiert. Die heutige Krimi-Massenproduktion glaubt hingegen, nicht ohne den Gegensatz Respektsperson – Seelenruine auskommen zu können. Auch das wäre in den USA ein no-go. Focus-Autor Josef Seitz hat bemerkt, dass bei uns die „Polizisten heute „kaputter als die Mörder sind“.

Schöner altern: die Traumwerkstatt macht es vor

Weltweit gab es Regisseure, die das von Til Schweiger gewählte Thema „Alter und seine vielfältigen Konsequenzen“ schon ausführlich – bis zu den besagten Grenzen – ausgelotet haben. Eine Auswahl findet sich auf “Ranker.com”.

Keiner dieser Filme verliert die Contenance, weder mit einer greisen Margret Thatcher (die Eiserne Lady), noch mit Judy Dench als alternder Schriftstellerin Iris Murdoch, noch mit Julianne Moore in „Still Alice“ oder Michel Piccoli in „Traveling Companion“. In Kühlschränken verlegt man höchstens mal sein Telefon. Kein Regisseur verirrt sich mit den Instrumenten der Komödie in die Demenzpflegeabteilung. Kann „Honig im Kopf“ deshalb eine Pioniertat sein?

In die Jahre gekommene Hollywoodgrößen sind ständig dabei, ihr eigenes Älterwerden filmisch aufarbeiten zu lassen. In „Picknick mit Bären“ darf Nick Nolte an der Seite des ewig jungen Robert Redford zeigen, dass er noch nicht zum alten Eisen gehört: hier bei der ARD.

In „The bucket list“ (Das beste kommt zum Schluss) machen Jack Nicholson und Morgan Freeman ein paar letzte dringende Besorgungen, in „Last Vegas“ (hier bei Filmfutter.com) machen sich gleich vier große Stars noch einmal zu einer gemeinsamen letzten Sause auf. Noch nie war das Altwerden so einfach. Filme eben, die Raum zur Hoffnung und den Beteiligten die Würde lassen.

Selbst in Deutschland durfte auch Dieter Hallervorden auf seine alten Tage nochmal „ein letztes Rennen“ laufen, und der Schauspielgigant Robert de Niro durfte für Anne Hathaway den weisen alten Praktikanten geben.

Aber auch Giganten können sich in den USA kräftig verheben. 2016 legte de Niro In „Dirty Grandpa“ eine Leistung ab, die die Chicago Suntimes schlicht als „Dreck“ bezeichnete. Das sei ein Film, bei dem man froh sein könne, „wenn die Frau vor einem den grossen Sonnenhut aufbehielte.“

In Punkto Würde war hier sicherlich auch die US-Grenze weit überschritten, wenngleich diese in dem Film hauptsächlich auf der Gürtellinie zu finden war. Trotzdem fuhr der unterirdische Streifen innerhalb von 8 Wochen noch ungefähr 94 Mio US-Dollar ein (Box Office Mojo).

Zu seinem Glück landete Til Schweiger mit seinem englischsprachigen Flop in den weichen, gut gepolsterten Armen der deutschen Filmförderung, die ihm dem Vernehmen nach, hier bei „n-tv“ 1,9 Mio, der „Welt“ zufolge unter 4,6 Mio Euro für den Film zuschossen.

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