Am Donnerstag ist es wieder passiert. Bei Markus Lanz saß neben anderen der Virologe Alexander Kekulé und gab fachkundig Auskunft, was man tun kann und was nicht: so kann und sollte man Risikogruppen schützen, Testkapazitäten ausschöpfen und erhöhen, im engen Kontakt Schutzmasken tragen, die es aber derzeit kaum zu kaufen gibt. Eingerahmt war der Mann mit eindeutiger und belastbarer Expertise von einem zugeschalteten Bundesminister Heil nebst VW-Chef Herbert Diess, die bei aller Sorge sichtlich darum bemüht waren, im heiteren Geplänkel mit dem Moderator Zuversicht zu verbreiten.
Die Distanz von der Regierungslinie erscheint allenfalls hauchdünn
Auch wenn die Sendung eigentlich nur nebenher lief, blieb der Lobo-Satz vom »viel richtig gemacht« dank seiner gekonnt geschauspielerten Intonation haften (der Mann ist eben doch Kommunikationsexperte). Nach den beunruhigenden Nachrichten der Klinikärztin – die vom alltäglichen Triagieren bei Verkehrsunfällen und Großbränden berichtete, und verriet, dass so etwas nicht spurlos an einem vorbeigehe – durfte und sollte man wieder durchatmen und sich vertrauensvoll in die Hände (oder gleich den Schoß) seiner Bundesregierung begeben.
Neben der resultierenden Tendenz zur »Hofberichterstattung« spielen in Jarrens Kritik auch die Formate des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine Rolle. So zerfallen die Nachrichtensendungen, zunehmend auch die Gesprächsrunden, in einzelne Statements, durch die gar keine wirkliche Debatte mehr entstehen kann. Schuld seien natürlich die Chefredaktionen, die laut Jarren »abgedankt« haben. Die spezifische Expertise der Befragten spiele keine Rolle mehr, als ob der reine Promi-Faktor schon kompetent machte. Nur so ist es eben auch möglich, dass ein meinungsstarker Kommunikationsexperte die Gesundheitspolitik der Bundesregierung quasi »abschließend« bewerten bzw. lobpreisen darf. Wieder andere Konflikte ergeben sich, wenn einer zugleich SPD-Gesundheitspolitiker und Epidemiologe ist, aber als Koalitionspolitiker niemanden kritisieren und als Epidemiologe schon immer recht gehabt haben will.
Kritikloser Mainstream
Zu ähnlichen Schlüssen kamen die Journalistin Vera Linß vom Deutschlandfunk Kultur und der Medienblogger Andrej Reisin von der Plattform »Übermedien«. Doch beide sehen das Problem noch breiter und beziehen die Mainstream-Presse in ihre Kritik mit ein. Laut Vera Linß transportieren viele Journalisten »die Krisenstrategie der Bundesregierung weitgehend kritiklos« und betreiben so »eine Art Service-Journalismus« für die Regierenden. Linß hält beispielsweise das Thema der eingeschränkten Freiheitsrechte und der zunehmenden Überwachung der Bürger für besonders dringlich.
Zuvor hatte Andrej Reisin unter der Überschrift »Staatsräson als erste Medienpflicht?« in die gleiche Kerbe gehauen. Als Paradebeispiel der allgemein betriebenen Desinformation dient ihm der Tweet von Jens Spahn, in dem der Gesundheitsminister vor »Fake News« warnte und behauptete, dass die Regierung keine »massiven weiteren Einschränkungen des öffentlichen Lebens« vorhabe. Das war am 14. März, doch schon zwei Tage später verkündete Angela Merkel die Schließung praktisch des gesamten öffentlichen Lebens, ob in Geschäften, Bars oder Kirchen. Letztlich kam es also zur »größten Einschränkung von Grundrechten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland«. Damit wurde der Tweet des Bundesministers selbst zur Falschmeldung – zumal auch Spahn später zugab, dass die Einschränkungen von langer Hand geplant waren.
Daneben kritisiert Reisin die »tagesschau«, wenn sie unter jede Meldung zum Corona-Geschehen den Hashtag #wirvsvirus setzt. Ein solcher Kampagnenjournalismus passt in der Tat nicht zum Nachrichtenflaggschiff eines öffentlichen Senders.
Wenn das vielleicht eine Formfrage ist, so ist Reisin auch in der Sache recht zu geben, wenn er von den Medien eine öffentliche Debatte über die Regierungspolitik statt ihrer Apotheose erwartet. So kritisiert er die »Zeit« für die Veröffentlichung eines Schaubilds, das dem Leser vermitteln soll, wann er auf einen Covid-19-Test verzichten kann. Die Zeitung sollte vielleicht lieber kritisch hinterfragen, warum es solcher Beschränkungen bedarf und wie es dazu kam.
Weitere Fragen, die nicht oder kaum gestellt werden, schließen sich an: Wie haben Taiwan, Singapur oder Südkorea die Pandemie gemeistert, bevor, während oder nachdem sie bei ihnen ausgebrochen war? Wie viel Datenschutzverzicht wäre uns ein bald aufgehobenes Ausgangsverbot wert? Und, die Frage aller Fragen: Wie lange können wir den Shutdown überhaupt durchhalten und was wären die Alternativen? Doch keine dieser Debatten findet auf einem angemessenen Niveau statt.
Anders ist das in Großbritannien, wo jede Entscheidung der Regierung Johnson von links wie rechts kritisch diskutiert wird. Dagegen gefällt sich das ZDF im aktuellen Politbarometer in der Plakatierung des Ist-Zustandes, den eine überwältigende Mehrheit der Deutschen gut finde. Die Deutschen wollen – so hat der Sender herausgefunden – weder weniger Lockdown noch mehr und finden, dass die Kanzlerin von ihrem schlecht verkabelten Zuhause aus eine ausgezeichnete Politik fahre. Doch die so gekennzeichnete Realität gibt offenbar keinen Anlass mehr zur Kritik.