Mit TV-Duellen ist es wie mit Nachwahlanalysen: Am Ende reklamiert jede Seite den Sieg für sich, völlig egal, was tatsächlich geschehen ist. So natürlich auch nach dem Aufeinandertreffen von Thüringens AfD-Chef Björn Höcke mit CDU-Kontrahent Mario Voigt am Donnerstagabend bei Welt TV. Was war die Aufregung im Vorfeld groß: Die geschlossene Linksfront warf Voigt vor, „den Nazi“ Höcke zu normalisieren; von vornherein könne nur der AfD-Mann durch dieses Duell gewinnen.
Voigt hingegen argumentierte, er wolle Höcke inhaltlich stellen, da die bisherige Boykottstrategie ja ganz offensichtlich nicht aufgegangen sei. Beide treten in den Landtagswahlen in Thüringen an: Und Höcke liegt in den Umfragen zehn Prozentpunkte vor Voigt. Im Duell selbst formulierte der CDU-Mann sogar die These: „Wir ändern heute Abend das Bild der Wählerinnen und Wähler.“ Nun ja: Das eine ist so übertrieben wie das andere. Die Aufregung der Linksfront, die schon Hitler 2.0 ante portas wähnte, war aufgeblasen wie immer. Und Voigts Hoffnung, Höcke entzaubern zu können, war natürlich auch viel zu hoch gehängt. Die, die Höcke ablehnen, werden das auch weiterhin tun. Die, die ihn verehren, ebenso. Warum also die ganze Aufregung? Dieses Duell hat sicher nicht über Deutschlands Zukunft entschieden.
Stärken und Schwächen ließen sich in den 71 Debattenminuten nichtsdestotrotz identifizieren. Höcke war vor allem in den ersten Teilen des Duells klar im Vorteil, bei den Themen Europäische Union, Wirtschaft und Migration. Der AfD-Mann wirkte zwar nervös und teils wenig professionell – Zuckungen im Gesicht, eine Hand in der Hosentasche, die Hand am Kinn. Aber er konnte die Probleme analysieren, wie er es schon immer getan hat: den Bürokratismus der EU, die milliardenfache Geldverschwendung etwa in der Entwicklungshilfe, die großen Probleme durch die massenhafte Migration. Das wirkte glaubwürdig. Was macht da schon ein wenig Lampenfieber?
CDU-Mann in Erklärungsnot
Voigt setzte zwar auch konservative Akzente. Illegale Migration etwa bezeichnete er als „ein Riesenproblem“, forderte „null illegale Migration nach Deutschland“. Er klagte über die „Gängelung“ aus Brüssel, griff den Ärger über eine Entscheidung wie das „Verbrennerverbot“ auf. Stets aber hatte Höcke ein leichtes Konterspiel. So hielt er Voigt entgegen: „Sie haben das Land mit Ihrer Migrationspolitik an den Rand des Kollapses geführt. Und jetzt, nachdem Sie das Kind in den Brunnen geworfen haben, beginnen Sie, das Wasser abzuschöpfen und Symptompolitik zu machen. Das glaubt Ihnen doch kein Mensch mehr.“ Schachmatt.
Der CDU-Mann, kontaminiert allein durch seine Parteimitgliedschaft und die Mitverantwortung der Union für den Zustand Deutschlands, hatte dem nichts entgegenzusetzen. Fahl etwa wirkte sein Vorwurf, Höckes Forderung nach einem EU-Austritt werde „das Rückgrat der stärksten Exportnation brechen“, weil Höcke unter anderem Zollschranken wolle. Der AfD-Mann aber hatte nicht nur den EU-Austritt gefordert, sondern auch einen „lockeren Bund europäischer Staaten“ als Alternative benannt, und zwar mit „freiem Markt“. Insofern wirkte Voigts Anwurf eher schlecht zurechtgelegt: Er zielte ins Leere.
Insgesamt gelang es dem Christdemokraten kaum, Höcke wirklich in Bedrängnis zu bringen. Seine Attacken wirkten im weiteren Duell-Verlauf teils billig und oberflächlich. So sprach er mit Bezug auf das neurechte Institut für Staatspolitik vom „Nazi-Schloss da in Schnellroda“ und titulierte Höcke als „Reichskanzler“. Mit Blick auf das Thema „Remigration“ warf er dem AfD-Mann vor, dieser wolle alle raushaben, die ihm „nicht in den Kram passen“ – irgendwann seien es „die Brillenträger“. Solche platten Aussagen hätte sich Voigt besser gespart.
Praktisch: Erinnerungslücken
Eng wurde es für Höcke eher wegen des Moderationsduos aus Jan Philipp Burgard, Chefredakteur von Welt TV, und Moderatorin Tatjana Ohm. Die beiden standen an diesem Abend mindestens genauso unter Beobachtung ihrer Journalistenkollegen wie die eigentlichen Kontrahenten. Wie zu erwarten war, warfen sie zahlreiche kritische und bereits hoch und runter diskutierte Höcke-Zitate in den Ring. Meist konnten sie dem AfD-Mann nicht gefährlich werden, weil der stets einen mal mehr, mal weniger nachvollziehbaren rhetorischen Ausweg fand. Winden kann Höcke sich so gut wie jeder Politiker. Erkenntnisgewinn gegen Null.
Außer an einer Stelle: Die Moderatoren hielten Höcke eine Aussage aus seinem Interview-Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ vor. Darin soll er gesagt haben, dass die heutige Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz, Sozialdemokratin mit türkischen Wurzeln, in Deutschland nichts verloren habe. Höcke behauptete daraufhin erst, er habe das Zitat „jetzt nicht mehr parat“, und tat dann so, als wisse er nicht, wer Özoğuz ist: „Man kann ja nicht alle Politiker kennen in dieser Republik“ – reichlich unsouverän und unglaubwürdig, sein eigenes Buch nicht zu kennen.
Insgesamt setzte der AfD-Mann auf einen für ihn gemäßigten Ton. Den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslager Buchenwald am 11. April etwa bezeichnete er als „wichtigen Gedenktag“, den Holocaust als „Schande“ und „Zivilisationsbruch“. Wie glaubwürdig das ist, darüber muss jeder sein eigenes Urteil fällen. Besonders engagiert für die Sache und die Erinnerung an die Schoah wirkte Höcke an diesen Stellen jedenfalls nicht. „Entlarvt“ wurde er durch seine Aussagen aber auch nicht; auf neue Skandal-Aussagen verzichtete er.
Mettbrötchen bitte
Ein grandioses Fest des Fernsehens war das Interview nicht. Die Moderatoren waren wenig souverän. Das Duell war auf 45 Minuten angesetzt, sie ließen es aber 71 Minuten lang laufen – eine straffere Führung des Gesprächs wäre möglicherweise spannender gewesen, statt beiden Politikern Platz zum Phrasenschwingen zu lassen. Voigt und Höcke waren beide gut genug vorbereitet, um Riposten und Talking points einstudiert zu haben; nicht aber, um diese Sätze spontan wirken zu lassen.
Einen vollspontanen Schlagabtausch gab es nur einmal: Als Voigt und Höcke stritten, ob man in Thüringen ein Mettbrötchen nun Hackbrötchen oder Gehacktes nennt. Unklar blieb, ob die Herren Zwiebeln dazu nehmen. Aber das sind nunmal die Prioritäten des Landeswahlkampfs – übrigens übertragen vom privaten Welt TV, nicht vom hochfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Den klaren Verlierer muss man an diesem Abend außerhalb des Studios suchen: Rot-Rot-Grün war im Duell überhaupt nicht vertreten. Thüringens Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow hat seine Stellung als Hauptgegner Höckes damit vorerst an CDU-Mann Voigt abgetreten. Die Grünen kratzen sowieso an der Fünf-Prozent-Hürde. Und die SPD? Die hat sich in ihre Schmollecke zurückgezogen: Die Sozialdemokraten riefen die Bürger im Vorfeld auf, lieber „Germany’s next Topmodel“ als das TV-Duell zu schauen. So kann man auch vor der eigenen Bedeutungslosigkeit kapitulieren. Am Ende ist es ein Sieg nach Punkten für Höcke, aber Voigt gewinnt Respekt durch seinen Mut, sich der Debatte zu stellen. Damit kommt er aus der Defensive, in die sich SPD, Grüne und Linke selbst gebracht haben.