Tichys Einblick
DER VERMESSENE FILM 

„Der vermessene Mensch“ – Eine Ungenauigkeit kommt selten allein

Das Historiendrama „Der vermessene Mensch“ von Lars Kraume schickt sich an, den Herero-Krieg in Deutsch-Südwestafrika zu erklären. Dieser Aufgabe ist er nicht gewachsen. Von Simon Akstinat

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Screenprint ZDF / Der vermessene Mensch
Das immer größer werdende Thema Kolonialismus bekommt zunehmend Raum in Museen, Podiumsdiskussionen und auch im Fernsehen. Nach arte wird nun auch das ZDF zur besten Sendezeit seinen Zuschauern ein Stück Fake History präsentieren, das bis heute kaum kritisch beleuchtet wird.

Der Spielfilm „Der vermessene Mensch“ aus dem Jahre 2023 zeigt vor allem die Gewissensqualen des idealistischen Ethnologen Alexander Hoffmann, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts in die intelligente Herero-Frau Kezia verliebt und in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, Zeuge des Krieges zwischen Herero und Schutztruppe wird.

Das Kolonial-Drama ist durchaus ästhetisch anzusehen, die Kostüme sind erstklassig und außer dem etwas peinlichen Overacting des Hauptdarstellers Leonard Scheicher – während des Filmes ist er als Einziger so gut wie ständig entsetzt und schwankt als eine Art emotionaler Indiana Jones zwischen Ehrgeiz, Verliebtheit und Selbstmordgedanken – wirken alle Schauspieler glaubhaft und authentisch.

Doch damit enden die Pluspunkte dieses Filmes auch schon. Denn so viel Wert „Der vermessene Mensch“ auf schöne Bilder legt, so lässig geht er mit historischen Tatsachen um.

So raunt Alexander Hoffmanns akademischer Übervater, Professor von Waldstätten, durch den Hörsaal der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität: „In Deutsch-Südwest droht Krieg! Die Herero und Nama haben sich gegen die Schutztruppe erhoben!“ Diese falschen „News“ wurden so ganz sicher nicht übermittelt. Denn die Nama, die traditionellen Erzfeinde der Herero, haben sich nicht nur nicht zeitgleich mit den Herero erhoben, sondern kämpften in der erst später im Film angedeuteten Schlacht am Waterberg sogar noch auf Seiten der Deutschen gegen die Herero.

Eine Ungenauigkeit kommt selten allein

Der Film beweist außerdem den Mut, sich selbst zu widersprechen: Da lässt Lars Kraume die stolze Kezia „Ihr (Deutschen) nehmt unser Land weg!“ verkünden, obwohl er Minuten zuvor die Zuschauer richtigerweise darauf hinwies, dass die Herero entgegen eines populären Irrtums mitnichten die Ureinwohner dieses Landes sind. Die Herero drangen ihrerseits als fremde Invasoren ins heutige Namibia ein, um den eigentlichen Indigenen, den San, gewaltsam deren Land zu rauben. Bis heute wird so die Geschichte der San, die in die unfruchtbarsten Gegenden der Region abgedrängt wurden, unsichtbar gemacht.

Zwar wird während einer Szene in der Wüste die berüchtigte – wenig später vom Kaiser annullierte – Proklamation zur Erschießung jedes Herero innerhalb der Grenzen Deutsch-Südwestafrikas durch Lothar von Trotha höchstpersönlich verlesen. Für eine Erwähnung des Aufrufs „Tötet alle Deutschen!“ des Herero-Anführers Samuel Maharero, der von Trothas Proklamation etwa 10 Monate vorausging, war im Film hingegen keine Zeit. Auch der Startschuss des Krieges, das Massaker an den deutschen Siedlern im Januar 1904, ist den Machern nur ein Nebensatz, keine Szene, wert.

Ungewöhnlich in diesem Film ist außerdem, dass selbst eine Landschaft von einer „Schauspielerin“ dargestellt wurde: Die Omaheke-Savanne, in der zahlreiche Herero bei ihrer Flucht verdurstet sind, sah offenbar nicht glaubhaft genug nach Todeswüste aus, sodass die Wüsten-Szenen kurzerhand in der dramatischer aussehenden Sandwüste Namib abgedreht wurden.

Auch hört der Film leider so falsch auf, wie er angefangen hat: Plötzlich ist im Abspann von einem angeblichen deutschen Genozid an San und Damara die Rede, obwohl diese beiden Völker so gut wie gar nicht an den Auseinandersetzungen in den Jahren 1904 bis 1908 beteiligt waren.

Beide Gruppen hatten nämlich gute Gründe, den Herero nicht zur Seite zu stehen: Die San waren wegen des bereits erwähnten Landraubs nicht gut auf die Herero zu sprechen und halfen den Deutschen sogar als Aufklärer. Die Damara hingegen waren erst 1894 von den Deutschen aus der Sklaverei befreit worden – ihre Sklavenhalter waren die Herero.


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