Frank-B. Werner: Helmut Markwort, Sie sind ein Vollblutjournalist. Schmerzen Sie Begriffe wie „Lügenpresse“ oder „Lückenpresse“, mit denen der etablierte Medienbetrieb belegt wird?
Helmut Markwort: „Lügenpresse“ ist völlig inakzeptabel. Die haben wir nicht. Über Lücken kann man reden, gern auch über Einseitigkeit und Tendenzen, aber Lügen – nein!
Werner: Also ist die Kritik an den Medien im Grundsatz berechtigt?
Markwort: Ich verstehe das Misstrauen. Nehmen Sie die Talkshows: agitatorische Einspielfilme, permanente Unterbrechungen unkonventioneller Positionen durch politisch korrekte -Gesprächsteilnehmer, Einer-gegen-alle-Besetzungen. Außenseiter dürfen kaum ausreden. Das empfinden die Leute als unfair.
Werner: Gut, das sind Talkshows …
Markwort: … aber symptomatisch. Über die Aktualitätssendungen in ARD und ZDF muss ich mich genauso ärgern. Da werden sogenannte Experten aufgeboten, die keiner kennt, die auch nicht eingeführt werden, was sie denn nun als Experten ausweist – nur um eine abwegige These zu stützen. Das merken die Leute, und das verärgert sie.
Werner: Man bekommt ja ganz den Eindruck, es handle sich in erster
Linie um ein Problem der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten …
Werner: Es werden die Medien kritisiert. Aber es sind ja, Sie haben es gesagt, Journalisten, die dort arbeiten. Gibt es unter denen eine Art Selbstbeschränkung, sozusagen eine „freiwillige Gleichschaltung“?
Markwort: Es gibt auf gar keinen Fall eine organisierte Gleichschaltung. Allenfalls eine unbeabsichtigte Harmonisierung. Bei Umfragen kommt immer wieder heraus, dass die Mehrheit der Journalisten ihre politische Heimat tendenziell grün-rot verortet. Das schlägt sich dann in der Berichterstattung und Kommentierung nieder: gut, edel und richtig.
Werner: Der Medienwissenschaftler Michael Haller hat ausgezählt, dass 86 Prozent der Berichte zu Flüchtlingen im Jahr 2015 einseitig positiv waren – nur der verschwindende Rest neutral oder kritisch. Woher kommt das?
Markwort: Ich wiederhole mich: Viele Journalisten fühlen sich auf der richtigen Seite und wollen zum Teil die Menschen erziehen. Das haben Sie ja auch bei der Berichterstattung über Kriminalität. Bis ich heraushatte, dass der Bursche, der in Hameln seine Frau mit einem Strick um den Hals an der Anhängerkupplung festband und hinter dem Auto durch die Stadt schleifte, ein Kurde mit deutschem Doppelpass war, musste ich vier Medien lesen. Oder nehmen Sie die Berichterstattung über Einbruchdiebstähle. Ganz selten erfährt man, dass es sich um organisierte Banden vom Balkan handelt.
Werner: Sind die Verleger und Chefredakteure zu schwach, um eine genaue und vielfältige Berichterstattung eventuell zu erzwingen?
Markwort: Bei mir wurden die Dinge stets beim Namen genannt. Ich werde ja heute noch auf der Straße auf unseren Werbeslogan angesprochen: Fakten, Fakten, Fakten …
Werner: … und immer an den Leser denken.
Markwort: Genau! Der „Focus“ hatte deshalb von Anfang an eine wahrhaft pluralistische Redaktion, die das ganze Spektrum und damit auch die gesamte Leserschaft abbildete. Aber die Zeiten haben sich geändert. Viele Hefte, auch „Spiegel“ und „Focus“, erscheinen heute zum Wochenende; die Marktforscher sagen uns, dass die Leute dann mehr Unterhaltung wollen, mehr Harmonie. Da liegt es nahe, dass man nicht so aus dem Mainstream ausschert.
Werner: Liegt das Problem vielleicht auch in der zu großen Nähe der -Journalisten zur Politik?
Markwort: Na ja, das ist das grundsätzliche Problem des Journalismus seit alters her: Sie müssen die Balance halten zwischen Nähe und Distanz. Die Mächtigen korrumpieren die Journaille ja nicht mit Geld, sondern mit exklusiven Interviews, der Teilnahme an vertraulichen Beratungen und Hintergrundgesprächen und dem Zustecken exklusiver Informationen wie beispielsweise dem Referentenentwurf zu einem neuen Gesetz. Eine solche Quelle will man sich nicht kaputtmachen. Da braucht es schon eine erhebliche Charakterstärke, auch den Mist hervorzukehren, den eine solche Quelle angerichtet hat.
Werner: Nun dürfte es so etwas heute doch kaum geben, weil es ja viel leichter geworden ist, über das Internet, insbesondere die sozialen Medien, Informationen zu verbreiten. Eigentlich kann doch heute jeder Journalist sein …
Markwort: … was in der Theorie ja stimmen mag. Aber in der Praxis sind das häufig asoziale Medien. Es sind ja nur ganz wenige Nutzer tatsächlich in dem Sinne aktiv, dass sie neue Nachrichten oder Meinungen in die Welt bringen. Der überragende Teil der Nutzer teilt Inhalte, die andere produziert haben. Und da sind dann die Algorithmen so gebaut, dass sie immer nur das zu lesen bekommen, was sie in ihrer vorgefassten Meinung bestätigt. Wer Nachrichten nur über diese Kanäle wahrnimmt, hat irgendwann ein sehr, sehr verengtes Weltbild.
Werner: Damit spielen Sie auf die Theorie der Filterblase an.
Markwort: Genau. Wenn wir uns von diesem Trend überrollen lassen, kann er zu einer Gefahr für die Demokratie werden. Junge Leute, die weder das Netz voll ausnutzen noch Zeitungen und Magazine lesen, regen mich auf. Man kann in unserer Gesellschaft nur mitreden und mitentscheiden, wenn man alle Standpunkte kennt. 82 Prozent der amerikanischen Schüler können nicht zwischen redaktionellen Inhalten und redaktionell aufgemachten bezahlten Werbetexten unterscheiden. Das sorgt mich.
Werner: Wie schaffen wir Besserung?
Markwort: Fakten, Fakten, Fakten – und mehr Distanz. Und dann sollten Verleger nicht nur auf die Controller hören.
Werner: Wie meinen Sie das?
Markwort: Nun, da sitzen Manager regelmäßig zusammen und überlegen, wie sie in den Redaktionen sparen können. Da kommt dann so etwas wie eine Berliner Zentralredaktion für einen Regionalzeitungsverbund heraus. Dann steht überall das Gleiche. Eigentlich sollten Redakteure einmal überlegen, wo sie im Management sparen können.