Tichys Einblick
„Haushalts-Notlage” bei Anne Will

Experte meint: Deutschland hat sich kaputt gespart

Ein Experte meint bei Anne Will, Deutschland habe sich kaputt gespart, während eine FAZ-Journalistin meint, Deutschland schwimme im Geld. Die Forderungen an die Ampel sind deutlich.

Screenprint ARD / Anne Will

Klarheit, Einigkeit, Prioritäten und einen Plan B: All das fordern Anne Wills Gäste einstimmig am gestrigen Abend – Wills vorletzter Sendung. Der Wirtschaftsforscher der Runde, Marcel Fratzscher, meint: „Deutschland hat sich in den letzten 20 Jahren kaputt gespart“. Zwar habe die Ampel und ihre Vorregierungen in den letzten Krisen viel Geld verteilt, aber das seien „Konsumausgaben“ gewesen. Die nennt er „schlechte Schulden“. „Gute Schulden“ sind seiner Meinung nach größtenteils ausgeblieben: Beispielsweise Investitionen in die Bildung oder in die Wirtschaft.

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Ähnlich sieht das auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU): Das, was Fratzscher „schlechte Schulden“ nennt, bezeichnet Haseloff als „Sahnehäubchen“. Davon habe die Regierung in den letzten Jahren viele verteilt: Beispielsweise für das „Bürgergeld” und die Unterbringung von „Flüchtlingen”. Solche Gelder gehörten auf den Prüfstand, meint Haseloff. Zum Beispiel findet er falsch, dass Personen soziale Hilfen bekommen, die arbeiten könnten: Es sei wichtig, dass die Regierung Anreize schafft, damit diese Leute arbeiten. Dafür müsse sich Arbeiten allerdings erstmal lohnen.

Am Sozialstaat zu sparen, kommt für den Parteivorsitzenden der SPD, Lars Klingbeil, allerdings nicht in Frage: Das sei ein „Irrweg“. Er hingegen sieht die Lösung der „Haushalts-Notlage” in einer Reform der Schuldenbremse. Die ist für ihn derzeit eine „Wachstumsbremse“, durch die Deutschland „extremen wirtschaftlichen Schaden“ nimmt. Er möchte unbedingt in Industrien von Halbleitern und grünem Stahl investieren, um Firmen dieser Branche nach Deutschland zu locken. Darum brauche es die Reform. Solche Produktionszweige rechnen sich laut Julia Löhr, Wirtschaftskorrespondentin der FAZ, allerdings nicht mehr in Deutschland – wegen der hohen Energiekosten. Deutschland muss seinen Strom teuer importieren, weil es eben nicht das „ideale Land“ für „erneuerbare” Energien sei. Die Stromkosten für viele Produktionszweige gingen entsprechend in die Höhe.

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Aber Klingbeil bleibt dabei: Deutschland komme nicht daran vorbei, die Schuldenbremse zu reformieren. Die anderen Gesprächsteilnehmer stimmen ihm da nicht zu: Für Haseloff fällt diese Option vom Tisch, da die Schuldenbremse eine „gesetzte Größe“ ist. Löhr ist „großer Fan der Schuldbremse“, wie sie es ausdrückt: Diese verhindere, dass die Regierung das Geld des Steuerzahlers für „Unnützes“ ausgebe, das nur Interessensgruppen glücklich mache.

Zu solchen „unnützen“ Investitionen der Ampel gehören für Löhr die 10 Milliarden Euro, die die Regierung in eine Chipfabrik in Sachsen-Anhalt gesteckt hat, aber auch sämtliche Fördertöpfe der Regierung. Das Geld aus diesen Töpfen könne gar nicht so schnell ausgegeben werden, meint sie. „Deutschland schwimmt im Geld“, findet Löhr: Für vier Jahre habe die Regierung 150 Milliarden Euro, um sie zu investieren. Aber dieses Geld komme von den Steuerzahlern. Daher müsse die Ampel „verantwortungsvoll“ damit umgehen.

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Von einer Reform der Schuldenbremse halten Klingbeils Gesprächspartner also nichts. Dann muss diese nächstes Jahr eben wieder ausgesetzt werden: Klingbeil meint, dass sich Deutschland noch immer in einer Notsituation befinde. Löhr hingegen glaubt, dass die Ampel ihren Haushalt im nächsten Jahr ohne „Notsituation“ stemmen müsse. Sie findet, dass Deutschland nicht mehr in einer „außergewöhnlichen Notlage“ steckt: Corona ist vorbei und die „Klimakrise” werde eine ganze Generation lang andauern und könne daher nicht jedes Jahr erneut als Argument für eine „Notlage“ angebracht werden.

Fratzscher wiederum meint schon, dass sich Deutschland nach wie vor in einer Notlage befindet. Er macht allerdings auch darauf aufmerksam, dass die Hilfen der Regierung für die Bürger eine „soziale Schieflage“ haben: Die Ärmeren gingen leer aus. Den Ärmeren noch mehr Mittel zu kürzen, findet er ohnehin falsch. Um mehr Geld zur Verfügung zu haben, hält er eine Erbschaftssteuer und mehr Steuern beim Immobilieneinkauf für die Lösung.

Alle Gäste von Anne Will haben andere Ideen, an welchen Stellen die Ampel sparen sollte. Aber sie alle sind sich einig: Die Ampel müsse Prioritäten setzen und Klarheit schaffen. Ob sich die Koalition als solche hält oder auseinanderbricht, das lassen sie unerwähnt.

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