Tichys Einblick
Die dümmsten Medienbeiträge 2023

Das Haupthaar der Populisten

Die dümmsten Medienbeiträge des Jahres 2023 zusammenzustellen, fällt wieder sehr, sehr schwer. Erstens, was die Platzierung angeht. Und zweitens können wir beim besten Willen nicht alle Kandidaten aufnehmen, irgendwann sind die Kapazitäten einfach erschöpft.

IMAGO / Schöning

Die wichtigsten Informationen finden sich schon im Vorspann: Der Platz reicht unmöglich für alle. Außerdem qualifizieren sich schon aus formalen Gründen nicht alle Kandidaten für das Gerangel um Platz eins. Das gilt zum einen für den großen Block der Ratgeberartikel, die Mediennutzern erklären, wie sie das Weihnachtsfest mit der antiprogressiven Familie überstehen, beziehungsweise Begegnungen mit der Familie überhaupt. Betreuungshinweise dieser Art für ein Milieu, das ein spezielles mentales Training für den Umgang mit Menschen außerhalb der eigenen Sekte braucht, kommen deshalb nicht in die Wertung für 2023, weil sie sich seit ungefähr 2015 Jahr für Jahr gleich lesen.

Screenprint: ZDF heute

Genauso wie übrigens die allfälligen Fragen nach der Berechtigung christlicher Feiertage, wie sie aus Pluralitätsgründen gleich mehrere öffentlich-rechtliche Anstalten stellen.

Screenprint: WDR KugelZwei

Screenprint: SWR aktuell

Über diesen Medienhaufen hüpft der Juror so leichtfüßig wie Freddie Frinton in „Dinner for One“ seit hundertzwanzig Jahren über den Kopf des Tigerfells. Ein bisschen Originalität braucht es schon. Oder zumindest eine Abwechslung zwischendurch, etwa Artikel mit der Überschrift „Zumutung Zuckerfest“ oder „Risiko Ramadan“. Ein anderer Anwärter auf den Wettbewerb bietet zwar durchaus Originalität, nämlich der Beitrag eines Imams in der Berliner Zeitung, der den Beweis führt, dass und warum der Westen dem Islam nicht nur die gesamte mittelalterliche Scholastik verdankt, sondern auch die Aufklärung.

Screenprint: Berliner Zeitung

Warum die Vernunftlehre nicht so recht in der Islamosphäre selbst zündete, vertieft der Gelehrte dabei nicht, genauso wenig wie die Frage, warum der große Raum zwischen Hamastan und Katar nicht wenigstens jetzt die Aufklärung reimportiert, nachdem sie unübersehbar das Halalsiegel eines Imams aus Almania trägt. Wie gesagt, formal erfüllt der Text alle Wettbewerbsbedingungen. Seine Ausführungen verdienen allerdings einen separaten Beitrag.

Nach einem längeren und skrupulösen Auswahlprozess beginnt die Liste mit dem Themenblock Essen und Trinken. Und mit Platz Nummer

10. „Der Spiegel“ und andere entdecken Rassismus auf dem Weihnachtsmarkt

Wo denn sonst, fragt vielleicht der eine oder andere keck, als an einem Ort, wo Betonpoller Jahr für Jahr einen haltlosen Generalverdacht suggerieren? Unsere Medienschaffenden fanden 2023 allerdings etwas Schlimmeres, nämlich ein Getränk namens Lumumba, das aus heißem Kakao, Sahne und Rum besteht, benannt nach dem kongolesischen Politiker Patrice Lumumba, der 1961 von Putschisten erschossen wurde. Jahrelang ging dieser Mikrorassismus unbeanstandet durch, bis ihn Annalena Schmidt (Eigendefinition auf X: „war mal Historikerin und Stadträtin“) diagnostizierte und einen Tweet dazu absetzte.

Im großen Stil funktioniert die Verwertungskette ‚abseitiger Tweet eines Erwachten Gesellschaftsmitglieds = eine sogenannte gesellschaftliche Debatte, betrieben durch weitere Annalenas in den Redaktionen‘ zwar nicht mehr ganz reibungslos. Hier aber schon.

„Patrice Lumumba war ein Freiheitsheld, ermordet kurz nach der Unabhängigkeit Kongos. Dass sein Name nun für ein klebriges Kakaogetränk herhalten muss, regt viele auf – zu Recht“, erklärte pars pro toto eine Spiegel-Redakteurin in einer Rubrik mit dem Titel „Debattencheck“, bei der es sich vermutlich um den kleinen und weniger anspruchsvollen Bruder des Faktenchecks handelt.

Ganz deutlich wird bei ihr nicht, ob sie nun den Rassismus in dem Namen selbst sieht oder in der klebrigen Konsistenz des Getränks, für das der Politiker herhalten muss, gewissermaßen nach dem Argumentationsmuster: erst erschossen worden und dann auch das noch.

Allerdings gab es das Getränk schon zu Lebzeiten Lumumbas, beispielsweise in belgischen Cafés. Und es spricht mehr dafür als dagegen, dass es zu seinen Ehren so genannt wurde, und nicht, um Gästen einen trinkbaren Rassismus anzubieten. Übrigens gibt es auch ein Lumumba-Eis in der Geschmacksrichtung Kakao, Sahne und Rum; der schwedische Eiscremehersteller Gute Glass bietet, von deutschen Rassismusdetektoren bisher völlig unbeachtet, eine Variante mit der Bezeichnung Lummelumba an.

Sollte jemand auf die Idee kommen, den heißen Lumumba umzubenennen, könnte es also einen mindestens genauso engagierten Aufschrei geben, weil dadurch das Andenken eines antikolonialen Kämpfers aus Afrika ausgelöscht würde. Aber darin liegt ja die Besonderheit des Erbsprinzessinenjournalismus: Seine Schlussfolgerungen funktionieren bemerkenswert oft so – und wie andersherum. Übrigens gibt es schon eine Namensalternative, in Dänemark heißt der gleiche Drink Tote Tante (Dode Tante).

Jedenfalls berichteten nicht nur Spiegel, sondern auch die Zeit, der RBB und viele andere Medien, die gerade 2023 bekanntlich an akutem Themenmangel leiden, über den versteckten Rassismus, der im Mediengeschäft immer mitmuss. Auch und gerade, wenn bisher niemand von ihm wusste. Die meisten Magazine und Zeitungen zitierten als Letztbegründung einen Pressesprecher des Vereins Schwarzer Menschen in Deutschland, der erklärte, es verursache Schwarzen Schmerzen, wenn der Name eines Menschen aus ihrer Gemeinschaft für ein Lebensmittel verwendet würde. Darauf einen Bismarckhering.

9. WDR klärt auf: Der Klimawandel verursacht Freibad-Randale

Die Essen-und-Trinken-Abteilung müssen wir an dieser Stelle zugunsten der Platzierungslogik kurz unterbrechen. Für wohlmeinende Medienschaffende stellen die Schwimmbad-Randalen seit einigen Jahren eine Herausforderung dar, die sie auf drei Wegen parieren. Das Phänomen gab es demnach erstens schon immer, zweitens gibt es diese Vorfälle überhaupt nicht, und drittens existieren für diese Raufereien und Rangeleien Gründe – aber ganz andere, als Alltagsrassisten wie Sie glauben.

Kurzum, sie argumentieren wie die bedrängte Hausfrau: Ich habe den Topf gar nicht geborgt, ich habe ihn längst zurückgegeben, und außerdem hatte er sowieso schon ein Loch. Der WDR fädelt die wirklichen Ursachen für Großformatschlägereien, Griffe nach weiblichen Badegästen und die Dauerpräsenz von Wachschutz in Bädern von Berlin und NRW auf eine Argumentationskette, von der man sich fragt, warum sie nicht schon vorher auf allen Kanälen lief.

Nämlich: Freibäder ziehen die meisten Gäste im Sommer an. Im Sommer herrscht wegen des Klimawandels neuerdings große Wärme. Und Hitze wiederum, das bestätigen gern zwei Experten vor der Kamera, macht aggressiv. Da rutscht Malte und Peter schon mal die Hand aus beziehungsweise ins Bikiniunterteil einer Maid.

Screenprint: WDR Mediathek

Vor etwa zehn, fünfzehn Jahren galten Polizeieinsätze in öffentlichen Bädern und sogar deren vorübergehende Schließung aus Sicherheitsgründen noch nicht als berlinnormal. Was könnte den Klimawandel denn besser bestätigen? Vor fünfzehn Jahren lag die Durchschnittstemperatur auch gut ein Grad tiefer. Warum sich die Klimareaktion ethnisch und territorial etwas ungleich verteilt, war erstens nicht das Aufsatzthema bei WDR „Planet Wissen“. Und zweitens stimmt es gar nicht, wie Faktenchecker des gleichen Senders jederzeit beweisen können. Denn über den sogenannten Hintergrund der Hitzekolleropfer führt die Polizei nun mal keine Statistik.

8. „Die Zeit“ findet eine alternative Ursache der Schwimmbad-Randale

Jetzt aber wieder retour zu Essen & Trinken und der Aufklärung über einen anderen Freibadkriegsgrund, und zwar in der Zeit. Das Blatt aus Hamburg macht die gestiegenen Preise für Pommes frites in Freibädern zielgenau als Ursache aus („kein Wunder, dass manch ein Badegast durchdreht“), wobei es nicht ganz klärt, ob es sich um den singulären Grund handelt oder ob das Klima trotzdem die Hauptrolle spielt. Aber es passt schon, Klima & Kapitalismus tragen mehr oder weniger die Schuld an allen Übeln, nur über die Verteilung lässt sich ein bisschen streiten.

Screenprint: ZEIT

Mit einer Portion Pommes im Magen, argumentiert der Autor, werde man in der Sonne viel zu träge, um noch eine Schlägerei anzuzetteln, zu der Badbesucher offenbar ohne genügend Kohlehydrate generell neigen. Jedenfalls sei in der Kindheit des Autors der Verzehr frittierter Kartoffeln die entscheidende Krawallbremse gewesen. Und das Imbissangebot außerdem günstiger. Sogar die Zeit kostete damals weniger, obwohl Leser auf Beträge dieser Qualitätsstufe verzichten mussten. An einem anderen Ort, aber im gleichen Jahr notiert die Zeitung unter „Gewalt im Freibad“: „Freibäder dienen nicht nur der Abkühlung – auch der Skandalisierung“.

Screenprint: ZEIT online

„Skandal Freibad“ als Überschrift wäre noch ein Tick brillanter gewesen. Für diese Leistung in Kombination mit der Preis-Faustschlag-Spirale gibt es den 8. Platz hoch verdient.

7. Sehr viele Medien bringen uns die Speisekartenangst nahe

Menükarten spielten bisher nur in der Rechtstheorie eine kleinere Rolle, nämlich in der von Rudolf von Jhering in „Zivilrechtsfälle ohne Entscheidung“ erörterten Musterfrage, wer für die Folgen haftet, wenn weder Gast noch Wirt die Karte manipulieren, sondern ein Dritter. Die Speisekarte als gesamtgesellschaftliches Problem – zu diesem Thema gab es lange, lange nichts. Und ohne Zeit, Rheinische Post und zahlreiche andere hätten die allermeisten Leser in Deutschland auch nie etwas davon erfahren. Eine britische Restaurantkette führte kürzlich eine Befragung ihrer Kunden durch; ein Ergebnis lautete, Angehörige der Generation Z – in Wirklichkeit eher ein bestimmtes Milieu als eine ganze Generation – kämen mit Speisekarten im Restaurant nicht zurecht und leiden an einer regelrechten Angst, sich zu entscheiden.

Außerdem leiden junge Z-Menschen, wie Medien in anderen Texten sonder Zahl schreiben, unter Elternpräsenz am Weihnachtsabend, alltagsrassistischen Getränken, einem Übermaß an Erwerbsarbeit, Kapitalismus und Klima. Schon die Entscheidung für das richtige Pronom verlangt ihnen viel ab.

Ein wirklich angemessenes Tätigkeitsfeld, in dem ihre Beeinträchtigungen noch am wenigsten auffallen, finden diese Bürger zwischen 18 und 24 (und gelegentlich älter) eigentlich nur in den Medien. Und selbst dort entstehen Artikel dieser Art nur unter Tippfingern von Journalisten, die auch in der Redaktion niemand zum zielgerichteten Wollen zwingt, zumindest nach Maßstäben, die im antiken Journalismus vor zehn Jahren noch einigermaßen galten.

6. Politunterricht mit dem Hessischen Rundfunk

Von der Nahrung zur politischen Bildung geht es auf Platz 6, den der Hessische Rundfunk mit einem Beitrag unter dem Titel „Kann der Kapitalismus Klima?“ belegt. Hier geht es um eine Richtungsentscheidung, und zwar entweder zugunsten des Kapitalismus oder der Demokratie. Bei der Demokratie, erklärt eine Medienfrau, handle es sich „quasi um die Gegenkraft“ zum Kapitalismus: „Und mit der Demokratie haben wir auch viel Tolles geschafft, beispielsweise den Kapitalismus ein Stück weit zurückzudrängen.“

Screenprint: Mediathek hr

Was jeder und jede unter anderem daran sehen kann, dass ein von Marktzwängen freier Zwangsgebührenkonzern Formate speziell zur Schulung junger Leute anbietet, die es früher so holzhammermäßig nur bei der DKP gab. Für die Sendung holt sich der HR – ähnlich wie schon der WDR zur Schwimmbad-Klimafrage – zwei Expertinnen, die so ziemlich das Gleiche sagen. Eine davon unterrichtet uns, „dass wir keine Revolution von unten brauchen“. Gewiss, und zwar eine der Gebührenzahler. Weitere Höhepunkte aus dem Programm, diesmal wieder von der jungen Medienperson: „Ohne Kapitalismus hätten wir kein Klimaproblem“. Luftkurort Bitterfeld, vorbildlich emissionsarme Energiegewinnung in der DDR und der CSSR – wer erinnert sich nicht?

Vermutlich gibt es auch dazu demnächst eine funkkolleg-Folge.

5. Die taz entdeckt den revolutionären Diebstahl

Während der BLM-Kundgebungen 2020 in den USA und anderswo galt das Buch des geschlechtsfluiden Autor/Autorin Vicky Osterweil unter Erwachten als vorletzter Schrei des radical chic: „In Defense of Looting“, zu Deutsch: „Eine Verteidigung des Plünderns“. Osterweil empfahl darin das Ausräumen von Geschäften ohne Umschweife als Mittel zur Beseitigung der bestehenden Ordnung: „Plündern ist ein machtvolles Werkzeug, um einen echten, anhaltenden Wandel in die Gesellschaft zu bringen.“

Alle ideologischen Erzeugnisse aus den USA kommen zeitversetzt auch nach Deutschland, weshalb die taz drei Jahre nach Osterweil den „Fünf-Finger-Rabatt“ als Kampfmethode gegen den Kapitalismus lobt, die ganz nebenbei auch gut zum Zeilenhonorar bei der taz und ganz grundsätzlich zum Einkommensniveau vieler Gerechtigkeitskämpfer in Berlin passt.

Screenprint: taz

In San Francisco gab es nicht nur die Theorie, sondern über längere Zeit auch eine Praxis des Plünderns, nachdem der Distriktanwalt erklärte, er werde für Diebstähle unter 500 Dollar keine Gefängnisstrafe mehr beantragen lassen, auch nicht im Wiederholungsfall. Das führte zu einem regelrechten Plündererkrieg gegen kleine Geschäfte, von denen etliche aufgaben, wodurch wiederum – im Zusammenspiel mit den Lockdown-Folgen – ganze Straßenzüge verödeten. Großen Handelsketten wie Walmart schadete das freigegebene Klauen nicht besonders. Taz-Autoren können das nicht wissen: Aber im Kapitalismus schlagen die Kosten für den Schwund einfach auf den Warenpreis. Es bezahlen also nicht die Walmart-Eigentümer für den Diebstahl, sondern andere Kunden. Das systematische Klauen schadet also Ärmeren, es schadet kleinen Ladeninhabern, die sich meist weder größere Sicherheitsmaßnahmen noch Preiserhöhungen leisten können. Es nützt großen Ketten und Versandhändlern wie Amazon.

Den Distriktstaatsanwalt wählte übrigens eine Bürgermehrheit selbst in dem wohlmeinenden progressiven San Francisco wieder ab.

Für die dümmste Antikapitalismusparole des Jahres 2023 ist Platz 5 gerade gut genug.

4. Musk und X stehen vor dem Ende, weiß n-tv

Seit der Übernahme von Twitter, heute X, durch Elon Musk stehen X (und Musk) vor dem Ende. Das verkünden alle Prognosefachleute, vornehmlich auf X. Der Sender n-tv produzierte zu dem Thema einen Film, der damit beginnt, dass dessen Autoren Musks zugegebenermaßen nicht übermäßig luzides Wort- beziehungsweise Waschbeckenspiel „let this sink in“ nicht kapieren, um dann zu ihrem Experten (kein Medienbeitrag ohne Experten) namens Thomas Riedel zu kommen, einen, wie es heißt, „Tech-Journalisten“.

Screenprint: n-tv

Musk habe via X „so gut wie keine Einnahmen mehr“, da es dort praktisch keine Werbung mehr gebe, erklärt Riedel. Bei den Anzeigen auf X muss es sich also um irgendetwas anderes handeln. Außerdem würden die „User in Scharen zu Mastodon und bluesky“ fliehen. Was sich dort aus irgendwelchen Gründen nicht vollumfänglich niederschlägt. Mastodon ist ungefähr so lebendig wie ein Mammut im sibirischen Permafrost. Bei bluesky, der Alternative, zu der zu ziehen viele Progressive bei X seit über einem Jahren versprechen, liegt die Zahl der täglichen Nutzer nach einem kurzen Sprung nach oben heute kaum höher als damals, als die Plattform nach Ansicht der Guten Twitter innerhalb kürzester Zeit niederkämpfen sollte.

Quelle: Futurezone

Bei X erreicht die Zahl der täglichen Nutzer übrigens 237 Millionen. Aber nicht diese kleinen Allerweltsfalschbehauptungen qualifizieren den Beitrag für Platz 4, sondern folgende Aussage des Tech-Experten mit Schirmmütze: „Früher war Twitter eine zuverlässige Quelle auch für Journalisten, heute kann es nicht mehr gelesen werden, ohne dass man es überprüft.“

Ein Medium, das Twitter oder eine beliebige andere Plattform als Quelle bezeichnet, die keiner Überprüfung bedarf, begeht Seppuku auf offener Bühne. So viel Konsequenz gehört belohnt.

3. Die Power zukünftet bei Focus Online

Wer als Chefredakteur Texte von Anders Indset ins Blatt hebt, hat die Kontrolle über seine Redaktion verloren. TE-Leser kennen den Norweger mit der ungeschützten Berufsbezeichnung Philosoph schon seit seinem FAZ-Artikel über den kategorischen Imperativ der Impfpflicht und die gemeinschädliche Spritzenverweigerung des Fußballers Joshua Kimmich. Mittlerweile webt und wirkt Indset als Universalexperte bei Focus Online, wo er 2023 unter anderem einen Text über das unzeitgemäße C im Namen der Unionsparteien verfasste.

Screenprint: Focus

Darin liegt überhaupt der große Wettbewerbstrend 2023 – Artikel und Sendungen gegen Unzeitgemäßes wie rassistische Getränke, Speisekarten und Kapitalismus erfreuen sich zumindest bei Redakteuren großer Beliebtheit. Unter der Überschrift „Philosoph empfiehlt, das ‚C‘ zu begraben“ zielt Indset gleich aufs Wesentliche: „Es stellt sich die theoretische Frage, ob autokratische Systeme, trotz berechtigter Kritik, nicht manchmal effektiver agieren als demokratische Systeme, die sich – zumindest in den vergangenen Jahren – im Zeitalter des leichten Geldes oft lethargisch zeigten.“
Was sich hinter der „Lethargie im Zeitalter des leichten Geldes“ verbirgt – wir wissen es nicht, genauso wenig, wie wir eine Antwort auf die Frage kennen, ob Focus Online Honorar für diesen Text zahlt.

„Das ‚C‘“, führt unser Denker aus dem Land der Trolle eng, „ist ein Überbleibsel aus längst vergangenen Tagen. Eine christliche Union scheint mit der heutigen Zeit kaum mehr kompatibel. Wir leben in keinem christlich-abendländischen Deutschland, sondern sind längst auf dem Weg in eine Atheistisch-Gläubig-Pop-Westlich-Buddhistisch-Kapitalistische Gesellschaft.“ Allein für diese Definition kommt unser Autor aufs Siegertreppchen. Der Buddhismus gehört zu Deutschland, der Lumumba nicht.

Wie sieht aus seiner Sicht nun die zeitgemäße Gesellschaft aus?

„Ein ‚unternehmerischer Merger‘ aus Rot und Schwarz/Gelb könnte eine neue ‚Volkspartei‘ formen – eine interessante und vielleicht auch sympathische Vorstellung. Und solange Parteien das Zentrum der Politik darstellen, benötigen wir auch eine Opposition. Zum Beispiel eine linke Kraft, die die Bedenken der (noch) arbeitenden Klasse im anbahnenden technologischen Tsunami ernst nimmt.“

Eine Einheitspartei links von der Mitte, als Opposition eine linksradikale Kraft – das kommt der von ihm weiter oben als effektiv gelobten Ordnung schon ziemlich nah. Was das Land nach Indset jetzt braucht, ist „eine Vision, die Anreize zur Verhaltensänderung setzt, jenseits von bloßer Begrenzung und Regulierung. Wir dürfen zukünften!“

Die (noch) lesende Klasse im Tsunami des Blöden nimmt das möglicherweise bisher zur Kenntnis, zu welchem Zweck auch immer, in gezukünfteten Zeiten vielleicht aber nicht mehr. Irgendwann schreiben Programme wie Chat GPT nicht nur die Medientexte, sondern lesen sie auch, damit es garantiert kein echter Mensch mehr tun muss.

2. Erfinder für die Energiewende bei ARD et al.

Platz zwei teilen sich mehrere Medien, die sich mit zwei unterschiedlichen Methoden zur Rettung der Energiewende befassen. Zum einen die ARD in „Wissen vor 8“. Hier stellt Anja Reschke, in ihrer Vielseitigkeit gewissermaßen die Anders Indset des Senders, einen Weg zur Stromgewinnung vor, der allerdings nicht ganz so revolutionär daherkommt, wie die Moderatorin es dem Publikum vorschnackt.

Screenprint: ARD-Mediathek

Die Geschichte von Urin als „Energiequelle der Zukunft“ (Reschke) kursiert nämlich schon seit mehreren Jahren durch die Medien, 2019 beispielsweise ebenfalls in der ARD, 2015 beim Spiegel und 2005 bei „Bild der Wissenschaft“. Dass sich aus Urin Strom per mikrobiellen Brennstoffzellen erzeugen lässt, trifft zwar zu. Allerdings gibt es Gründe, warum die Meldungen über den unmittelbar bevorstehenden Durchbruch dieser Zukunftsenergiequelle seit fast 20 Jahren zuverlässig auftauchen – aber immer nur mit einem schicken Demonstrationsgerät. Die Kosten für die Installation der Technik fallen nach wie vor so hoch aus, die Ausbeute so gering, dass sich eine Stromerzeugung aus Urin – anders als aus Uran – für wirtschaftliche Zwecke schlicht nicht lohnt. Es bleibt also nichts anderes übrig, als auf den ersten wirklich einsatzfähigen stromerzeugenden Fernseher zu warten, dessen Prototyp die ARD-Tagesschau schon 2022 vorgestellt hatte.

Weil dieser Medienbeitrag über den aus rassistischen Gründen ignorierten afrikanischen Forscher Maxwell Chikumbutso sowieso souverän Platz eins belegt hätte, fand damals übrigens kein Wettbewerb statt.

Teilen muss sich Anja Reschke ihre Zweitplatzierung mit dem österreichischen Standard, dem ORF und anderen für deren Berichte zum Thema Energiewunder. In diesem Fall handelt es sich um Platten auf der Straße, die sich mechanisch verformen, wenn Autos darüberrollen, und auf diese Weise Strom erzeugen.

Auch das funktioniert grundsätzlich. Allerdings kostet es die Fahrzeuge ihrerseits auch Energie, die Platten zu bewegen. Das weiß ihr Konstrukteur, weshalb er vorschlägt, sie nur dort zu installieren, wo Autos bremsen müssen, „vor Mautstellen und Kreisverkehren“. Vor Kreisverkehren muss allerdings gar nicht jeder Fahrer bremsen, vor Mautstellen in der Schlange müsste er beim Vorrücken auf diesen Platten auch wieder anfahren. Die Erfindung wandelt also mehr oder weniger die (meist fossile) Energie des Fahrzeugs in Strom um, und das mit einem sehr bescheidenen Wirkungsgrad. Die elektrischen Impulse müssten außerdem gesammelt und geglättet werden, damit überhaupt ein nutzbarer Stromfluss entsteht. Der Entwickler rechnet deshalb mit einem Amortisationszeitraum von „weniger als zehn Jahren“. Ob die Lebensdauer der Anlage überhaupt länger währt, ließe sich am besten durch öffentliche Fördermittel herausfinden. Genau davon lebt das Unternehmen auch jetzt schon.

1. Das Haupthaar der Populisten in der FAZ

Die Zuteilung der Plätze fiel nicht leicht. Natürlich spielt Subjektivität eine Rolle, ähnlich wie bei der Punktevergabe im Eiskunstlauf. Aber in der Gesamtwertung überzeugt dann doch ein Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über das Haupthaar rechter Populisten (also nicht zu verwechseln mit ihrem nicht öffentlich zu sehenden Haar). In der Betrachtung geht es um die Frisuren des neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei, des früheren US-Präsidenten Donald Trump, des niederländischen Politikers Geert Wilders und den Schopf des britischen Ex-Premiers Boris Johnson.

Screenprint: FAZ

„Das Haupthaar rechter Populisten“, erklärt das Blatt mit dem Kopf dahinter, „erfüllt viele Funktionen: Es dient als Markenzeichen, Schutzschild, Clownskostüm und unübersehbares Symbol der Respektlosigkeit.“ Weiß Anton Hofreiter davon?

Nun handelt es sich bei Boris Johnson schlicht um einen Konservativen, jedenfalls nach britischen Maßstäben. Und Milei als Libertärer dürfte etwas weiter vom Rechtspopulismus entfernt sein als der FAZ-Redakteur Patrick Bahners vom Salonantisemitismus. Die Personenliste allein würde noch nicht für den Sieg reichen. Aber Haare als Schutzschild und Kostüm – diese Formulierung schlägt am Ende doch alle anderen Konkurrenten. „Friseurgespräche“, wusste schon Karl Kraus, „sind der unwiderlegliche Beweis dafür, daß die Köpfe der Haare wegen da sind.“ Beim Coiffeur gab und gibt es allerdings für das Geld wenigstens noch den Schnitt dazu.

Wer die aufgeführten Medien nur in großen Abständen oder gar nicht konsumiert, verpasst vieles, vom gefährlichen Weihnachtsmarktgetränk sowie den Ängsten junger und sehr spezieller Menschen über das Lob des gesellschaftserodierenden Diebstahls bis zum ewigen Energiewunder der Zukunft und dem Haarkostüm respektloser Politiker, ganz zu schweigen vom Frontalunterricht zum Thema „Sozialismus kann Klima“. Entweder unternimmt jemand zwölf Monate lang selbst diese Exkursion. Oder ihm genügt die Zusammenfassung auf Tichys Einblick, die ja auch nicht wirklich in der Würdigung der einzelnen Beiträge ihren Endzweck findet, sondern eher darin, ein ungefähres Gefühl für den Zustand einer Gesellschaft zu vermitteln, in der diese Medien wirken und weben. Unser Wettbewerb leistet einen Dienst am Leser, der für die Rangtabelle samt Begründung nur ungefähr fünfzehn Minuten aufwenden muss.

Für 2024 reichen die genannten und neuen Blätter und Sender schon wieder emsig Beiträge ein. Die Auslese für dieses Jahr kommt bestimmt. So sicher wie die Aussicht, dass unsere Medienschaffenden ganz die alten bleiben.

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