Tichys Einblick
Anti-Auto-Religion

Hart aber fair: „Muss das Auto an den Pranger?“

Es sorgt für Dauerstaus, vergiftet die Luft: Für Kritiker ist das Auto ein Technik-Dinosaurier. Kommt jetzt das Ende des Verbrennungsmotors? Was ist die beste Alternative? Und wo bleibt der Spaß am Fahren in Batterieautos, ferngesteuert von Computern?

Screenprint: ARD/hart aber fair

Gäste bei Frank Plasbergs hart aber fair waren: Dorothee Bär, CSU, Parlamentarische Staatssekretärin, Bundesverkehrsministerium, Werner Schneyder, Kabarettist, Lina van de Mars, Moderatorin und Motorsportlerin, Stefan Wenzel, B’90/Grüne, Niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz,  Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie.

Es war eine ansehnliche, unterhaltsame Sendung. Die wichtigste Frage wurde nicht angesprochen: Die nach dem Sinn von heutigen Grenzwerten. Das Umweltbundesamt veröffentlicht regelmäßig Daten über die Luft in den Städten. Der Trend ist eindeutig, die Kurven zum Beispiel für die Stickoxide und den Feinstaub gehen steil nach unten. Der Feinstaub wurde in den vergangenen 30 Jahren nahezu halbiert; aus einem modernen Dieselfahrzeug mit Rußpartikelfilter kommt kein Feinstaub mehr heraus. Halbiert wurden ebenfalls die Stickstoffoxidemissionen. Aus den Daten geht auch hervor, dass zudem der Autoverkehr nur noch einen geringen Anteil an diesen Schadstoffen in den Innenstädten hat.

Wohin fährt das Auto? Teil 1
Mobilität: Das letzte Gefecht?
Die Frage in hart aber fair hätte lauten müssen: Worüber reden wir denn eigentlich? Dass das Auto die Luft vergiftet, wie im Antext gesagt, kann man nicht wirklich mehr behaupten. Abgesehen davon präsentierte die Sendung eine muntere Diskussion rund um das Auto. Dies in einer erfreulich offenen Form, bei der nicht von vornherein feststand, ja, das Auto ist das größte Übel unserer Zeit. Es müsse weg. Als unfreiwilliger Komiker vom Dienst diente der Ex-Kabarettist Werner Schneyder, der in den Slang seiner jungen Jahren zurückfiel und die finsteren Mächte der Autoindustrie am Werke sah, die die Autofahrer indoktriniere. Eine »Parade von Schwachköpfen« sah er in denjenigen, die in einer kurzen Umfrage sagten, warum sie einen SUV fahren würden. Seine Diagnose: »Diese Leute vertreten eine Religion.«

Das Auto sei laut Schneyder »nachweislich unsinnig«. Seine 80 Jahre können eben doch schon ein wenig viel für eine solche Diskussion sein: »Die Industrie ist verpflichtet, Segmente abzubauen, die nachweislich unsinnig sind, umweltschädlich und die dieses zivilisatorische Bild, das wir von uns haben, zerstört.« Es kam wohl der alte Kabarettist in ihm durch. Eine Autoreligion fände er nicht gut. Moderator Plasberg wies ihn erfreulich deutlich darauf hin , dass er nicht in eine Anti-Religion verfallen dürfen.

Haltet den Dieb
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Als feindliches Objekt der Begierde vieler Autofahrer machte Schneyder den Geländewagen, den SUV, aus. Der gehöre schlichtweg verboten. Zu groß, zu viel Spritverbrauch und überhaupt – umweltschädlich. Moderator Frank Plasberg bekannte, auch er fahre einen SUV, dazu noch keinen Kleinen (»Bequem, viel Platz«). Der Noch-Präsident des Verbandes der Automobilindustrie fragte: »Wollen wir denn verordnen, was die Leute zu fahren haben? Oder wollen wie es den Menschen überlassen?“ Gerade die SUV hätten in vergangenen zehn Jahren ihren Kohlendioxidausstoß um 34 % reduziert.

Es ist in der Tat leichter, einen großen Wagen mit den nötigen Abgasreinigungs-Systemen unter dem Wagenboden auszustatten als einen kleinen Wagen. In dem gibt es praktisch kaum Platz, außerdem spielen die erheblichen Kosten für diese kleine Chemiefabrik bei einem teureren SUV eine relativ geringere Rolle als bei einem preiswerteren Kleinwagen. Der wichtigste Grund dafür, sich einen SUV zu kaufen, liegt im großen Platzangebot und darin, dass auch ältere Menschen, nicht Leistungsturner, bequem hinein- und wieder herauskommen. Das gelingt in den niedriger werdenden normalen Autos immer schlechter.

Wahlkampfpanik
Stickoxide und die Daten des Umweltbundesamtes
Schneyder (»Natürlich habe ich kein Auto!«) lässt sich fahren, preist ansonsten seine Eisenbahnjahrestickets. (Doch ohne Auto käme er nicht in sein Anwesen am Millstätter See wie sein Nachbar und Autobahnbau-Tycoon Peter Haselsteiner, STRABAG). Die überzeugend auftretende parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministeriums, Dorothee Bär, schränkte ein: Wenn man im ländlichen Raum wohnt, geht das eher nicht. Der in Wien wohnende Kabarettist Schneyder trug zur Erheiterung bei: Die Deutsche Bundesbahn sei das mieseste Unternehmen, weil die Autoindustrie die Bahn kaputt gemacht habe. „Ich habe verlässliche Informationen dazu“, hat ihm vermutlich sein Beislfreund aus dem 23. Bezirk beim Heurigen anvertraut.

Erfrischend, dass die Redaktion das Auto im ersten Teil der Sendung hart aber fair auch als Objekt der Leidenschaft begreift und anspricht. Dafür stand vor allem Lina van de Mars, selbst Motorsportlerin und begeisterte Autofahrerin. Sie hat sogar Mechatronik gelernt und versteht genügend von der Technologie, für die sie sich auch persönlich begeistern kann. Worte, die nicht mehr so häufig zumindest bei den Öffentlich-rechtlichen vorkommen.

Die Motorsportlerin lobte die bequemen und modernen Autos als hervorragendes Reisemittel, um auch längere Strecken zurückzulegen. In ihrem Fuhrpark steht auch eine Corvette C3. Plasberg zitierte, was die Bild-Zeitung dazu schreibt: Feist, obszön und geil. Dieses Auto ruft Leidenschaft hervor. Dazwischen haderte Schneyder wieder: Aber die Autos stehen meistens doch nur rum, es gelte, die öffentlichen Verkehrsmittel zu forcieren. Plasberg fragte ihn leider nicht, was er denn mit seiner Toilette mache, die auch den größten Teil des Tages ungenutzt herumstehe.

Matthias Wissmann, der ehemalige Bundesverkehrsminister, versuchte geradezurücken: Es gebe keine Gegensätze zwischen Bahn und tollen Autos. Er verwies darauf, dass die deutschen Autohersteller zugleich auch die größten Car Sharing-Hersteller in Europa sein. Bär meinte, ‚Auto – Segen oder Fluch‘ sei eine veraltete Diskussion. Der Faktor Zeit spiele heute die größte Rolle bei der Wahl des Verkehrsmittels. Wie schnell komme ich von einem Ort zum anderen?

Aufmucken statt ducken
Geduckte Manager und vorlaute Politiker
Plasberg erwischte den griesgrämigen Grünen Minister aus Niedersachsen beim Wasser predigen und Wein saufen. Ob er, Stefan Wenzel, denn auch so etwas wie Leidenschaft zum Beispiel beim Anblick eines alten klassischen Autos empfinde? Menzel musste politisch korrekt vehement verneinen, er sitze lieber entspannt im Zug, benutze Car-Sharing. Er fahre morgens und abends mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von seinem Wohnort auf dem Land in die Stadt zur Arbeit. Dort stehe ihm ein Dienstwagen zur Verfügung, ein Audi A3, aber hybrid, wie er nicht vergaß hinzuzufügen. Und etwas leiser: mit Fahrer. Dass jedoch Fahrer und Fuhrparkabteilungen sauer über die angeblich so umweltfreundlichen Hybridfahrzeuge sind, mit denen sich Politiker vorwiegend grüner Couleur gern umgeben, erzählte er besser nicht. Die beschweren sich nämlich, dass die Reichweiten zu gering seien, und die sehr schweren Fahrzeuge zu viel verbrauchten.

Zentrale Frage bei hart aber fair: Wie werden die Städte sauber? Wissmann: Fahrverbote sind das schlechteste Mittel. Damit treffe man Leute, die sich für viel Geld gerade ein Auto im Vertrauen darauf angeschafft hätten, dass die aktuellen Grenzwerte auch Bestand haben. »Gibt es nicht intelligentere Lösungen?« fragte er und verwies auf das Beispiel der Hohenheimer Straße in Stuttgart, in der es die Stadtverwaltung tatsächlich einmal geschafft habe, für fließenden Verkehr zu sorgen. Ergebnis: Kein Feinstaubproblem mehr, und die Stickstoffoxide liegen auch unter den Grenzwerten. Im Stau stehende Autos belasten die Luft in den Innenstädten.

»Fast & Furious«
Auto 2017
Bär bei hart aber fair: Es klingt einfach toll, wenn die Grünen nur für Verbote sind. Doch Fahrverbote und blaue Plaketten seien der falsche Weg. Bis zu 40 % mehr Güterverkehr verursache zum Beispiel der Onlinehandel. Die Einzelhändler verschwinden aus den Innenstädten, jeder bestelle mehr über das Internet, und diese Waren müssten auch angeliefert werden. Unvermeidlich, dass auch der Volkswagen-Skandal zur Sprache kam. »Sind deutsche Kunden nur Kunden zweiter Klasse?« klagten in einem Einspielfilm deutsche VW-Käufer und verwiesen nach Amerika, wo wenigstens anständige Millionenbeträge als Ersatz für einen wie auch immer gearteten Schaden fließen. In Deutschland gibt’s nichts.

Wissmann tat, was er als Verbandspräsident (»Ich vertrete 600 Unternehmen, davon sind dann nur drei oder vier betroffen«) getan hat: Büßerhemd anziehen und laut »mea culpa« rufen. Dafür ist er auch heftig kritisiert worden, bis hin zu der Einschätzung, er als CDU-Mann habe die Kanzlerin außen vor halten wollen. Doch jetzt ruft er: »VW hat seine Lektion gelernt!« Er versuchte es noch auf die patriotische Tour: »Warum müssen wir im eigenen Land unseres Hauses so schlecht reden? Im Ausland werden sie bewundert.«

Email-Debatte Heller und Tichy
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Zum Schluss sprach Plasberg noch das an, wo die viel zitierte individuelle Freiheit jäh ihre Grenzen findet, im Stau. 3.800 km Stau gebe es jeden Tag in Deutschland. Kann man da noch von individueller Freiheit sprechen? Bär verteidigte die Verkehrspolitik: Nach der Wiedervereinigung wurde erst einmal sehr viel im Osten investiert, der Westen vernachlässigt. Doch in den letzten drei, vier Jahren werde auch hier massiv ausgebaut. Daher gibt es erst einmal viele Baustellen. Von zehn auf 14 Milliarden Euro sind die Mittel im Straßenausbau angestiegen. Ihr deutlicher Vorwurf: Die rot-grünen Länder haben es nicht geschafft, reife Pläne vorzulegen und die Finanzmittel abzurufen!

Dann noch bei hart aber fair die schöne, nahe liegende Polemik gegen die Autoindustrie: Der Verweis auf das Elektroauto der Post, das nicht von der Autoindustrie, sondern von einem Uniprofessor in Aachen entwickelt wurde, der Streetscooter. Plasberg: Warum kann ein Uniprofessor etwas, was die Autoindustrie nicht kann? Wissmann gab sich wiederum sehr einsichtsfähig: Wir dürfen die Wachsamkeit nicht verlieren. Wenn man so erfolgreich wie die deutsche Autoindustrie sei, könne dies leicht geschehen. Im Klartext: Wissmann erklärt, die deutsche Autoindustrie habe diese Entwicklung verpennt. Das auf dem Fuße folgende Sonderlob für so viel Einsichtsfähigkeit von Moderator Plasberg tat der geschundenen Seele des Autoverbandspräsidenten sichtbar gut.

Wissmann hätte allerdings auch antworten können: Hätte die deutsche Autoindustrie ein solch unfertiges Produkt auf den Markt gebracht ohne ausreichende Entwicklung und Tests, wäre sie von allen Seiten verprügelt worden. »Reifen beim Kunden« für ein fast 40.000 € teures Gefährt – für diesen Vorwurf hätten Verantwortliche in der Industrie ihren Hut nehmen müssen.

Schönster Augenblick bei hart aber fair: Es wurde der Kommentar eines Zuschauers vorgelesen: »Jeder will mittlerweile in meine freie Entscheidung, wie ich leben möchte, eingreifen – egal, ob und was ich trinke und sonstige Entscheidungen. Das kotzt mich an.«

Verlust der Freiheit – damit konnten die Zuschauer im Studio hörbar wenig anfangen. »Sie dürfen jetzt ruhig mal klatschen«, forderte Plasberg sie auf. Die Claqueure waren da deutlich lauter nach jedem Verbotssatz des grünen Ministers zu hören.

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