Tichys Einblick
Vier Stühle – eine Meinung

„Hart aber fair“ zu Putin lahmt an der falschen Gästeauswahl

Vier Gäste sind einer Meinung, der fünfte ist in der Rolle als Widerpart schlecht besetzt. „Hart aber fair“ versucht, Putins Rede zum 9. Mai aufzuarbeiten, und zeigt die Grenzen deutscher Debatten auf.

Screenprint: ARD/hart aber fair

Nach fünf Minuten droht „Hart aber fair“ schon wieder vorbei zu sein: „Gibt es in dieser Runde jemanden, der das um eine Nuance anders sieht?“, fragt Moderator Frank Plasberg seine fünf Teilnehmer. Gerade gab es eine erste Interpretation der Bilder des Tages: Wladimir Putin hat der Nato und der Ukraine vorgeworfen, aggressiv zu sein. Er hat Kriegsrhetorik ausgespuckt. Aber er hat nichts von all dem Schlimmen getan, was erwartet wurde: keine Generalmobilmachung. Keine Kriegserklärung an die Nato. Und schon gar kein Druck auf den Roten Knopf. Sieht das jemand anders? Keiner der Teilnehmer meldet sich. Eigentlich könnte Plasberg jetzt den Laden zumachen.

Erwartet hatte seine Redaktion anderes vom Tag. Deswegen hatte sie die Sendung auch unter das vielversprechende Motto gestellt: „Siegesparade am Rande des Abgrunds: Was macht Russland jetzt?“ Das mussten sie runterfahren: „Putins Parade: Ist keine Drohung schon Grund zur Hoffnung?“, heißt das downgegradete Debattenthema jetzt. Also das Thema. Denn eine richtige Debatte gibt es nicht her. Das merkt Plasberg früh.

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Also fragt er seine Experten ein bisschen: Wie lange dauert der Krieg noch? Wie geht er aus? Um dann aber selbst nachzulegen: „Mit Prognosen ist es eh so eine Sache.“ Ein Moderator, der einräumt, dass das so eben Gezeigte nicht wirklich was bringt. Ehrlicherweise wäre die Show hier zu Ende. Zumal er in einem der besten Momente der Sendung einen Gast vorführt, der Falsches prognostiziert hat: Ein Einspieler zeigt den CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter. Der beschreibt die Gefahr einer „weiteren Eskalation“, die von Putins Rede zum 9. Mai ausgehe. Der Einspieler ist vom 8. Mai – und schlciht gealtert. Ob es nicht wir seien, die da eskalieren, fragt Plasberg nach. Nein, sagt Kiesewetter: Putin habe schon im Vorjahr das Existenzrecht der Ukraine in Frage gestellt, deswegen sei er es, der eskaliere, auch wenn er gerade nicht eskaliert habe.

Diese Logik muss man nicht verstehen. Denn eigentlich geht es nicht darum. Was Kiesewetter wirklich sagen will: Dass er am 8. Mai eine falsche Prognose abgegeben habe, halte ihn nicht davon ab, am 9. Mai die nächsten Prognosen abzugeben. Er ist ohnehin vor allem darum in der Sendung, um stolz zu erzählen, dass er mit Friedrich Merz in der Ukraine war und wie gut die ihnen dort zugehört hätten. Ein zu einem Fernsehauftritt geadelter Dia-Abend.

Die Sendung ist am Ende. Mehr als eine Stunde zu früh. Zu Plasbergs Glück erbarmt sich Wolfgang Merkel: „Uns steht ein langer, blutiger Krieg bevor“, sagt der Politikwissenschaftler. Fragt, wie lange der Krieg eigentlich dauern soll. Und warnt, der Westen dürfe Putin nicht an die Wand drücken, denn das würde Reaktionen provozieren. Gut gemeinte, unglücklich ausgedrückte Aussagen eines deutschen Geisteswissenschaftlers. So könnte man es eigentlich stehen lassen.

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Doch dann wäre „Hart aber fair“ wirklich vorbei und Michael Roth umsonst ins Studio gekommen. Das will der SPD-Bundestagsabgeordnete aber nicht. Deswegen geht er in Merkels Aussagen rein und zerpflückt sie mit politischer Empörungs-Routine: Er ertrage den Vorwurf nicht mehr, wir würden permanent eskalieren. Merkel mache sich zu viele Gedanken über Putins Denke. Der russische Staatschef wolle schließlich die Ukraine „heim ins Reich führen“. Zu dem Nazi-Zitat greift Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, wirklich.

Es ist ein schlechtes Schauspiel: Roth ist als politischer Scharfmacher bestenfalls mittelmäßig; Merkel als russlandtreuer Kriegshetzer eine glatte Fehlbesetzung. Ein besorgter Wissenschaftler, der nicht versteht, sich glücklich auszudrücken. Die Älteren werden sich an den Schröder-Kirchhof-Wahlkampf von 2005 erinnern.
In einer guten Passage befragt Plasberg die Militärexpertin Claudia Major. Sie gibt einen Überblick über Putins Waffenarsenal. Dass dieses, so nah an der deutschen Grenze, durchaus bedrohlich ist, wird auch für die nachvollziehbar, die vielleicht die Details nicht verstehen.

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Allerdings will Plasberg von Major wissen, ob Putin bereit sei, Atomwaffen einzusetzen. Eine gute halbe Stunde, nachdem er selbst erkannt hatte, dass solche Prognosen nicht viel bringen. Letztlich ein Stochern im Nebel sind.
Zu diesem Nebel trägt auch der ausgemachte Bösewicht Merkel bei. Ständig redet er von den Verhandlungen, die „wir“ führen müssten. Zwischendrin erinnert ihn Major daran, dass diese Verhandlungen die Ukraine führen muss. Und dass es deren Entscheidung sei, wie viele Eingeständnisse des Aggressors Russland sie in einem Friedensvertrag verewigen will. Ein seltener Moment der Klarheit.

Später blendet die Redaktion den Online-Kommentar einer Zuschauerin ein: Die Debatten um einen möglichen Atomkrieg machten sie wahnsinnig. Untaugliche Diskussionen wie diese bei „Hart aber fair“ tragen zu solchem Alarmismus bei. Da ist ein Merkel, der ständig von „wir müssen verhandeln“ redet. Für den Geisteswissenschaftler ist der Krieg etwas Abstraktes, der wie irgendeine Theorie zu Ende gedacht werden müsste. Und auf der anderen Seite stehen Politprofis wie Roth, die keine Gelegenheit auslassen, ihren Text an den Mann zu bringen. Es ist, als ob sich zwei in unterschiedlichen Sprachen streiten, vor einem Dritten, der wiederum eine ganz andere Sprache spricht. Am Ende ist es Getöse. Mit wenig Erkenntnisgewinn. Bestenfalls gut für ein wenig Stimmung und um sich den Montagabend mit Bewegtbild zu vertreiben.

Ganz am Ende fordert Plasberg seine Gäste nochmal zu Prognosen auf. Ja. Er weiß, die bringen nichts. Aber andererseits füllen sie seine Sendezeit. Und das ist schließlich sein Auftrag. Die Journalistin Gesine Dornblüth war übrigens auch da und hatte die gleiche Meinung wie Roth, Major und Kiesewetter.

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