Der Vorstand von Volkswagen erwägt, wenn man den jüngsten Äußerungen der Konzernbetriebsratschefin Daniela Cavallo Glauben schenken darf, drei VW-Werke in Deutschland zu schließen. Pars pro toto steht dieses Vorhaben des Wolfsburger Autokonzerns für die gegenwärtige Krise der gesamten deutschen Autoindustrie.
Louis Klamroth dürfte sich durch die gestrige Ankündigung bestätigt gesehen haben: Schließlich hatte die Hart aber Fair-Redaktion schon vorher entschieden, die bundesdeutsche Debatte über die schwierige Situation der deutschen Autoindustrie mit einer eigenen Sendung, wenn nicht qualitativ zu erhellen, so doch zumindest quantitativ zu erweitern.
Denn substantiell Neues wurde dem geneigten ARD-Publikum im Studio und vor den Bildschirmen gestern Abend nicht geliefert. Stattdessen wurden von allen Seiten die altbekannten Positionen zum x-ten Mal wiederholt. Die Diskussion zeigte beispielhaft, was im gleichen Maße auch für eine Vielzahl anderer Politikfelder gilt: dass sich nämlich nicht nur innerhalb der deutschen Parteienlandschaft, sondern auch zwischen den Ampel-Koalitionspartnern gewaltige Unterschiede auftun, wenn es um die Lösung der drängenden Fragen der Zeit geht.
Die Auseinandersetzung verläuft dabei entlang der Pole freie Marktwirtschaft und solide Staatsfinanzen auf der einen und Staatsinterventionismus und Reform der Schuldenbremse – wie die erträumte hunderte Milliarden schwere Neuverschuldung des Staates im Zeichen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation im grünen und linken Milieu euphemistisch genannt wird – auf der anderen Seite. Konnte man sich in der Ampel bei gesellschaftspolitischen Vorhaben wie dem Selbstbestimmungsgesetz oder der Cannabis-Legalisierung noch recht unproblematisch verständigen, prallen nun im Bereich der Wirtschafts- und Industriepolitik völlig gegensätzliche Vorstellungen aufeinander.
Von gemeinsamer Koalition keine Spur
Hätte man einen Außerirdischen ohne Kenntnis der politischen Landschaft Deutschlands nach dem Verhältnis der beiden Parteien gefragt, wäre dieser ohne Zweifel als letztes auf die abwegige Idee gekommen, dass sich beide innerhalb ein- und derselben Regierung befinden. Denn Schäffler, sicherlich ein intelligenter Mann, der allerdings intellektuelle Inspiration, rhetorische Finesse und leidenschaftliche Überzeugungskraft weitgehend vermissen lässt, und sein ebenfalls biederer Konterpart Audretsch waren sich – abgesehen von der Anerkennung der Tatsache, dass sich die deutsche Automobilindustrie, zum Teil selbstverschuldet, zum Teil durch die billigere chinesische Konkurrenz, in einer Krise befindet – in keinem Punkt einig.
Was wiederum für Schäffler spricht. Denn wenn Audretsch das faktische EU-weite Verbrennerverbot verteidigt, den deutschen Autobauern die völlige Umstellung auf Elektromobilität und dem Staat eine enorme Neuverschuldung für die Finanzierung dieser Transformation sowie die Subventionierung von E-Autos – ohne die sie international nicht konkurrenzfähig und national nicht absetzbar sind –, empfiehlt, ist man ja geradezu zu vehementem Widerspruch genötigt.
Schäffler versucht sich zwar daran, für Anreize und Signale durch Preise zu plädieren, mahnt gegenüber der Politik wiederholt zu Technologieoffenheit und kritisiert staatliche Bevormundung und Verbotspolitik, die er im Sinne Friedrich August von Hayeks zurecht als „Anmaßung von Wissen“ bezeichnet. Allerdings verpasst er dabei die sich bietende Gelegenheit, den grünen Talking Points und Transformationsplänen weitaus entschiedener entgegenzutreten.
Die grüne Monomanie mit der Schuldenbremse
Dabei hat Audretsch wirklich sein Menschenmögliches getan, ihm eine Steilvorlage nach der anderen zu liefern. Denn man muss es wirklich einmal so klar aussprechen. Im Kern lassen sich seine Vorschläge und das Programm seiner Partei mittlerweile mit einem einzigen Wort zusammenfassen: Schulden. Kein politisches Projekt, keine ernste Krise, kein drängendes Problem, das die Grünen nicht als Argument für die Abschaffung der Schuldenbremse instrumentalisieren. Dabei kann man den Grünen und ihren politischen Trabanten eigentlich keinen wirklichen Vorwurf machen.
Innerhalb ihrer politischen Logik ist es ja nur konsequent, die negativen Konsequenzen staatlicher Interventionen und der eigenen Verbotspolitik mit noch mehr und immer weitreichenderen Eingriffen lösen zu wollen. Interventionsspirale nennt man das. Die Grünen – und nicht nur sie – stehen heute vor dem Scheitern ihrer einstigen Vorzeigeprojekte: Die Energiewende mit ihren Ausstiegen aus Kohle- und Kernkraft sowie dem Ausbau der Erneuerbaren hat bis heute geschätzte Kosten von 500 bis 1000 Milliarden Euro – also etwas mehr als eine Kugel Eis – verursacht, nützt dem Klima aufgrund des europäischen Emissionshandels aber nichts.
Und weil man bei den Grünen nach wie vor geradezu kulthaft daran glaubt, dass irgendwann der goldene Tag heraufziehen wird, an dem der Strom grün und günstig und die Straße voller E-Autos sein wird, an dem sich all jene Transformationen harmonisch in ein funktionierendes Ganzes zusammenfügen, müssen eben heute ein paar hundert Milliarden neuer Schulden aufgenommen werden. Denn für die Grünen ist es schlicht ausgeschlossen, die Sinnhaftigkeit und Durchführbarkeit ihrer Projekte in Frage zu stellen. Ihr bisheriges Scheitern beweist für sie nicht deren grundsätzliche Fehlerhaftigkeit, sondern im Gegenteil, dass der Staat bisher noch nicht genug für ihre erfolgreiche Umsetzung getan hat.
Und so kann natürlich nur das eine Allheilmittel, die Reform der Schuldenbremse, auch den Weg aus der Krise der deutschen Automobilindustrie weisen: Die Leute kaufen lieber Verbrenner, weil ihnen E-Autos deutscher Hersteller zu teuer sind? Dann subventionieren wir deren Kauf einfach mit Kaufprämien! Die deutsche Autoindustrie leidet unter hohen Energiekosten? Wie wäre es mit einem subventionierten Industriestrompreis! Die Umstellung der Produktion auf Elektroautos erfordert Investitionen in Milliardenhöhe? Dafür gibt es dann einen schuldenfinanzierten Deutschlandfonds!
Wie überall setzt der Staat ideologische Zielvorgaben, die Wirtschaft soll sich entsprechend transformieren und gemäß dem politischen Willen produzieren. Und wenn dann in Folge dessen die Unternehmen nicht mehr konkurrenz- und ihre Produkte nicht mehr marktfähig sind, springt der Staat ein – in der vagen Hoffnung, dass sich all die Subventionen und Investitionen irgendwann in einer fernen und unabsehbaren Zukunft bezahlt machen. Das ist im Kern das Wirtschaftsprogramm von Audretsch und seiner Partei. Dass das mit Marktwirtschaft nur noch entfernt zu tun hat, muss eigentlich nicht extra erwähnt werden.
Die Fahrrad-Frau aus Dänemark
Wer sich nun sicher wähnte und meinte, der argumentative Tiefpunkt der Sendung sei mit Audretschs Ausführungen erreicht, musste sich dank Ragnhild Sørensen eines Besseren belehren lassen. Die gebürtige Dänin ist Sprecherin des Vereins „Changing Cities“, der „zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte“ fördert und dessen bisher größtes Projekt der Volksentscheid Fahrrad in Berlin im Jahr 2016 war. Die erst später in die Diskussion einbezogene Sørensen bemängelte die einseitige Fokussierung der Debatte auf den Autoverkehr – schon das ein merkwürdiger Kritikpunkt an einer Debatte zur Autoindustrie – und versuchte diese auf allgemeinere Fragen der Mobilität zu lenken.
Ich hoffe sehr, liebe Leser, dass sie die Argumentation von Frau Sørensen nicht allzu ernst nehmen. Denn sollten sie es doch tun, kann es wirklich gefährlich für sie werden. Dann laufen sie womöglich Gefahr, ihre Zahnbürste aus dem Badfenster zu werfen. Denn wozu braucht man schon etwas, dass 99 Prozent des Tages sinnlos herumsteht? Weg mit der Bürste! Vielleicht kommen sie alternativ aber auch auf die Idee, ihr Auto vom unnötigen Ballast des Airbags zu befreien. Schließlich braucht man den bei 99 Prozent der Fahrten ja gar nicht! Also weg auch damit! Aber kommen Sie nicht auf falsche Gedanken!