Juso-Chef Kevin Kühnert ist verschnupft, kann nicht kommen und Boris Palmer, der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, kommt verspätet, er wurde aufgehalten. Bei Plasberg diskutiert werden soll die Frage: „In Europa, in Deutschland: Wie viel Populismus verträgt die Politik?“
Auf den verspäteten Palmer wartet beispielsweise Guido Reil, Essener Kandidat der AfD für das Parlament der EU, langjähriges SPD-Mitglied, Gewerkschafter, Glück-auf-Kumpel ohne akademischen Hintergrund: Wir erfahren, dass auf ihn und sein Haus schon eine handvoll Attentate verübt wurden, aber Spitzenreiter mit zehn Anschlägen sei immer noch seine Parteikollegin Beatrix von Storch, erzählt Reil.
Ebenfalls in Erwartung, wann Palmer kommt, ist mit Grimme-Preisträgerin Isabel Schayani die einzige Frau in der Runde. Die Deutsch-Iranerin des WDR darf eine dicke Kladde auf den Tisch legen und später Zitate der anderen vorlesen, die sonst als Einspieler gekommen wären. Ist das ein Lerneffekt, die Veränderung bei Hart aber Fair, soll das nun subtiler sein? Jedenfalls wird Schayani den AfD-ler in so eine Art hinterhältig sanftes Verhör nehmen dürfen, während Plasberg dazu minutenlang einfach schweigt.
Dass diese SPD-Studien nichts taugen, dafür braucht man keinen mit dem kleinen Zeh konvertierten Claus Kleber, dafür reicht es weiterhin, wenn kritische Medien mit einem Hauch von Restdenkvermögen sie einfach lesen und kommentieren. Anschließend soll halt lesen, wer mag oder sich traut oder beides.
Ebenfalls eingeladen ist einer, der es offensichtlich gerade noch über Schleichwege herausgeschafft hat in die Sendung aus dem braunen österreichischen Sumpf, sodass man sich die Frage stellen darf, ob der österreichische Politikwissenschaftler Peter Filzmaier im Anschluss an Hart aber Fair gleich einen Asylantrag stellen wird bei der nächsten Polizeidienststelle. Denn zurück in die Heimat wird er wohl nicht mehr können, bei den Verhältnissen dort, wie er sie schildert. (Daheim klingt der Haus-Polit-Guru des ORF anders.)
Die Überraschung des Abends mag Ralf Schuler sein. Er ist Chefkorrespondent im Parlamentsbüro der Bild-Zeitung und Autor des Buches „Lasst uns Populisten sein. Zehn Thesen für eine neue Streitkultur“. Er ist aber auch Ex-DDR-Bürger, er hat in der Obhut von Honecker und Co. erfahren, was Populismus ist, und nicht vergessen, wie sich das anfühlt. Schuler eilt also Reil immer dort zu Hilfe, wo der Kumpel dialektische Defizite hat. So will dann die Plasberg-Show in der Show nicht recht greifen, wenn sich für den Moment alle auf das rechte Objekt aus dem Pott stürzen sollen oder wollen.
Zum Ende der Sendung folgt noch eine Entgleisung von Plasberg, als er sich in aller Deutlichkeit gegenüber Reil positioniert, weil es die Runde bis dahin offensichtlich nicht geschafft hat, den Essener mit der dickglasigen Brille an die Wand zu drücken.
Aber noch mal zurück auf Los: Irgendwann im ersten Drittel kam auch der verspätete grüne Boris Palmer angerauscht, sein Fahrer musste wohl ordentlich Bleifuß machen, um den Tübinger Oberboss überhaupt noch vor die Kameras zu bringen. Bei Palmer ist das immer so eine Sache: Der Mann hat in der Öffentlichkeit zwei Gesichter. Entweder er verschärft irgendeinen Clinch mit seinen Grünen, indem er noch eine Schippe drauflegt oder er bewegt sich auf dem Ablass-Pfad über das eigene Gesagte. Zwischen diesen beiden Polen bleibt er bei Plasberg der größte Selbstdarsteller noch vor dem „verfolgten” Wissenschaftler aus Österreich.
Palmer ist unberechenbar nicht nur für seine Partei geworden: Immer dann, wenn AfD-Mann Reil neben ihm vielleicht denkt, er hätte einen Mitstreiter, dann flankt der Grüne ganz diffizil und über die Wahrnehmungsspur des Kumpels hinweg ins gegnerische Tor.
Umso alberner wirkt es dann auch am Morgen nach der Sendung, wenn beispieslweise die Süddeutsche in linksintellektueller wie pawlowscher Aufgeregtheit gegen Palmer agiert, als wäre das Blatt Partei und nicht Presse, wenn die Zeitung wörtlich schreibt, das Palmer „zwar hochintelligent, rhetorisch quasi-begnadet und politisch höchst erfolgreich ist. Aber auch leicht erregbar und das immer öfter auf Feldern, bei denen nicht nur seine Parteikollegen sich fragen, ob er wirklich nichts Besseres zu tun hat.“
Der Journalist Ralf Schuler schafft vor allem eines: Er stellt mit seinen eingestreuten Analysen den österreichischen Politwissenschaftler ins Seitenaus. Der lächelt dazu tapfer oder er lächelt, weil er es noch mal aus der rechten Hölle Österreich über die offene Grenze nach Deutschland geschafft hat. Wurde er nach dem Grenzübertritt mit Teddys beworfen? Nein, diese Zeiten sind längst vorbei. Nicht alles, was aus Österreich kommt, muss automatisch gut sein. Aber das weiß man in Deutschland schon viel länger.
Palmer erzählt vom Hass, der auch nach Roths Ausbrüchen über ihn ergossen wurde, „von Menschen die für sich beanspruchen, Vielfalt und Toleranz zu vertreten.“ Die grünen Parteigenossen seien über ihn hergefallen „in einer unerträglichen jakobinischen Verdammungsorgie.“ Das führe dann aber dazu, so Palmer weiter, dass die Leute sich einigeln, dass sie nicht mehr sagen, was sie denken, dass sie nicht mehr mit denen reden können, und das sie bei denen (Fingerzeig zum AfDler) in der Wahlkabine landen.
„Ich möchte aber, dass meine Partei aufhört, immer mehr Leute zur AfD zu treiben.“ Applaus. Solche Ambivalenzen sind beliebt beim Publikum. So etwas bringt Wählerstimmen. Und das ist so ein typischer überdehnter Palmer-Spagat, von dem es auch an diesem frühen Abend bei Plasberg einige zu bestaunen gibt. Neid hin oder her, aber Claudia Roth sollte ihre Kritik an Palmer bloß nicht überreizen. Der Mann bringt Stimmen. Also auch Stimmen für noch mehr Zuwanderung und noch mehr großes Gesellschaftsexperiment.
Der Springerkonzern darf zu Recht stolz sein auf seinen Ralf Schuler. Es mögen ja eine Reihe echter Blindsäger bei Welt und Bild tätig sein, Schuler sticht hervor. Deswegen soll ihm hier auch das Schlusswort gehören, wenn er gegen Ende der Runde mal zusammenfasst, was es zum Populismusthema der Sendung grundsätzlich zu sagen gibt:
„Populismus ist eigentlich ein Stigma, wenn man sich klar macht, dass im Prinzip andere Parteien nach Inhalten bewertet werden – also sozial, liberal, konservativ – Populismus bezeichnet dagegen die Methode des Vorgehens. Und tatsächlich ist es eigentlich ein Kampfbegriff der Hilflosigkeit, der versucht, einen bestimmten Politikbereich als seriös abzugrenzen von dem irgendwie schmuddeligen, über den wir nicht weiter reden wollen. Und genau da liegt das Problem: Leute, die gewählt haben, haben ein Problem artikuliert, und sie rechts oder links liegen zu lassen, bringt die Gesellschaft nicht weiter, zumindest eine demokratische nicht.”