Tichys Einblick
Urbane Arroganz

Hart aber Fair: Pädagogische Konzepte zur Erziehung der Landbevölkerung

Zwischen dem Beginn einer Lockdown-Debatte in Deutschland und der Migrationskrise an der EU-Grenze setzt Frank Plasberg auf das Thema Stadt-Land-Spaltung. Der Sendungsverlauf zeigt, dass diese Spaltung vor allem in den Köpfen derer existiert, die über sie reden.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Migrationskrise? Lockdown-Debatte? Am Montagabend hätte Frank Plasberg die Bühne frei gehabt für die politisch hoch im Kurs stehenden Themen. Er entscheidet sich für: keines von beiden. Stattdessen geht es um die Kluft zwischen Stadt und Land. Mit der Verfassungsrichterin und Autorin Juli Zeh, dem Dorf-Unternehmer Marco Scheel, dem Schauspieler Simon Pearce, der Grünen-Politikerin Jamila Schäfer und dem VWL-Professor Reint Gropp will der „Hart aber Fair“-Moderator über die vielfältigen Unterschiede zwischen „denen aus der Stadt“ und „denen vom Land“ sprechen.

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Dass diese simple Schwarz-Weiß-Sicht unterkomplex ist, fällt der Runde im Verlauf selbst auf. Zunächst jedoch versteigt sich die Diskussion in der Infantilisierung des Landes – nach einigen klugen Anmerkungen über Dystopien, Zentren und Peripherien fragt Plasberg seinen Gast Juli Zeh, ob sie solche Begriffe auch in dem Dorf benutzen würde, in dem sie lebt. Ja – aber die verstehe keiner. Wie sie denn „Dystopie“ für ihre Nachbarn übersetzen würde? Zeh überlegt kurz: „Wird Scheiße. Alles wird Scheiße.“ „Es ist einfach eine andere Kultur“, erklärt sie. Die Landbevölkerung als zurückgebliebene Trottel, denen mal alles zweimal erklären muss? Das ist das Niveau dieser Sendung.

Jamila Schäfer von den Grünen sitzt als absolute Stadt-Vertreterin hier. Die direkt gewählte Bundestagsabgeordnete aus München geht direkt in eine Konfrontation – sie will unbedingt über das Klientelprojekt Lastenfahrrad sprechen, was Plasberg ihr eigentlich ersparen wollte. Danach geht es um die Gründe, warum die Menschen auf dem Land so Grünen-skeptisch sind. Marco Scheel, Selbständiger in einem Dorf auf Rügen, war selbst mal für die Grünen aktiv. Bei ihm zuhause fänden die als Partei „nicht statt“. Vieles von dem, was die Grünen erzählen und problematisieren würden, verstünde man dort schlicht nicht.

Doch dann merkt die Runde, wie ihr Gerede über „die vom Land“ eigentlich klingt – man könne den Ton „missverstehen“, wirft Juli Zeh ein. Schnell erklären alle, dass man das natürlich nicht meine. Aber das glaubt ihnen wirklich niemand.

Wenn eine Grüne für die Subventionierung von Zweitwagen ist

Marco Scheel selbst ist kein Unbekannter – Ausschnitte einer NDR-Reportage über ihn und sein Unternehmen „Nordwolle“ gingen Anfang dieses Jahres viral. Dort beschwert er sich laut und passioniert über den Regulierungsdschungel, der ihm das Bauen und damit das Produktivsein verbietet. „Wir können nicht alle in Berlin mit einem MacBook und einem Chai Latte in einem Co-Workingspace sitzen und die zehnte Datingapp erfinden!“ – Damit hatte er das Problem mit dem wirtschaftlichen Zeitgeist in Deutschland auf den Punkt gebracht.

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Da springt ihm Reint Gropp bei. Der Professor beschreibt das „fundamentale Problem“ so: „Wir wollen den beschützenden Staat.“ Einen Staat, der einen vor allem und vor einem selbst beschützt – und natürlich auch den Unternehmer vor sich selbst. Am Ende könnte noch etwas Produktives für die Gesamtwirtschaft passieren. – Nicht in Deutschland! Ob Scheel denn mittlerweile die Genehmigung habe und produzieren könne, fragt Plasberg. „Nope“, kommt vom Unternehmer. Dann rutscht ihm heraus: „Das passiert illegal …“ In der Runde lacht man nur. Das Amt dulde ihn, meint Scheel.

Das Beispiel des Unternehmers verdeutlicht: Probleme auf dem Land sind häufig eben auch die Probleme in der Stadt. Deutsche Probleme eben – auch, wenn es sicherlich ortsspezifisch eigene Missstände gibt. Und dass man darüber spreche, könne Scheel persönlich sogar helfen, meint Professor Gropp – „diese Aufmerksamkeit ist schon unangenehm für die Verwaltung.“ Insgesamt stellt er fest, dass man den Menschen in Deutschland mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung geben müsse, um Probleme auf dem Land zu meistern. „Je mehr Regeln wir haben, desto schwieriger ist die Strukturveränderung.“

Menschen etwas selbst machen lassen, ist selbstredend nicht das Konzept von Jamila Schäfer. Für die Grüne ist die Antwort der Staat. „Der Markt regelt das selber? Diese Logik hat dazu geführt, dass ganze ländliche Regionen veröden“, meint die Politikerin. Deswegen müsse der Staat nun fördern, subventionieren und lenken. Dafür hat sie einige Ideen, die sie wahrscheinlich selbst überraschen: In dem Gedanken, dass Mobilität für die Menschen auf dem Land auch subventioniert werden müsse, versteigt sich Schäfer zur Folgerung, dass man Zweitwagen staatlich fördern müsse. Sie verhandelt übrigens Mobilität für die Grünen in den Ampel-Verhandlungen: Das könnte noch spannend werden mit so vielen plötzlichen Einfällen.

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