Bei „Hart aber fair“ geht es wieder um unseren nächsten Bundeskanzler – doch dieses mal wird die Runde der diskutierten Kandidaten um die frisch gekürte Annalena Baerbock erweitert. „Offener Kampf bei den Schwarzen, Harmonie bei den Grünen – Wie findet man die Besten fürs Kanzleramt?“ formuliert Plasberg.
Dazu erstmal eine Frage: Wie weit ist es tatsächlich her mit der viel attestierten „Harmonie“ bei den Grünen? Anstelle einer Urwahl des Spitzenkandidaten – eine bis 2017 gelebte Tradition in der Partei – wurde die Nominierung Baerbocks in einem wie auch immer gearteten Hinterzimmer beschlossen. Ein Parteitag darf dann noch abnicken – ganz untypisch für die innerparteilich doch einst so „basisdemokratischen“ Grünen. Dort hakt Plasberg dankenswerterweise direkt nach.
„Wenn alle das Gefühl haben, es läuft, dann funktioniert es“, meint dazu Helene Bubrowski. Sie ist grüne Haltungsjounalistin par excellence – wird ihr schwummrig bei dem, was sie herbei geschrieben hat? Die Partei akzeptiere Baerbock als vorgesetzte Kanzlerkandidatin, weil sie momentan Erfolg verspreche. Doch eine inhaltliche Geschlossenheit sieht die FAZ-Journalistin nicht. Es müsse eine echte Diskussion über die inhaltlichen Streitpunkte zwischen „Kreuzberger Hardcore-Grünen“ und „Stuttgarter Realos“ geben – „Die gibt es aber nicht.“ Stattdessen attestiert Bubrowski den Grünen eine Art Merkel-Taktik: Durch inhaltliche Uneindeutigkeit soll ein möglichst großes Wählerpotenzial abgedeckt werden.
Dort widerspricht Anton Hofreiter. „Wir haben total intensive Diskussionen. Deshalb haben wir auch so inhaltsschwere Wahlprogramme.“ Zur vorherigen Frage nach der Urwahl muss der Grünen-Fraktionsvorsitzende nichts sagen – Plasberg fragt auch nicht.
Zu der Grünen „Inhaltsschwere“ werden wir noch kommen: Erstmal kommt Wolfgang Bosbach. Der beliebte ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete kommentiert treffend die einst „wilde Partei“, die mittlerweile längst Kern des Establishments ist. Er resümiert süffisant: „Das System hat die Grünen mehr verändert als die Grünen das System“. Dass die Union im Vergleich zu dieser Partei so schlecht dasteht – das belastet ihn auch persönlich, gesteht er. „Mir geht das sehr nahe, weil ich glaube, wir werden weiter an Vertrauen verlieren. Vor allem, wenn die Menschen merken: Wir haben mehr mit uns zu tun als mit den Problemen der Menschen.“
Baerbock und Habeck scheinen – zumindest oberflächlich – eine andere Strategie zu verfolgen. „Die Grünen wollen die Merkel-Stimmen, sie wollen in die Mitte, da wollen sie Stimmen gewinnen“, analysiert Bubrowksi. Dafür habe man im Wahlprogramm bewusst noch viele Dinge schwammig gehalten. „Das grüne Programm hat deutliche Linksakzente, aber in Steuerfragen etwa haben sie sich bewusst nicht festgesetzt.“
Bürgerlich zu erscheinen ist das Motto der Grünen: Doch damit ist es natürlich nicht weit her. Denn das Grüne Programm ist vor allem von Linkspopulismus und Staatsfetischismus durchzogen. Das stellt auch Martin Richenhagen, ein ehemaliger internationaler Topmanager fest. Flankiert wird er vom Bundesverband der deutschen Industrie. Der hat sich das Grünen-Programm angeguckt und ist zum Schluss gekommen: „Der Entwurf gibt aus Sicht der deutschen Industrie Anlass zur Sorge. (…) Das Programm ist durchzogen von einem prinzipiellen Misstrauen gegen marktwirtschaftliche Mechanismen. Der Entwurf offenbart ein ausgeprägt dirigistisches Staatsverständnis, das – mit einer sehr eingeengten Perspektive auf das Staatsziel Klimaschutz – Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft durch Konzepte staatlicher Lenkung und Umverteilung ersetzen will.“ Fazit des BDI: Wenig Licht, viel Schatten. Das fällt den Industrie-Magnaten spät ein. Bislang haben sie jeden grünen Unsinn bejubelt wie zuletzt ihr Chefökonom Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft, der das 500-Milliarden-zusätzliche-Schuldenprogramm der Grünen feiert. Dem sind es nur ein paar Peanuts zu viel.
„Kein Mensch weiß seit Wochen, wofür Markus Söder eigentlich steht und wofür Armin Laschet eigentlich steht!“
Hofreiter winkt direkt ab – es gäbe „sehr große Übereinstimmungen“ zwischen den Grünen und der Industrie. Aber: „Marktmechanismen funktionieren nicht“. Dann wieder – es ginge den Grünen gar nicht um den Staat. Richenhagen fährt ihm über den Mund: „Ihnen geht es darum, dass sie es gerne machen wollen, weil sie es uns nicht zutrauen!“ Doch Hofreiter lässt sich in seiner Vernebelungstaktik nicht aufhalten und breitet noch so manche Idee aus: Zum Beispiel, dass man transatlantische Freundschaft durch Washingtonisch-Brüsselsche Besteuerungspläne für Konzerne wie Amazon erreichen würde. Geostrategische Allianz auf Basis von Besteuerungsabkommen – was?
Die steuerlichen Robin-Hood-Pläne rückt Bosbach ins rechte Licht. Mindestens die Hälfte des Ertrages einer solchen Vermögenssteuer – das wisse man aus der Vergangenheit – gehe für die Erhebung der ohnehin wackeligen und unkonkreten Steuer drauf. Das ist bekanntlich egal, denn bei einer Vermögenssteuer geht es ums Prinzip. Doch dass die Grünen in Sachen Steuererhöhungen an sich zahmer als die SPD sind, fällt auch Plasberg auf. „Hat Ihre Partei inzwischen begriffen, dass viele ihrer Wähler zu den Besserverdienenden gehören?“ Doch das sind nur Sticheleien. Der ÖRR erspart den Grünen das Nachbohren, das Festnageln und das kritische Fragen. Es wäre bei einer als Kanzlerpartei gehandelten politischen Kraft eine journalistische Mindestanforderung.
Am Ende bleibt die Sendung also ihrem Titel treu – bei den Grünen ist es harmonisch, bei der Union chaotisch. Ob oberflächlich verdeckte Radikalität oder gespielte Debatten, es scheint alles gar nicht mehr so unterschiedlich zu sein.