Bei Hart aber Fair wurde diesen Montag geplaudert – eine Diskussion kann man das, was Frank Plasberg und seine Gäste ablieferten, nicht nennen. Das Thema war die Corona-Impfung: „Ist sie gut, ist sie sicher, wer bekommt sie wann?“
„Ist sie [die Impfung] gut?“, fragte Plasberg Eva Hummers, Allgemeinmedizinerin, Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin in Göttingen und Mitglied der ständigen Impfkommission.
„Ja“, antwortet sie und wird später relativieren: Alle Daten, die es gibt, sind sehr vielversprechend, aber in Anbetracht der schnellen Zulassung und bisherigen Einzigartigkeit der in Aussicht gestellten mRNA Impfstoffe müsste mit größeren Ungewissheiten als sonst gerechnet werden. Niemand in der Runde wird dagegen argumentieren, denn es ist ein wohlformulierter Allgemeinplatz, der sich kaum angreifen lässt. Impfgegner könnten daraus eine Kampagne ableiten.
Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist, fällt Hummers immer wieder ins Wort. Nicht, weil er etwas anderes sagt als sie, sondern weil er Hummers eher technokratische Aussagen in eine Form umformuliert, die ein regelmäßiger Konsument von Wissenssendungen wie „Quarks und Co“ versteht. Aus einem Erklärer wird schnell ein Besserwisser, der den eigentlich Wissenden sagt, was sie meinen (sollen).
Auf Yogeshwars Aussagen folgt dann noch Boris Palmer, grüner Oberbürgermeister in Tübingen, der Yogeshwars Aussagen noch einmal umformuliert, so dass sie auch der Tübinger auf der Straße versteht. Der Tübinger an und für sich wählt und lebt grün, der Oberbürgermeister war in der Waldorfschule, dem Herz des grünen Widerstands gegen Impfung.
Das sieht dann im Verlauf ungefähr so aus: Hummers meint, die Impfstoffe sind nach den bekannten Daten sehr gut, aber es fehlen noch Daten, die sie bräuchte, um eine absolute Aussage machen zu können. Denn sie ist Wissenschaftlerin und die sind mit absoluten Aussagen genauso vorsichtig wie Juristen. Aus gutem Grund. Und eine Talkshow ist weder Gerichtssaal noch Hörsaal.
(Eine ausführliche Aufarbeitung der Thematik findet der interessierte Leser hier.)
Boris Palmer sagt: „Sie machen das zu kompliziert. Ich bin Grüner und Waldorfschüler und komme also aus einem doppelt impfkritischen Milieu. Lassen Sie mich das so formulieren: Der Impfstoff greift nicht die Gehirnzellen der Patienten an, wie es Professor Bhakdi behauptet. Der Impfstoff kann nicht die DNA verändern.“ Später erzählt er dann, er selbst habe an einer Studie von CureVac in Tübingen teilgenommen und vertraue dem Erfinder der mRNA-Impfung. Waldorfschule wird so zum Unbedenklichkeitszertifikat.
Hier setzt Hummers an: Mit der DNA haben sie recht, und mit den Gehirnzellen eigentlich auch, aber theoretisch … Ihr wird später niemand Verharmlosung vorwerfen können.
Das soll keine Kritik an den Personen sein. Jeder kommuniziert so, wie er es aus seinem Alltag gewöhnt ist. Für Hummers gibt es keine Sicherheiten außer die Naturgesetze und keine Aussage kann ohne Einschränkung stehen bleiben – so klein sie auch sein mag. Yogeshwar holt weit aus und erzählt, wie das Virus vom Ei in die Ampulle und in den Körper kommt, denn er ist von Beruf Wissenschaftserklärer für Naseweise und man spürt sein heißes Bemühen, Wissenschaft und Staatsnotwendigkeit zu vereinen. Und Palmer simplifiziert, denn mit der „Schulmedizin“ haben es die Grünenwähler oft nicht so. Das ist alles ok. Doch eine Diskussion ergibt sich daraus nicht und soll sich wohl auch nicht ergeben. Es ist eine Belehrungssendung.
Wer entscheidet darüber, wer zuerst geimpft wird? „Das darf auf keinen Fall eine politische Entscheidung sein, das muss die ständige Impfkommission entscheiden“, sagt er. In dem Punkt ist er entschieden, will auch auf Plasbergs Drängen nicht eine Einordnung vornehmen, ob nun Kassierer und Einzelhändler vor oder nach den Lehrern an die Reihe kommen. Denn hier muss für die Bürger klar sein, warum die Entscheidungen getroffen werden, wie sie getroffen werden. Er fürchtet wohl einen zu großen Einfluss von Interessensgruppen auf die Politik.
Nur auch hier lässt sich kaum diskutieren. In seiner eigenen Spähre ist jeder unangreifbar. Nur der Zuschauer verzweifelt.
Monika Sieverding, Gesundheitspsychologin am Institut für Psychologie in Heidelberg. „Sie macht auch Gender“, wird Plasberg im Laufe der Sendung verraten, und das ist natürlich der Hinweis: Hier spricht eine Pseudowissenschaftlerin. Auch Sieverdig hat interessante Sachen zu erzählen. Ein Großteil der Bürger will sich impfen lassen, eine Impfpflicht – auch eine indirekte – sei weder richtig noch nötig und Männer sind eher bereit sich impfen zu lassen als Frauen, obwohl sonst Frauen in der Gesundheitsprävention besser sind. Das begründet sie damit, dass sich Frauen mehr mit dem Thema Corona auseinandersetzen und damit über mehr Informationen verfügen, sich von diesen jedoch zugleich auch mehr verunsichern lassen. Jetzt hat man also auch Gender kapiert. Frauen sind schlauer, aber das hilft ihnen in diesem Fall nichts.
Laumann stellt klar: Eine Verpflichtung seitens der Arbeitgeber für ihre Angestellten, sich impfen zu lassen, ist arbeitsrechtlich nicht möglich. Ob geimpfte Personen anders behandelt werden dürfen als nicht geimpfte, zum Beispiel früher wieder Konzerte besuchen, sei ihm rechtlich nicht klar. Man könnte über so etwas zwar diskutieren, aber erst dann, wenn jeder die Möglichkeit hatte, sich impfen zu lassen. Und wenn dann ohnehin eine Herdenimmunität besteht, hat sich die Frage erledigt. Hummers findet, die ständige Impfkommission ist für solche Fragen nicht zuständig und gibt zu bedenken, dass über die Wirksamkeit der Impfstoffe zu wenig bekannt ist, um solche Überlegungen anzustellen.
Sieverding glaubt nicht, dass so eine Diskussion nötig ist. Abgesehen von den „sehr wenigen“ absoluten Impfgegnern wird der Gruppenzwang die Unentschlossenen oder leichten Zweifler schon mitreißen (sie nennt es nicht Gruppenzwang, aber beschreibt eine Situation, in der der einzelne von seinem Umfeld, das sich hat impfen lassen, in dieser Entscheidung beeinflusst wird). So groß sind also Unterschiede zwischen den Geschlechtern sowieso nicht, alles nur Einbildung. Gender nennt das „soziale Konstrukte“.
Der grüne Realo Boris Palmer findet als einziger scharfe Worte, verurteilt solche Überlegungen und fürchtet, dass sie die Menschen den absoluten Impfgegnern in die Arme treibt. Vermutlich hat er Recht damit. Jedes Fragezeichen erhöht die Ängste. Offener Meinungsstreit wird vermieden, um Impfgegnern kein Futter zu geben. Impfen ist des Bürgers erste Pflicht, Impfen die neue Staatsraison. Daran darf kein Zweifel bleiben. Denn dann wäre das gesamte Projekt „Impfung ist Liebe“ gefährdet.
Diese Woche war Hart aber Fair eine ganz nette Wissenssendung mit interessanten Argumenten und Sichtweisen. Das ist deutlich besser als das sonst übliche Geschrei. Widerspruch sickert nur durch Ritzen und Risse ins Studio ein. Eine perfekte Sendung.