Tichys Einblick
Gulaschkanonen-Kommandanten

Bei Hart aber Fair: Putins Stirnbieter und die Artillerie der leeren Worte

Bei Hart aber Fair findet man klare Worte gegen Putin. Albern wird es bei der Analyse der russischen Strategie – allen Ernstes glaubt man, der vom KGB ausgebildete Putin habe das strategische Verständnis eines Kindergartenkindes und Angst vor der wundersamen Ausstrahlung der europäischen Demokratie.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Am Valentinstag beginnt „Hart aber Fair“ mit Verspätung. Wer – warum auch immer – diesen Tag am liebsten mit Frank Plasberg verbringen möchte, muss sich also gedulden. Erst um 23 Uhr beginnt die Talkrunde, die eigentlich mit einem brandaktuellen Nicht-Corona-Thema aufwarten kann: Es geht um den heiß brodelnden Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. „Was will Putin erreichen? Was kann der Westen ihm bieten, ohne die eigenen Werte oder die Souveränität der Ukraine zu opfern?“, fragt Plasberg.

Der allgemeine Eindruck ist: Die Runde will Putin vor allem die Stirn bieten, ohne aber eine Idee zu haben, wie das eigentlich gehen soll. Deutschlands Haltung im Ukraine-Konflikt wird von allen Seiten als zu lasch kritisiert: Mit diesen Vorwürfen will Michael Roth aufräumen. Der SPDler und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses meint, Deutschland zeige „sehr wohl“ klare Kante gegen Putin. Was er damit meint, erfahren wir später. Die „klare Kante“ könnte für einige jedenfalls noch härter sein – nicht nur in der NATO und der EU, sondern auch im Studio. So fordert Zeit-Journalistin Mariam Lau unumwunden die Lieferung von Waffen und mehr an die Ukraine. „Die Ukrainer sind unsere Nachbarn und wir müssen ihnen jetzt helfen – auch militärisch.“

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Die dringende Notwendigkeit dieser Hilfen unterstreicht ein Einspieler, den Plasberg bereithält: Russland soll die Invasion der Ukraine am kommenden Mittwoch angesetzt haben – das erklärt zumindest die US-Regierung unter Berufung auf ihre Geheimdienste. Mit „von den USA gestreuten“ Gerüchten sollte man vorsichtig sein, meint Russland-Expertin Sarah Pagung dazu. Moskau sei zwar dank des Aufmarsches jetzt jederzeit in der Lage, militärisch loszuschlagen. Aber: „Ein Krieg mit der Ukraine wäre sehr unbeliebt, weil man sich als eng zusammengehörendes Kulturvolk sieht.“ Auch Norbert Röttgen ist überzeugt: Die Mehrheit der Russen habe „keine Lust, Ukrainer zu töten“.

Was ist also der Sinn des Aufmarsches: Ist es ein Schrei nach Aufmerksamkeit, wie Plasberg sagt? Michael Roth vermutet das, und erklärt, es wäre „zynisch, wenn man insofern Putin auch noch ernstnehmen würde. Ihm geht es ja darum, die Welt zurückzudrehen.“ Küchenpsychologisch redet man plötzlich über den russischen Präsidenten wie ein Kleinkind. Ein Stratege sei Putin nicht, meint Roth. Was der zivildienstleistende Politologe dem KGB-Offizier an strategischem Denken allerdings voraus haben soll, um sich diese Einschätzung zu erlauben, bleibt offen.

Roth bewertet die Situation zwar treffend – Putin treibe die Ukraine von Russland weg und viele bisher neutrale Staaten zur NATO -, verzettelt sich aber in einer falschen Analyse des russischen Denkens oder des Denken Putins. „Die größte Angst geht aus von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit.“ Putin habe Angst, dass dieser Geist aus der Ukraine auf Russland übergreife. Auch Röttgen meint: Das „Virus der Freiheit“ sei eine Gefahr für Putin und das oligarchische Russland. Weil diese Oligarchie die russische Herrschaftsform sei, sei die Demokratie mit Putins System nicht kompatibel. Doch dieser unschlagbare Charme des gegenwärtigen Europas dürfte eine naive Wunschvorstellung sein.

Nord Stream und die Drohung, die keine ist

Interessante Eindrücke zeigt der WDR-Journalist Vassili Golod. Er hat Familie auf beiden Seiten der russisch-ukrainischen Grenze und berichtet von seinen persönlichen Erfahrungen. Sein in Sewastopol lebender Großvater sei, wie viele Russen, ein Anhänger des Großmachtstrebens. „Für ihn ist Russland eine Großmacht, für ihn existiert in seinem Kopf noch immer die Sowjetunion.“ Ukrainer und Belorussen seien in dieser Denkweise ein Volk – ein russisches Volk. Einen Krieg würden die Menschen seiner Erfahrung nach aber nicht befürchten – solange die NATO nicht weiter provoziere, wie Teile seiner russischen Familie meinen. Er hebt hervor, wie sehr das russische Staatsfernsehen die Denkweise der Menschen beeinflusse – es sei Putins mächtigstes Instrument, erklärt der WDR-Journalist in der ARD-Talkshow. Die Realität sei jedoch, dass Russland und die Ukraine sich voneinander entfremdet und unterschiedlich entwickelt hätten: Für ihn ist Russland quasi ein toxischer Ex-Freund der Ukraine.

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Dennoch: Das Selbstverständnis Russlands kommt zur Sprache und wird nicht, wie von vielen anderen Gästen, übergangen. Schließlich widmet man sich Nord Stream 2. Hier wird Michael Roth überraschend deutlich: Das Pipeline-Projekt sei „auf dem Tisch“. Er stellt klar, bei einer russischen Invasion der Ukraine habe „das Projekt keine Zukunft“. Dass Deutschlands schärfstes Mittel die Beendigung der ohnehin schon halbtoten Nord-Stream-Röhre ist – nur unter der Voraussetzung, dass Russland die Ukraine angreift (!) –, sagt über die deutsche Bedeutung in diesem Konflikt im Prinzip alles.

Wie immer kommen bei „Hart aber Fair“ auch Zuschauer zu Wort. Bei denen scheint der Kampf für Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und internationale Ordnung noch nicht so wirklich angekommen zu sein. „Was geht uns eigentlich die Ukraine an?“, fragt ein Zuschauer in eine Runde. „Der eigene Frieden und wirtschaftliche Interessen sollten stärker in unserem Interesse sein als die territoriale Integrität der Ukraine“, meint ein anderer trocken. Mariam Lau von der Zeit sieht es geboten, darauf „als Europäerin“ zu reagieren und ist „schockiert“. Sie befürchtet, dass die NATO am Ende falsche Konzessionen gegenüber Russland machen könnte – und meint damit scheinbar jede mögliche Konzession.

So endet eine späte Runde, die ihr Potenzial nicht ausschöpfen konnte. Das klare Bekenntnis zu Werten ist lobenswert – die Talkenden schmeißen sich jedoch in Schützengräben der leeren Worte, über deren Rand sie nicht mehr hinwegsehen können. Die großen Kernfragen bleiben unangetastet: Das Bild von Putins Motiven und den russischen Interessen bleibt naiv. Doch am naivsten ist der Gedanke, dass es Putin scheren könnte, was die deutschen Gulaschkanonen-Kommandanten hier für Reden schwingen. Die Falken haben stumpfe Krallen und wenig Weitsicht.

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