„Alle werden Weihnachten noch erleben.“ (Katrin Göring-Eckardt, B‘90/Grüne) Es ist eine Sendung der steilen Thesen.
Moderator Frank Plasberg wagt die erste: „Wählerbeschimpfung gibt es kaum in Deutschland – Politikerbeschimpfung schon,“ sagt er einführend. Oh nein, möchte man ihm schon da zurufen: Wähler werden sehr wohl beschimpft – vor allem die der AfD. Aber die Partei der Unberührbaren – wie auch die FDP und die „Linke“ – sollen an diesem Fernsehabend keine Rolle spielen. Hier geht es ausnahmslos um die sogenannte Große Koalition aus CDU, CSU und SPD – und natürlich, wir sind schließlich bei der ARD, um die Grünen.
Die Gästeauswahl bei hart aber fair ist gleichermaßen politisch wie geografisch bemerkenswert. Vorgeladen sind:
- Melanie Amann, Leiterin des Spiegel-Hauptstadtbüros (geboren in Bonn);
- Katrin Göring-Eckardt, Co-Fraktionsvorsitzende von B‘90/Grünen im Bundestag (geboren in Friedrichroda);
- Andreas Rödder, Historiker und CDU-Mitglied (geboren in Wissen/Sieg);
- Norbert Röttgen, CDU-Bundestagsabgeordneter (geboren in Meckenheim);
- Norbert Walter-Borjans, Kandidat für den SPD-Vorsitz (geboren in Uerdingen).
Beim rheinischen WDR sitzen beim (in Remscheid geborenen) Rheinländer Plasberg also vier gebürtige Rheinländer und eine Quoten-Ossi. Da hätte gut auch mein Schwager sitzen können, der ist ebenfalls Rheinländer. Aber dazu kommen wir noch.
Zu Beginn wird Gästen und Zuschauern per Video noch einmal Friedrich Merz vorgespielt – mit seinem sprachlich leicht verrutschen, aber durchaus wirkmächtigen Frontalangriff auf die Kanzlerin: Wie ein Nebelteppich liege deren Untätigkeit auf dem Land. Man wundert sich schon etwas: Das hat ja nun viel mit der CDU, aber nur bedingt mit der Großen Koalition zu tun. Tatsächlich weist es aber die Richtung, die die Sendung fast bis zum Schluss nehmen wird: Es geht praktisch ausschließlich um Konflikte INNERHALB von CDU und SPD. Um Konflikte ZWISCHEN den Parteien (also zum eigentlichen Thema der Sendung: der Koalition) geht es so gut wie gar nicht.
Die erste Diskussionsrunde nach dem Merzschen Nebel bringt mehr steile Thesen – und eine drängende Frage: Was eigentlich ist die Kompetenz, die Andreas Rödder als Gast dieser Runde qualifiziert? Historiker verstehen von zeitgenössischer Politik nicht mehr als jeder andere Beobachter. Mein rheinischer Schwager, zum Beispiel, ist ein guter Beobachter. Ein herausgehobenes CDU-Mitglied ist Rödder auch nicht. Er mag ein guter Historiker sein, das ist absolut möglich und soll hier nicht in Abrede gestellt werden. Aber seine Qualifikation als politischer Analyst ist, gelinde gesagt, unklar. Immerhin ist er amüsant. Doch dann hält er strategische Vorträge.
Und wieder fragt man sich: mit welchem Recht eigentlich er – und nicht mein Schwager?
Spiegel-Frau Melanie Amann präsentiert ihre Aussagen in einer Selbstgerechtigkeit, die niemand einem Mann ohne Sexismus-Vorwurf durchgehen lassen würde. Wäre sie ein Mann, würde man wohl außerdem sagen, sie argumentiere breitbeinig. Wie dem auch sei, sie gibt zum Besten: „Sachkritik ist immer Personalkritik.“ Die nächste steile These. Zur Sache sagt sie: nichts. Dafür verteidigt Amann mit Zähnen und Klauen die Kanzlerin. Rudolf Augstein würde jetzt im Grab rotieren wie ein Propeller. „Vielleicht wird mich die Geschichte als falsch entlarven,“ sagt Amann, und man denkt: Warten wir’s ab, unmöglich scheint das nicht zu sein.
Dann versucht sich die angebliche Journalistin als Polit-Analystin – sie hat aber genau KEINE Fakten beizutragen (was man von einer Journalistin durchaus insgeheim erwartet hätte). Noch nicht mal Gerüchte aus den Parteien, die die anwesenden Parteivertreter natürlich nicht preisgeben würden und für die man eine Journalistin in so einer Runde auch brauchen könnte, hat Amann dabei. Bei allem Respekt: Eine arrogante Frau, die nichts beizutragen hat als ihre eigene, durch nichts unterlegte Meinung – die braucht man hier nicht.
Immer mehr vermisse ich in der Sendung meinen Schwager.
Stattdessen doziert Norbert Röttgen: „Die CDU hat keine Chaos-Neigungen.“ Ohnehin seien die Bürger an der Sache und nicht an Personaldebatten interessiert. Wenn das nicht steil ist … Eigentlich eine Steilvorlage für alle Mit-Diskutanten.
Katrin Göring-Eckardt will trotzdem nicht darauf eingehen, sondern erstmal etwas ganz Anderes sagen. Sie beklagt, dass in den vergangenen 20 Jahren zu wenige Gebäude wärmegedämmt worden seien. Hätten wir das richtig gemacht, dann würden wir heute nicht so viel russisches Gas brauchen. Loriot würde an dieser Stelle sagen: Ach, was? Insgesamt tut Göring-Eckardt das, was das grüne Milieu derzeit überall tut: Sie reduziert die gesellschaftliche Komplexität und die Politik des ganzen Landes auf ein Wort – Klima.
Norbert Walter-Borjans, SPD-intern „NWB“ genannt, streift das eigentliche Thema der Sendung immerhin mit der Bemerkung, die GroKo erfülle die Erwartungen nicht. Jede Hoffnung auf Interessantes macht er dann aber sofort selbst wieder zunichte – und präsentiert die SPD-typische Sicht auf die Welt: Alles liegt am Sozialen. Hier diesmal also keine steile These, sondern die denkbar flachste.
Plasberg hakt nach: Soll die SPD raus aus der GroKo? NWB antwortet so, wie Politiker antworten, um Politikerverdrossenheit zu maximieren: ausweichend. Plasberg konfrontiert ihn mit Martin Schulz (der zur Wahl von Walter-Borjans Konkurrenten Olaf Scholz aufgerufen hat) – NWB antwortet altbewährt: ausweichend. Immerhin kritisiert er Merkels innerparteiliche Führung und widerspricht Röttgen: „Personen sind in der Politik wichtiger als 150 Seiten Programm.“ Aber dann geht er doch noch Göring-Eckardt in die grüne Falle und fängt an, von „Klimapolitik” zu schwärmen. Da ahnt man, womit er meint, in der SPD zum Vorsitzenden gewählt zu werden – und weshalb die Partei hier und da recht dicht an die Fünf-Prozent-Hürde heransegelt. Die gesamte Sendung über weigert sich Walter-Borjans außerdem beharrlich, den Ausstieg aus der GroKo zu fordern. Weshalb eigentlich sollte irgendjemand ihn wählen und nicht Olaf Scholz?
(Man stellt sich kurz einen Bundestagswahlkampf mit den Kanzlerkandidaten Norbert Walter-Borjans, Annegret Kramp-Karrenbauer und Katrin Göring-Eckardt vor – und man ertappt sich dabei, Zeitungsredakteure beim Texten von Überschriften zu bemitleiden.)
Den ultimativen Recherche-Clou hat sich Plasberg für das Ende von hart aber fair aufgespart. Da fragt er, weshalb die Politik der GroKo eigentlich so unbeliebt sei – immerhin hätten CDU, CSU und SPD doch zwei Drittel ihrer Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt?
Man stutzt. Im Ernst jetzt? Was ist das eigentlich für eine Redaktion, die erfolgreiche Politik an der Zahl von abgeschlossenen Gesetzesprojekten messen will?
Zum Glück sind sich Walter-Borjans und Röttgen in diesem Punkt großkoalitionär darin einig, das – sehr kultiviert und eigentlich viel zu zahm – für grandiosen Quatsch zu erklären.
In der Schlussrunde wird der Streit über die Grundrente verhandelt. Da beweisen dann alle anwesenden Politiker – allesamt, wie sie da sitzen – dass sie nicht Teil der Lösung sind, sondern Teil des Problems.
Röttgen argumentiert sachlich korrekt, kann es sich aber nicht verkneifen, dabei seine inhaltlich richtigen Argumente hinter parteipolitischen Angriffen fast unsichtbar zu machen. Walter-Borjans argumentiert als parteiinterner Wahlkämpfer, der er ja auch ist, und verteidigt dabei heldenhaft das Konzept seiner Partei, das allerdings den Interessen des normalen Steuerzahlers (früher war das mal eine Zielgruppe der SPD) zuwiderläuft. Göring-Eckardt erklärt allen Ernstes, dass ein Verzicht auf die Grundrente das Vertrauen in die Politik insgesamt erschüttern würde. Das ist natürlich wieder Quatsch, aber „Vertrauen“ ist damit als Gesprächsthema aufgerufen.
Und es hält sich: Alle beklagen quasi wortgleich die Vertrauenskrise der Politik. Unerklärlicherweise kommt aber bis zum bitteren Ende von hart aber fair niemand auch nur ein einziges Mal auf die Idee, dass es das Konzept der GroKo selbst sein könnte, welches die Vertrauenskrise auslöst.
Vielleicht kommt das ja in der nächsten Sendung hart aber fair. Hoffentlich wird dann auch endlich mal mein Schwager eingeladen.