Ach Du jemine, da kann er einem schon wieder leid tun, wenn Frank Plasberg als Moderator von Hart aber fair 2020 mit einem zentnerschweren Thema einleitet, wo er doch das vergangene Jahr seicht, fast schon boulevardesk hat auslaufen lassen. In seiner ersten Sendung des Jahres startet Plasberg nun mit der Frage: „Trump und die Mullahs: Hat die Vernunft noch eine Chance?“
Und als wäre das nicht schon Ballast genug, sind der scheint’s schon obligatorisch gesetzte Norbert Röttgen (CDU) geladen, ebenso wie Talkshow Altgestein Jürgen Trittin (Grüne) – beide legitimieren sich hier dadurch, dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestages anzugehören, Röttgen als Vorsitzender und Trittin als einfaches Mitglied.
Also: „Trump und die Mullahs: Hat die Vernunft noch eine Chance?“ Aber welche soll das sein? Die auf westlichen Werten basierende Vernunft gegenüber der Unvernunft der kriegstreiberischen Mullahs mit ihren Israel-Vernichtungsfantasien und dieser immer noch ungebändigten Sehnsucht nach einer Mullah-Atomrakete? Jetzt ist der amerikanische Präsident seinen Gegnern nach auch kein Vernunftentscheider, auch seine oft sehr lässige Informationspolitik bestärkt diesen Eindruck.
Wessen Vernunft soll also eine Chance bekommen? Wie vernünftig war es eigentlich, einen iranischen Militär und seine Begleitung per Killfahndung ins Jenseits zu befördern, der anscheinend im Iran so beliebt, gefürchtet oder was immer war, dass es den Mullahs zunächst schnell und umstandslos gelang, die schon traditionelle iranische Anti-Amerika-Stimmung zu mobilisieren. Dazu sollte man ergänzend wissen, dass der Getötete auch bei der EU schon seit Jahren auf deren offizieller Terrorliste stand.
Nein, mindestens für unverbesserliche Linke ist so eine UN-mandatslose Kill-Aktion nicht akzeptabel. Denn sie bestätigt das negative Amerikabild dieser Leute einmal mehr. Der eine oder andere mag sich aktuell obendrein fragen: Was könnte passieren, wenn die USA ihr Fracking-Gas nicht nach Europa verkaufen können, weil Europa es viel einfacher und möglicherweise auch preiswerter von Putin beziehen kann? Und was passiert – der nächste Schauplatz – wenn der Iran mit China ins dicke Geschäft um iranisches Öl kommt?
Die weiteren Gäste sind Golineh Atai (WDR-Journalistin), geboren in Teheran und bis 2018 für die ARD als Korrespondentin in Kairo und in Moskau unterwegs. Politikwissenschaftler Christian Hacke steht ebenfalls am Tresen bei hart aber fair, er wurde nach Pressemitteilung der Sendung eingeladen als Fachmann für transatlantische Beziehungen. Last but not least ist da die US-amerikanische Journalistin Melinda Crane.
„Ich sags gleich vorweg, wundern sie sich nicht, wenn wir den Konflikt heute abend nicht lösen.“, kalauert Plasberg vorsichtig in das neue Jahr, als wäre er gerade erst vom Berghain mitten hinein ins rote Studio gefallen.
Korruption, Misswirtschaft, soziale Spaltung, obszöner Reichtum, eine Abwanderung der Gehirne, im Flugzeug nach Kanada saß eine halbe Universität und so sei der Absturz dieses Flugzeuges nur der „Höhepunkt des moralischen und menschlichen Bankrotts eines Systems, das jahrelang Religion für Politik missbraucht hat.“, eröffnet Golineh Atai die Diskussion mit einer gestochen scharfen wie emotionalen ersten Analyse.
Professor Christian Hacke weiß etwas, kann es mit einfachen Worten ausdrücken und ist immer gerne bereit, andere daran teilhaben zu lassen. In dem Fall sagt er: „Wir außerhalb des Nahen Ostens sind immer ein bisschen wie Kinder Gottes in der Hutschachtel, mit unserer Naivität, diese Dinge verstehen zu wollen.“ Ein lustiger Satz, der sein modisches Erscheinungsbild tatsächlich fast vergessen macht. Die Mullahs seien im Übrigen „fromme Klosterbrüder, aber von der härtesten Sorte“, da verscherzt es sich Hacke wohl gleich mal mit der ARD-schauenden katholischen Christenheit oder wer sich noch mit den braven deutschen Kuttenträgern der Gegenwart verbunden fühlt.
Dann ernster: Die Amerikaner würden traditionell schon seit Jahrzehnten Mut machen zum Regimewechsel und damit wie bereits 1956 in Ungarn, wo man schon „falsche Hoffnung“ verbreitet und die Ungarn damit noch mehr ins Unglück getrieben hätte. Für den Politikwissenschaftler kann es deshalb nur eine vorsichtige abgewogene Interessenpolitik gegenüber dem Iran geben. Aber ob das jene Iraner zufriedenstellt, die einen Regimewechsel, nein, die einen Sturz des Regimes herbeisehnen, weil sie keine Luft mehr zum Atmen haben? Wieviele Iraner leben mittlerweile im Exil? Sicher doch deutlich mehr als noch zu Zeiten des von den USA protegierten Schahs von Persien. Für Hacke ist das drohende Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump der wahre Grund für dessen „Haudrauf-Politik.“
Schon relativ schnell wird klar, wer hier am Tisch mit weitem Abstand die höchste Kompetenz zum Thema mitbringt, wenn Golineh Atai immer wieder konkret wird und aus ihrem persönlichen Kreis im Iran berichtet, zu dem sie Kontakt hält, wenn sie beispielsweise erwähnt, dass sich viele Iraner längst fragen würden, wie sich eigentlich Europa positioniert.
Dann lässt Jürgen Trittin mal schnell Druck vom Kessel und nennt den Drohnen-Mord gegen den iranischen Militär Qasem Soleimani eine „automatisierte Hightech-Lynchjustiz“, die wir nicht akzeptieren dürften, die führe zu einer völligen Verrohung der internationalen Beziehungen, der Ermordete hätte doch eigentlich „vor einen internationalen Strafgerichtshof“ gehört. Trittin dreht maximal auf: Der Mord sei „ein Verstoß gegen das Völkerecht und gegen allgemeine Menschenrechte.“ Anhaltenden Applaus gibt es dafür vom deutschen Studio-Publikum.
Die US-amerikanische Journalistin Melinda Crane ist ganz bei Trittin, für sie hält sich die USA als stärkste Nation der Welt sehr häufig nicht an internationales Völkerrecht. Plasberg erinnert daran, dass auch Obama mit Drohnen diverse Terrorfürsten liquidiert hätte. „Stil und effektiv“. Röttgen ergänzt: „Und über Jahre als gängige Staatspraxis“.
Professor Hacke setzt fast schon erwartungsgemäß noch einen drauf und spricht von „Zivilisations- und Kulturbruch“, den die Amerikaner da unter Trump mit ihrem Drohnenmord begangen hätten: „Ein Offenbarungseid, dass man politisch am Ende ist.“
Es würde einsam um Herrn Röttgen, stellt Frank Plasberg da fest. Nun gut, sicher eine Einsamkeit, die manch ein Zuschauer gerne teilt mit dem Unionspolitiker. Und leider kann man jetzt nicht die Mütter jubeln hören, deren Söhne nicht einem Terroranschlag zum Opfer fielen, weil diese Drohne denjenigen tötete, der den Tod für andere im Gepäck trug.
Die gut aufgelegte Golineh Atai findet auch hier am intelligentesten die Lücke, wenn dieser Liquidierung per Drohne für sie genau jene Werte delegitimieren würde, für welche die USA stehen. Sie erinnert aber auch an das große Netzwerk der Revolutionsgarden und die enorme Machtfülle Qasem Soleimanis.
Professor Hacke versucht erneut mit einer lauten These mit eigenem Taktstock gegenzuhalten, indem er den Amerikanern die Rolle der Destabilisierung in der Region unter der „Wahnidee einer Demokratisierung“ zuspricht. Und was das Atomabkommen anginge, sei er, was seine Haltung angehe, ein bisschen „zwischen Baum und Borke“. Er hätte sich „schlau gemacht“ und festgestellt, dass das Abkommen gar nicht verhindern könne, dass der Iran Atombomben bauen könne. Plasberg erwidert, man sei weit davon entfernt zu klären, ob richtig sei, was Professor Hacke sagt. Bemerkenswerterweise hält er hier nicht einmal den Faktencheck noch für geeignet.
Ein eingeblendeter Online-Kommentar zur Sendung erinnert daran, dass nicht etwa die Aufkündigung des Atomabkommens am Anfang der Verwerfungen stand, sondern das Bestreben des Iran, eigene Atomwaffen zu besitzen.
Aber was soll man nun von so einer Sendung halten, die über weite Strecken vom Bestreben der Beteiligten getragen wird, mehr oder weniger gelungen zu suggerieren, irgendeinen Durchblick zu haben. Hier kann man dem erstaunlich nervösen Erklärungsversuchen Norbert Röttgens für die Tötung des iranischen Militärs fast schon etwas abgewinnen, spiegelt der Beitrag des Christdemokraten doch auf ideale Weise die Verstörtheit und Uneinigkeit der Europäer in der Iran-Frage.
Man mag sich kaum vorstellen, wie diese Sendung abgelaufen wäre ohne Golineh Atai, die Frank Plasberg zweifellos den doch sehr wuchtigen Jahresauftaktsendung gerettet hat. Der letzte Satz soll auch deshalb der gebürtigen Iranerin gehören, die sich ein größeres und vor allem auch klareres Engagement der EU wünscht, das jedenfalls sei, was die Menschen im Iran beschäftigt, wenn dort von Europa die Rede ist. Aber wo ist eine solche EU?