Tichys Einblick
Bei hart aber fair

Lauterbach: Das war erst der „Beginn der Pandemie“

Lauterbach mahnt! Lauterbach warnt! Lauterbach alarmiert! Für was würde man ihn sonst in der Politik auch brauchen? Doch das nimmt man höchstens noch in Deutschland ernst. Der Rest öffnet gerade oder hat es schon.

Screenshot ARD: hart aber fair

Bei „Hart aber Fair“ geht es endlich wieder um Corona. Ganze zwei mal mussten wir zuletzt ohne Virustalkrunde auskommen – da muss dieses mal aber richtig dick aufgetragen werden. „Der Sommer wird gut: Aber gilt das schon für alle?“ Frank Plasberg spricht mit seinen Gästen darüber, wie viel „Normalität” der Sommer für uns bereithalten wird. Mit dabei sind fast nur Frauen: Restaurantbesitzerin Cornelia Poletto, die ARD-Spanienkorrespondentin Natalia Bachmayer, die Zeit-Journalistin Anna Mayr, die Chefin des europäischen Ethikrates Christiane Woopen und Ute Dallmeyer vom „Deutschen Reiseverband“ sorgen für eine weiblich dominierte Sendung.

Doch einer verhindert die totale Frauenqoute an diesem Abend: Karl Lauterbach. Dass seine Panikmache neulich erst wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel – geschenkt, im ÖRR findet er trotzdem nach wie vor Platz. Selbst er, von Plasberg vorsichtig als „Mahner“ beschrieben, spricht optimistisch, wenn auch nur im Konjunktiv. Aber ja, selbst Lauterbach sagt, der Sommer könnte gut werden – wenn wir nicht unvorsichtig werden.

Heft 06-2021
Tichys Einblick 06-2021: Vollgas in den Klima-Lockdown
Natürlich fängt er diesen unverantwortlichen Anfall von Optimismus direkt wieder ein, denn in der Erzählwelt von Karl Lauterbach stehen wir ja quasi immer kurz vor sogennnten Bergamo-Verhältnissen. Der Optimismus gelte wenn überhaupt für Deutschland:„Wenn man die ganze Welt betrachtet, dann ist gerade der Beginn der Pandemie überwunden!“ Nein, natürlich sitzt uns das Virus nach wie vor im Nacken und Infektionsgaue stehen uns bevor: Die überstürzte Öffnung fange jetzt an, proklamiert der mediengemacht Pandemie-Papst der von Medizin ungefähr so viel versteht wie Annalena Baerbock von Juristerei und Völkerrecht. Gefahr drohe uns jetzt konkret auch durch die „indische Variante“, die wir uns „über England nach Deutschland“ einschleppen könnten. Er kündigt sogar die vierte Welle an!

Die Zusammenhänge wirken zunehmend wirrer und konstruierter, aber Lauterbach braucht das Warnen wie Fische das Wasser – einen entwarnenden Lauterbach würde vermutlich auch keiner mehr einladen. Zu seinen berühmten Fehlprognosen wird er nicht befragt werden. Das versäumt der unkritische Plasberg leider auch. Lauterbach bekommt stattdessen Gelegenheit zur Selbstinszenierung: Ihm gehe es nicht darum, wiedergewählt zu werden, meint Lauterbach mit Blick auf sein zu verteidigendes Direktmandat. Stattdessen wolle er einfach nur das Richtige tun – nach bestem Wissen und Gewissen. Aber den edlen Ritter im Kampf für die virologische Wahrheit kann man ihm einfach nicht abkaufen. Er warnt vergeblich weiter, muss er doch mit dem Ende der Pandemie auch das Ende seiner politischen Relevanz befürchten.

Auch Anna Mayr plädiert nach wie vor für strikte Maßnahmen. Die Zeit-Haptstadtjournalistin hat schon einen Impftermin – der Berliner Prio-Plan kategorisiert Journalisten in Gruppe drei. Das mache virologisch gesehen keinen Sinn, räumt sie ein – es sei eine politische Entscheidung. Doch auch als bald Geimpfte will sie Grundrechte für alle. Sie sieht einen Generationenkonflikt, beschreibt eine nahe Dystopie, in der Alte und Ältere ein Leben in Freiheit genießen und die Jugend draußen – beziehungsweise drinnen – bleiben muss. Auch die aktuelle Debatte drehe sich zu sehr um Dinge wie Urlaub und gehe vorbei an dem, „was die Bevölkerung sich eigentlich wünscht“. Themen wie Schulen und Impfstoffversorgung sollten eigentlich die Debatte bestimmen. Leider argumentiert auch Mayr dann nur mit dem Ziel der Niedriginzidenz, also NoCovid-Strategien.

„Das Biest tobt sich aus, wie es will, deshalb können wir ruhig feiern“

Auch Medizinethikerin Christiane Woopen macht sich Gedanken um „Impfgerechtigkeit“. Die Priorisierung solle beibehalten werden, plädiert EU-Europas oberste Ethikerin: Sie spricht sich für ein „Säulenmodell“ aus. Neben der weiterlaufenden Impfklassifizierung sollten die Haus-, Betriebs- und Privatärzte stärker einbezogen werden und geeignete Patienten impfen. Mit „Impfmobilen“ solle man auch in sozial prekäre Viertel vordringen. Außerdem müsse die junge Generation jetzt geimpft werden, damit Schule, Studium und Ausbildung nach dem Sommer wieder möglich sind. „Wenn es im Juni viel mehr Impfstoff gibt, wird das natürlich einfacher“ – doch bereits jetzt reiche der Impfstoff aus.

Spannend wird die Sendung durch den Bericht von ARD-Journalistin Natalia Bachmayer. Die Leiterin des ARD-Studios in Madrid erzählt wie aus einer anderen Welt: „Mehr Spanien wagen!“ Ist der Appell. In Spanien herrsche Solidarität zwischen den Generationen. Debatten über Tests und Impfen fänden in Spanien „überhaupt nicht statt“. „Gibts bei uns nicht – Hauptsache Oma ist in Sicherheit“.

Doch die Spanier würden auch mit der Pandemie entspannter umgehen, erzählt Bachmayer. Die Schulen seien seit September durchgehend geöffnet gewesen, genauso wie Cafés, Restaurants und Geschäfte. Junge Leute treffen sich sogar wieder zum Feiern. Eine besondere Auswirkung auf den Pandemieverlauf habe dies nicht gehabt, zumindest blieb die Katastrophe aus. „Das Biest tobt sich aus, wie es will, deshalb können wir ruhig feiern“ – das sei die Einstellung vieler junger Spanier. Trotz all dieser Liberalität muss die Journalistin einräumen: Die Infektionszahlen in Madrid sinken. „Es geht runter, ohne dass irgendwelche strengeren Maßnahmen getroffen worden wären“ – erklären kann Bachmayer sich das nicht wirklich. Auch Lauterbach ist mit dieser Realität konfrontiert und gibt zähneknirschend zu, dass die Zahlen auch dort sänken, wo man sich „unvernünftig“ verhält.

Aus der Parallelgesellschaft
Bei Anne Will journalistischer Totalausfall
Restaurantbesitzerin Cornelia Poletto wünscht sich eine schnelle Öffnung der Gastrobetriebe. „Die Restaurantbetreiber haben große Disziplin bewiesen. Wir haben ein Jahr lang alles getan, mit Sicherheitskonzepten“, sagte sie. An Lauterbach gewandt fragte sie direkt: „Warum können wir die Öffnung nicht zulassen?“

„Es wird ja auch bald so sein, dass wir die Restaurants für die Innenbereiche öffnen“, antwortet dieser: Für Geimpfte, Genesene und Getestete. Ein Antigentest sei aber nicht gut genug, um infektiöse Menschen sicher zu identifizieren. Das gilt natürlich nicht für Coronazahlen, sondern nur umgekehrt zur Gewährung von Freiheiten. „In 40 Prozent der Fälle wird ein Positiver, Ansteckender nicht erkannt.“ Und dann kommt die Coronakalypse im Restaurant.

Doch die Deutschen planen bereits für die Zeit „nach Corona“. Reisebüroinhaberin Ute Dallmeier legte die Lage auf dem Tourismusmarkt dar: Bereits jetzt würden die Leute Fernreisen für Herbst und Winter buchen. Auch im Sommer drohe anstatt einer Coronawelle eher eine Reisewelle, denn auch die heimische Tourismusbranche komme langsam ans Laufen. Viele würden noch zögern, weil viele Hotels nicht geöffnet hätten, und die Reisemöglichkeiten sind auf wenige Bundesländer beschränkt – doch es gibt sie wieder, die Möglichkeit zum „Rauskommen“.

Was bleibt nach einer Stunde? Der Blick richtet sich doch tatsächlich auf ein „nach Corona“ – allen Lauterbachs zum Trotz kommt sowas wie Öffnungshoffnung auf. Der oberste Pandemiepapst hat einen schweren Stand – seine Nummer zieht nicht mehr, das merkt man zunehmend. Der unerwartet offene Blick nach Spanien unterstreicht das eindeutig: Es hat sich ausgelockdownt.

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