Tichys Einblick
Zum EU-Impftotalschaden

Bei Hart aber Fair: Den Briten hinterher geschimpft

In Plasbergs Talkrunde wird die EU verzweifelt gegen ihr selbstfabriziertes Impfdesaster verteidigt – und gegen abtrünnige Briten, die es wagten, schneller zu impfen.

Screenshot ARD / Hart aber Fair

Man konnte es kaum mehr erwarten: Endlich geht es bei Hart aber Fair mal wieder ums Impfen. Ich könnte jetzt also die Einleitung der letzten Rezension zu Illner oder Hart aber Fair verwenden, ohne dass es auffallen würde. Aber nun ja. Plasberg fragt heute, ob Europa als Krisenmanager tauge.

Und der Moderator geht direkt mit einer besonders passenden Einleitung an den Start: „Es ist so ein bisschen so, als müsste man seinen Kindern erklären: Weihnachten wird verschoben, und dann: Ostern wird verschoben, und dann vielleicht Pfingsten, und dann kommt der Sommer, aber freu dich nicht zu früh (…) kann man es da verdenken, wenn das Kind irgendwann zornig wird und fragt, wer daran schuld ist?“ Der lockdown-müde Bürger als wütendes Kleinkind – womöglich hat Plasberg hier tatsächlich erfasst, wie die Regierenden auf die Regierten schauen.

Rolf-Dieter Krause, der 15 Jahre lang ARD-Korrespondent in Brüssel war, antwortet noch in der Einleitung mit „Nein, die EU kann keine Krise“. Doch selbstverständlich sind auch die leidenschaftlichen EU-Verteidiger geladen: Eine von Ihnen ist Linn Selle, Präsidentin der „Europäischen Bewegung Deutschlands“. Sie analysiert das Impfdebakel schonungslos. Ihre Folgerung: Problem war eigentlich nur, dass die EU zu wenige Kompetenzen hatte – und dass die Mitgliedsstaaten auch noch mitreden wollten. „Wir werden gemeinsam aus dieser Krise herauskommen“, betet Selle dem Zuschauer vor – vielleicht auch sich selbst, um den eigenen Glauben nicht zu verlieren. Unterstützt wird sie an diesem Abend von Daniel Caspary, dem Chef der Unionsabgeordneten im Europaparlament. Auch er befindet, dass Brüssel überhaupt nicht an allem schuld sei und der europäische Einsatz selbstverständlich richtig.

Heft 02-2021
Tichys Einblick 02-2021: 2021 - Endlich wieder leben
Da stört natürlich der folgende Einspieler, der die Lage in der EU mit der in Großbritannien vergleicht. Dort sind bekanntlich deutlich mehr Menschen geimpft. Doch den Erfolg will Caspary den Brexit-Briten nicht zugestehen: „Ich glaube nicht, dass es etwas [mit dem EU-Austritt] zu tun hat“. Geschwindigkeit sei überhaupt nicht alles. Und selbst, wenn die Briten bald alle geimpft sein sollten, sei das auch egal – dann könnten die Insulaner trotzdem nicht reisen. Man muss das Verstehen: Reisen ist wohl das, was in der Lebenswelt eines EU-Parlamentariers ganz oben auf der Bedürfnisliste steht – nicht die Öffnung des eigenen Ladens oder das Ende sozialer Isolation, nein, ohne Reisen ist alles nichts.

Dennoch muss auch Caspary einräumen: „Die EU ist damit institutionell überfordert“. Warum er dann nicht genau davor gewarnt hätte, fragt Plasberg. „Nein“, windet sich Caspary: Der gemeinsame Einkauf sei trotzdem eine gute Idee gewesen. Wenn sich alle die Arme beieinander einhaken, fallen auch alle gleichsam aufs Gesicht – so sieht wohl europäische Solidarität aus.

Wem der CDU-MEP einen möglichen Sturz aber ganz besonders wünscht, wird schnell wieder ersichtlich: Den Briten. Von der Insel hat man sich diesmal sogar eine waschechte Talkshow-Dissidentin eingeladen: Gisela Stewart, geboren in Bayern, heute Mitglied des britischen Oberhauses und lautstarke Brexit-Befürworterin. Sie hat am Tag nach der Sendung um 8:15 Uhr ihren Impftermin, erzählt sie. „Und wann kommt die zweite Impfung?“, wirft Caspary daraufhin im bissigen Stil einer eifersüchtigen Ex-Freundin ein – er hält es für eine gute Idee, im Glashaus mit Steinen zu werfen. Doch Stewart bleibt cool und bittet höflich um eine „rationale Diskussion“. Fakt sei einfach: Für eine Bürokratie wie die EU war das eine unmögliche Herausforderung. Man müsse sich ohne Spott die Gründe dafür anschauen. „Die Tatsache besteht, dass wir neue Impfstoffe entwickeln mussten. Das hat die Pharmaindustrie, ohne die Beschränkungen der EU, viel schneller gemacht!“

Man hätte die Debatte mit einer Schlagzeile des britischen Boulevards abkürzen können: Thank God We Left!

Dying Together

Sehr deutlich wird auch Jan Fleischhauer. Der Focus-Kolumnist folgt auf Gisela Stewart. Briten und Amerikaner hätten pro Kopf fünfmal so viel für den Impfstoff ausgegeben wie die EU – Brüssel habe „an der dümmsten Stelle gespart“. Gleichzeitig, so Fleischhauer, koste der Fünf-Wochen-Verzug beim Lockdown in Europa allein in Deutschland acht Milliarden Euro. Brüssel sei auch „wahnsinnig überrascht“, dass Briten und Amerikaner ihren selbst produzierten Impfstoff bei sich behalten. In der EU produzierten nur zwei Werke Impfstoff – die EU habe das in multilateraler Naivität verschlafen. EU-Cheerleader Linn Selle grätscht dort direkt rein und behauptet, in Wirklichkeit werde 80 Prozent des Corona-Impfstoffes in der EU produziert. Eine Zahl, die auch Plasberg kritisch zu sehen scheint. Ganz stolz erklärt sie daran anschließend, Europa exportiere „seine Impfstoffe in die Welt“ – und das ist anscheinend, trotz lachhafter Impfquoten, etwas gutes. Doch die MS Euranic läuft auf, dafür braucht es nicht mal mehr die Royal Navy.

CDU-Landrat Stephan Püsch ist auch da. Seine bekannte Aussage, jeder Landwirt in seinem Kreis hätte das mit den Impfstoffen besser verhandelt, wird eingespielt. Püsch als kommunaler Verantwortungsträger beklagt die EU- und Bundesbürokratie bei gleichzeitig andauernder Schönrederei. Darauf kontert sein Parteifreund Caspary dann genau mit eben solcher.

Weil das nicht so richtig läuft, lautet die neue Devise offensichtlich, die anderen schlecht zu reden. Wegen „Impf-Nationalismus“ wie bei den bösen USA. Oder man haut einfach nochmal auf die Briten drauf: Jetzt wird erstmal über den Brexit geredet. Da wegen ihm ja bald die britische Wirtschaftskatastrophe komme, seien ja auch deren Impferfolge irrelevant, befindet Krause. „Es gibt keinen Grund, die Briten zu beneiden.“

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Doch diese Nebelkerze hilft dem EU-Cheerleader Caspary auch nicht. Kurz darauf hängt er nach einem angedeuteten Nachbohren Plasberg schon in den Seilen. In Deutschland wurde, so der MEP, eine Erwartungshaltung aufgebaut, alle wären „in vier Wochen“ durchgeimpft. Plasberg fragt daraufhin, wer die denn aufgebaut hätte – „so blöd, glaub ich, war keiner, der in der Schule bei Mathe ein bisschen aufgepasst hat.“ Caspary kann darauf nicht antworten. „Was ist denn dann der Kritikpunkt“ an der EU? Das versteht Caspary wirklich gar nicht. „Ist das Argument nicht ein bisschen…“ beginnt Plasberg, leitet dann jedoch an andere Showgäste weiter.

Wenig später dreht sich der Wind plötzlich komplett: Zum Ende der Sendung wagt „Hart aber Fair“ den Blick über die Grenzen. In vielen unserer Nachbarländer läuft Corona-Politik völlig anders: Weniger Einschränkungen. Da ist es dann vorbei mit dem europäischen Geist. Lockerungen seien „unverantwortlich“, meint Caspary. Wichtig sei ein einheitlicher Ansatz in der Pandemiebekämpfung – damit ist natürlich gemeint, dass der Rest der Union gefälligst hinter Deutschland beim Marsch in den Dauerlockdown ins Glied zu fallen hat. In dem Zusammenhang kann es sich auch Fleischhauer nicht verkneifen, die deutsche Corona-Politik aufs Korn zu nehmen: „Zerocovid“ mache in einem Europa der offenen Grenzen gar keinen Sinn, konstatiert er. Die Antwort der Verantwortlichen? Deutschland solle als leuchtendes Beispiel dienen. Genauso wie schon in der Energiepolitik und der Flüchtlingskrise – Deutschland schlägt den extremen Weg ein und erwartet dann europaweite Gefolgschaft – und wer nicht mitmacht, ist nationaler Alleingänger.

Positiv auffällig wird zum Ende hin nochmal Rolf-Dieter Krause. Der führt mehrere Studien, zum Beispiel eine der Universität Stanford an, um Lockdowns und die Corona-Strategie der „einseitig beratenen“ Kanzlerin in Frage zu stellen. Doch bevor dieser plötzliche Dissens-Ausbruch zu sehr eskaliert, leitet Plasberg eiligst wieder zurück zur Fragestellung. Aber der bald folgende Jan Fleischhauer lässt sich von Plasberg nicht an die Leine nehmen. Casparys Behauptung, Deutschland hätte falsche Erwartungen zum Impfen geweckt, dreht er kurzerhand um – es sei doch die EU-Kommissionspräsidentin gewesen, die in pathetischen Reden den Impfstoff als Moment des europäischen Sieges beschworen hatte. „Stronger together? Nein, dying together“ sei wohl das Brüsseler Motto, giftet Fleischhauer.

Um das Desaster einer kritischen Debatte jetzt endgültig abzuwenden, wechselt Plasberg kurz vor Schluss einfach das Thema – jetzt diskutiert man plötzlich die Kommissionsbildung im Jahr 2019, kaut vom verratenen Spitzenkandidatenprinzip der Europawahl bis zur Ernennung von der Leyens nochmal längst Gegessenes durch. „Hart aber Fair“ kapituliert vor dem selbst gesetzten Thema.

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