Tichys Einblick
Die Entscheider bleiben der Diskussion fern

Hart aber Fair: Frieden schaffen ohne Waffen?

Soll Deutschland weiter Waffen an die Ukraine liefern? Das ist die Frage des Abends. Sie wird diskutiert von einer Politikerin ohne Mandat und einer, die keinen Einfluss hat. Trauen sich deutsche Spitzenpolitiker und gesellschaftliche Prominenz nicht mehr in solche Formate?

In diesem Monat jährt sich der zweite Angriff auf die Ukraine. Es lohnt zu erwähnen, dass es der zweite ist: Schließlich hatte Russland vor bald neun Jahren schon die Krim besetzt. In der ARD macht man deswegen einen Ukraine-Themenabend. Auf eine Dokumentation mit erschütternden Bildern aus den bombardierten Städten der Ukraine folgt der Talk.

Einen Vertreter der Regierung konnte man nicht ins Studio zu Hart aber Fair locken. Daher muss Katharina Barley herhalten. Sie ist schließlich Teil der Kanzler-Partei, vergisst aber: Sie ist weder eine gewählte Vertreterin der Regierung, noch des Bundestags. Stattdessen ist sie Abgeordnete im EU-Parlament und dort eine von vierzehn Vizepräsidentinnen. Trotzdem schmückt sie sich mit dem „wir“, als sie über die Politik von Scholz redet und erläutert die Positionen der Bundesregierung. Aber so ist das mit den Parteien in Deutschland: die Legislative (Parlament) fühlt sich auch gerne mal als Teil der Exekutive (Regierung). Gewaltenteilung existiert nur formal.

Die Opposition ist minimal vertreten

Geschenkt. Die Opposition wird in dieser Runde durch Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linken vertreten. Nun ist die Linke die kleinste Fraktion im Bundestag. Ob ihr Fraktionsstatus legal ist, kann aufgrund der Manipulationen und Fehler der Bundestagswahl in Berlin bezweifelt werden. Die Linke ist die am wenigsten relevante Partei des Bundestages.

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Die beiden Politikerinnen sind das Zentrum dieser Diskussion. An ihnen entlädt sich die Spannung, die auch in der Bevölkerung besteht: Sollen Waffen an die Ukraine geliefert werden?

Barley findet ja. Man muss der Ukraine Waffen liefern. Die Ukraine hat ein Recht, sich zu verteidigen, und „Der Westen“ darf Waffen liefern. Auch Panzer, Jets und anderes Material, alles außer Soldaten und Atombomben ist für sie erlaubt und geboten. Wie sonst soll man Putin Einhalt gebieten?

Diese Frage zu entscheiden ist das zentrale Element der Sendung. Doch man muss sich immer wieder vor Augen führen: Barley hat keine Waffen, die sie geben kann. Sie ist über eine bundesweite Liste der SPD in das EU-Parlament eingezogen. Ihr Mandat erstreckt sich auf Themen, die die Bundesbürger dem EU-Parlament übertragen haben. Dazu gehören die optimale Krümmung von Gurken, die Saugkraft von Staubsaugern und Diesel-Abgasnormen. In diesen Themen richtet die EU schon genügend Schaden an. Waffenlieferungen an die Ukraine gehören schon deswegen nicht zu ihrem Mandat, weil das EU-Parlament nicht die Außenpolitik Deutschlands oder die Bundeswehr kontrolliert.

Ali hingegen sitzt immerhin als Abgeordnete im Bundestag. Sie will keine Waffen in die Ukraine liefern. Sie beruft sich auf den Grundsatz „Keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete“, den Barley und die SPD in der Vergangenheit vorschoben, um Waffenlieferungen zu verhindern. Zum Beispiel um die Lieferung von Waffen an die mexikanische Polizei zu verhindern, die im Kampf gegen die Drogenkartelle eingesetzt werden sollten. Den Aufruf zum Waffenstillstand von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht will Ali unterschrieben haben. Sie fürchtet eine Eskalation, Atomwaffen als ultimative Reaktion auf Waffenlieferungen. Und die Angst vor einem nuklearen Schlagabtausch muss uns beunruhigen. Atomwaffen sind erschütternd bedrohlich. Doch Ali kann ein Problem auch nicht auflösen: Wenn die Ukraine morgen zu kämpfen aufhört, was dann? Dann stehen immer noch russische Truppen auf ukrainischem Boden. Wenn der Ukraine morgen keine Munition, Panzer und Kriegsgüter mehr geliefert werden, dann ist der Krieg schnell zu Ende. Aber es hat der Aggressor gesiegt. Mit Verlierern verhandelt der nicht, sondern diktiert.

Findet Diplomatie überhaupt statt?

Ali fordert weniger Waffen und mehr Verhandlungen. Wenn man Barley glauben will, finden diese im Hinterzimmer immer wieder statt, sollen „aber nicht auf dem Jahrmarkt besprochen werden“. Könnte man verstehen, wenn Verschwiegenheit nicht auch so eine bequeme Ausrede wäre, um Unterlassenes zu kaschieren.
Die anderen Gäste in der Sendung können nicht glänzen. Drei Sach-Experten in einer Sendung sind zwei zu viel. Vassili Golod ist ARD-Korrespondent in der Ukraine und filmte die Dokumentation, die dem Talk vorangestellt war. Er schildert glaubhaft die ukrainische Perspektive, lässt sich mit Ali trotz seiner eigenen, klaren Position auf eine sachliche Diskussion ein; er versucht sie von seiner Pro-Waffenlieferungssicht zu überzeugen, nicht nur seine Argumente vorzutragen. Bedrückend seine Aussage: die Luftschutzsirenen in Kiew sind für ihn nur das zweitschlimmste Geräusch der Welt. „Schlimmer sind nur die Raketeneischläge“.

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Der ehemalige General Hans-Lothar Domröse ist wohl für seine militärische Expertise eingeladen. Doch die ist wenig gefragt; die Sendung dreht sich um die politischen Aspekte des Krieges. Gesine Dornblüth war einmal die Korrespondentin des Deutschlandradios in Moskau. Ihr fällt die Rolle der Russlanderklärerin zu – diese wird durch die Liveschalte zur aktuellen Moskaukorrespondentin, Ina Ruck, besser ausgefüllt.

Ohne Andrij Melnyk kommt natürlich keine Ukraine-Sendung aus. Er darf in einer Videoschalte die Fragen Klamroths beantworten. Er fordert mehr Waffen – erwartet – und kommt ganz ohne Polemik durch die Sendung – unerwartet. Weiter überrascht, dass er sogar die großen Hilfen der Bundesregierung lobt. Wo andere Panzer forderten und nicht liefern, sperrte Scholz und liefert nun doch.

Abschließend bleibt die Beobachtung: Die Lager im politischen Ukrainekonflikt in Deutschland haben sich verfestigt. So kann aber nicht diskutiert werden. Wenn die einen nur noch „Kriegstreiber“ und die anderen nur noch „Lumpenpazifisten“ sehen können, kommen solche Diskussionen wie an diesem Abend zustande. Wo zwei diskutieren, die eigentlich nichts zu sagen haben, wenn die Wichtigen sich nicht in dieser Schlammschlacht zeigen wollen. In einem Land, in dem politische Diskussion eigentlich ausschließlich in Talkshows stattfindet, ein katastrophaler Zustand.

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