Tichys Einblick
Schneemangel-Frage in der Schneewoche

Hart aber Fair: Ein Drahtseilakt voller Langeweile

Eine Talkshow zum Thema Schneemangel, in der einen Woche, in der Schnee liegt: Der WDR besticht mit Unoriginalität seiner Themen und Gäste. Einzig Aimée van Baalen konnte überraschen. Denn sie will die Wahldemokratie in Deutschland durch einen Ständerat abschaffen. Und beruft sich auf das allgemeine Widerstandsrecht.

Screenprint ARD

Eine Talkshow zu organisieren, dass ist ein Drahtseilakt. Ein Tanz auf wenig Platz, da unten steht die Menge, die johlt und jubelt – und die Stürze bleiben länger im Gedächtnis als die Kunstfiguren, weil niemand den Absturz erwartet. Aber wenn kein Sturz dabei ist, dann kann eine geschickte Pirouette oder vielleicht ein doppelter Salto doch auch dienen.

Was auf dem Seil nicht sein darf, das ist Langeweile. Die selben Formen, die selben Schritte, die man schon tausend Mal gesehen hat – und ehrlich gesagt, der vorherige Tänzer hat die Schritte besser ausgeführt. Doch diese Sendung von Hart aber Fair war genau das: vorhersehbar.

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Der Titel lautete „Letzte Abfahrt: Wie verändert die Klimakrise Alltag und Leben“. Wer sich über den Titel wundert: Der Aufhänger der Sendung war der mangelnde Schnee in den Alpen, der den Skitourismus vernichtet. Es war ein Themenabend: Vor Hart aber Fair beglückten Profiskifahrer Felix Neureuther und Wetterfrosch Sven Plöger die Zuschauer mit einer Dokumentation zu dem Thema.

Blöd, dass es in der vergangenen Woche in den Alpen kräftig geschneit hat. Kann ja keiner wissen, dass das Weihnachtstauwetter nach Weihnachten irgendwann zu Ende geht. Da hat die ARD schon Pech, dass nun eine echte Winterwoche ist. Aber sowas passiert nun mal. Ein Seiltänzer könnte vielleicht seine Einlage anpassen, wenn der Zirkus eine andere Show macht als ursprünglich geplant. Als Profi hat der Akrobat schließlich verschiedene Stücke eingeübt. Aber die Rundfunkbeamten bei den Öffentlich-rechtlichen klagen stattdessen trotz weißer Pisten über Schneemangel.

Regierungspläne werden nie erfüllt

Die Gäste hätten auch eine andere Diskussion tragen können – die tatsächlich geführte Diskussion war unoriginell. Klimawandel finden alle schlecht und will keiner haben – ok verstanden, könnte wohl jeder so unterschreiben, kommt jetzt ein Messerwerfer? Ach nein, Zirkusdirektor Klamroth möchte jetzt über die mangelnde Klimaziel-Planerfüllung der Bundesregierung reden. Die Politik hat sich selbst ja Ziele gesetzt, auf Verlangen des Bundesverfassungsgerichts hin, wie viel CO2 bestimmte Bereiche Deutschlands weniger ausstoßen müssen. Wird gegen diese Pläne verstoßen, werden die Betriebsleiter erschossen – ach nein, jenes Deutschland ist vor einer Generation an der eigenen Unfähigkeit gescheitert. In diesem Deutschland werden nur ganze Lebensbereiche totreguliert. Die Bürger zum Beispiel wollen einfach nicht auf teure E-Autos, in gefährliche Bahnen (wenn sie denn überhaupt kommen) oder auf unbeheizte Lastenfahrräder umsteigen. Deswegen konnten die „Ziele“ im Bereich Verkehr nicht erreicht werden.

Die Lösung präsentiert Verzichtspfaffe Sven Plöger, der auch manchmal das Wetter beim WDR moderiert. Er will ein Tempolimit auf den Autobahnen. Weil, wer hat sonst alles kein Tempolimit? Afghanistan, Burundi, Myanmar, Nordkorea und ein paar Bundestaaten Indiens zählt er auf. Der Zuschauer ist verwirrt: Schimpft Plöger jetzt die Taliban, weil sie ihren Bürgern – also dem Zehntel, das fahren kann – EINE Freiheit nicht nehmen? Und überhaupt klingt sein Folgeargument, diese Länder hätten ein praktisches Limit, „weil wenn Sie da schneller fahren, bei den Straßen, ist das Auto kaputt“, schon sehr überheblich. Schon fast kolonialistisch. Traut er den Menschen anderer Erdteile nicht zu, Straßen so gut wie die in Deutschland zu bauen? Hierzulande haben wir schließlich stolze 4.000 marode Autobahnbrücken, von denen wichtige nicht befahren werden können.

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Die relevanten Gäste sind schon etwas interessanter. Also ein bisschen. Konstantin Kuhle von der FDP findet, dass der Emissionshandel auf CO2 im Verkehr noch weiter ausgedehnt werden soll. Damit meint er: Mehr Abgaben auf das CO2 im Diesel. Treibstoffpreise sind zwar schon 2/3 Steuern und 1/3 Produktpreis, einschließlich einer CO2-Abgabe von 9,5 Cent pro Liter. Aber Hütchenspieler Staat sagt dir: Ein Einsatz noch, dann findest du die Erbse bestimmt!
Gitta Connemann vertritt die CDU in der Runde. Sie wagt es das böse Wort Atomkraft. Der Weiterbetrieb von drei Meilern – so weit hat man sich schon runterhandeln lassen – würde mehr CO2 einsparen als ein Tempolimit. Das ist Plöger natürlich egal: Das sei nur 3 Prozent der Gesamtenergie, das spiele keine Rolle. Ein mutiges Statement in Zeiten, in denen Bürger aufgerufen werden, ihre Haushaltsgeräte abzustellen, um das Netz zu stabilisieren. Aber Klamroth schreitet schnell ein: Atomkraft ist hier nicht das Thema, bitte wieder Klima und Verzicht diskutieren.

Wie so oft fällt auf: Die CDU-Vertreter können nicht hart formulieren. Statt zu diskutieren, lassen sie sich immer auf Kompromisse ein, wo ein „Nein, nicht mit uns“ es auch tun würde. Aber wie jedes gute Zirkuspferd, muss man als CDUler die Peitsche nicht schnalzen hören, um zu gehorchen. Zu gut sind sie dressiert. Nur auf den Talkshow-Neuzugang trauen sie und Kuhle sich offensiv loszugehen.

Das ist Aimée van Baalen. Sie Sprecherin der „letzten Generation“, die auch als „Klima-Kleber“ bekannt sind. Ihre Einladung sorgte im Vorfeld für eine gewisse Kontroverse: van Baalen war vor ihrem Engagement bei der letzten Generation bei Fridays for Future aktiv – der Gruppe, deren bekannteste Vertreterin, Luisa Neubauer, die Partnerin von Louis Klamroth ist. Eine Ersatz-Luisa, weil die echte nicht in die Sendung eingeladen werden kann? Wenn sie das darstellen sollte, dann hat Klamroth sie nicht geschont.

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Denn van Baalen lehnt das parlamentarische System Deutschlands offen ab. „Demokratie ist nie ausentwickelt“, meint sie und will die parlamentarische Demokratie durch einen ausgelosten Bürgerrat ersetzen. Der Bürgerrat, eine Art moderner Ständerat, soll sich durch Experten beraten lassen und dann verbindliche Entscheidungen treffen, die Parlament und Regierung dann umsetzen müssen. Ihr Argument: Politiker würden sich zu weit von den Interessen der Bürger entfernen. Das ist kein ungewöhnlicher Vorwurf: Er wird an dieser Stelle auch oft genug erhoben. Aber van Baalen stellt ungehemmt die Systemfrage. Die kriminellen Handlungen, die ihre Gruppierung immer wieder vollzieht, begründet sie im Widerstandsrecht der Bürger gegen die Regierung – als wäre die BRD eine Diktatur.

Dafür erntet sie massiven Gegenwind von Kuhle und Connemann und eine halbherzige Distanzierung von Plöger, der die Wahldemokratie dann doch nicht abschaffen möchte. Klamroth zieht van Baalen nicht aus der Schusslinie: Im Gegenteil, die Extremistin versucht, die Aktionen der letzten Generation damit zu rechtfertigen, dass 80 Prozent der Bevölkerung vorgeben, sich mehr Klimaschutz zu wünschen – doch jedes Mal, wenn sie das versucht, kontert Klamroth damit, dass noch weit mehr Bürger die Aktionen der letzten Generation ablehnen. Die Forderungen der letzten Generation zieht er ins Lächerliche: „Sie bauen da ein apokalyptisches Szenario auf und sie wollen ein läppisches Tempolimit, ein billiges Zugticket [9-Euro-Ticket] und einen runden Tisch, der die Regierung berät?“, will wer von ihr wissen.

Der letzte Gast der Sendung war Ex-CDU-Politikerin Hildegard Müller. Sie ist Präsidentin des Verbandes Automobilindustrie (VDA). In ihr zeigt sich die fehlende Ambition der Talkshowmacher. Denn: Mit ihr, Kuhle, Connemann und sogar van Baalen hätte die Sendung die Gäste für eine interessante Wirtschafsdiskussion gehabt. Statt Nie-wieder-Skifahren hätte man fragen können: Nie wieder Maschinenbau? Müller ist aber ein dressierter Tiger, die auf dem Seil tanzt wie von ihr erwartet. Die deutsche Industrie verlässt das Land: Linde ist ganz weg, BASF verlegt die Produktion, Ford schließt Werke, sogar Biontech forscht bald in England statt Deutschland. Zu hoch sind die Energiekosten, die Planungshürden. Diese Dinge müssen gesenkt werden, damit deutsche Anbieter günstige E-Autos bauen könnten, so Müllers Argument. Tatsächlich ist die Frage nicht, ob günstige Autos in Deutschland gebaut werden können, sondern ob überhaupt Autos hier produziert werden können. Aber diese Frage wagt Müller nicht in den Raum zu stellen, zu abhängig ist die deutsche Industrie von den Subventionsleckerlis der Regierung. Und so steigt sie auf das Hochseil – und langweilt, wie die anderen Gäste auch.

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