Tichys Einblick
Lügen sind Lügen

hart aber fair: Die Mär vom grünen Entgegenkommen

Bei Frank Plasberg wurde zweifelsfrei geklärt, dass die Grünen alles andere als maximal auf die potentiellen Koalitionspartner in den Sondierungsgesprächen zugegangen sind. Das Gegenteil ist der Fall.

Anne Will hatte das Pech, dass sich Christian Lindner mit seinem nächtlichen Abgang nicht an ihrem Sendeplatz am Sonntag um 21:45 Uhr orientiert hat. So kann nun Frank Plasberg mit hart aber fair der erste sein, der das Thema größer spielen darf. Hoffentlich ist ihm klar, welche Verantwortung das mit sich bringt.

Denn schon seit den frühen Morgenstunden gefallen sich die versammelten Leitmedien in einem Taumel der Enttäuschung, Entrüstung, des Selbstmitleids. Allen voran der Hamburger Spiegel, der Lindner-Bashings ausschnaubt im Stundentakt: Lindner ist der Buhmann, die Grünen sind „vorerst fein raus.“. Eine Schnellumfrage will wissen: Die Mehrheit der Menschen da draußen sehe die FDP-Entscheidung kritisch. Dass das bei nahezu jeder politischen Entscheidung von Kleinparteien so ist, ganz gleich ob Linke, Grüne, AfD oder FDP, interessiert beim Spiegel in dem Moment freilich niemand. (32,5% sagen bei Civey, das würde der FDP eher schaden, da kann sich Lindner zurücklehnen, denn dann meinen 67,5%, es nützt ihm eher.)

Dass die Verhandlungen allerdings auch deshalb gescheitert sein könnten, weil die Grünen eben NICHT die Bescheidenheit an den Tag legten, die dem kleinsten Jamaika-Partner automatisch zukommt, will von den Medien niemand wissen. Warum aber ging Jamaika tatsächlich so krachend schief? Weil hart aber fair?

Frank Plasberg darf dazu den Talkshow-Kick-off machen. Wird er was daraus machen? Wenn es ihm gelingen sollte, aus der medialen Kakophonie des Tages auszubrechen, kann er sich für viele Monate absetzen von seinen Mitbewerberinnen. Bläst er allerdings heute ins selbe Horn wie die Massenmedien, dann wird das fortschreitende Scheitern dieser TV-Formate in den nächsten Monaten seinen Stempel tragen.

Grünes Tribunal oder Tribunal über die Grünen?

Thema bei hart aber fair: „Die Gescheiterten – Wer kann uns jetzt regieren?“ Geladen sind Paul Ziemiak (Bundesvorsitzender Junge Union), Nicola Beer (FDP, Generalsekretärin), Dorothee Bär (CSU, Parlamentarische Staatssekretärin, Bundesverkehrsministerium), Ralf Stegner (SPD, Stellv. Parteivorsitzender), Robin Alexander (WELT) und Simone Peter (Grüne Bundesvorsitzende).

Ja doch, keine guten Voraussetzungen. Mit Stegner kommt einer, der seit Lindners Abgang via Twitter den Schmutzeinpeitscher gibt. Aber mit Beer und Bär sind zwei dabei, die hoffentlich mehr zu sagen haben, während Robin Alexander als Kanzlerin-Kenner sicherlich erzählen wird, ob Merkel nun zukünftig den starrsinnigen Kohl geben oder doch ihre Siebensachen packen und nach Vorpommern heimkehren wird.

Frank Plasberg, machen Sie was Gutes aus hart aber fair. Nutzen Sie ihre Chance. Und los geht’s mit den drei Masterfragen vom 20. November 2017: Wer ist schuld am Ende von Jamaika? Gibt es jetzt noch Alternativen zu Neuwahlen? Und was wird aus Angela Merkel?

Nicola Beer ist nicht erleichtert, sagt sie, diese vier Wochen waren für sie kein Vergnügen. Eine Vertrauensbasis sei leider nicht entstanden. Plasberg will zunächst klären, wie geplant der FDP-Ausstieg aus Jamaika war. Mini-Tribunal. Parteitaktische Beweggründe sollen jetzt gestanden werden. Klasse, die FDP ist jetzt dort auf der Anklagebank, wo sonst die AfD sitzt. Aber Beer macht ihre Sache gut. Lässt sich nicht beirren.

Neuwahlen-Wahlkampf

Robin Alexander findet das zunächst albern von Plasberg. „Fingerabdruck und Tatort“ sei der falsche Weg, allerdings seien die Grünen wahnsinnig weit auf die FDP zugegangen. Und Simone Peter von den Grünen strickt gleich fleißig mit an der Legende, die Alexander hier willfährig weitererzählt – warum eigentlich? Klar, der Neuwahlen-Wahlkampf hat schon begonnen. Man sei doch der FDP in Bildung, Digitalisierung und Soli entgegengekommen. Warum hat das nicht ausgereicht? Ein Taschenspielertrick der FDP sei der Ausstieg aus den Sondierungen gewesen. Dass die zentrale Frage allerdings die Zuwanderung ist, hat sie immer noch nicht begriffen. Aber die Sendung hat gerade erst angefangen. Vorab gesagt: Es kommt gleich knüppeldick für die Grüne bei hart aber fair.

Berlin ohne Merkel-Mehrheit
Ohne Jamaika kann sich das Land endlich von Lebenslügen befreien
Dorothee Bär kommt mit heiserer Stimme zu Plasberg. Es gab viel zu reden die letzten vier Wochen. Sie war dabei. Der erste Brüller des Abends schon ganz früh und von Bär. Die will wissen von der FDP: „Waren es diese Themen tatsächlich wert an diesem Punkt zu sagen, ich bin dann mal weg?“ Aber nein Frau Bär, möchte man hinüber rufen von der Wohnzimmercouch. Aber nein, es ging doch nur um dieses läppische bisschen Zuwanderung, das wir mit links schultern werden die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Aber es kommt noch besser: die gute Bayerin vergleicht doch tatsächlich die Bundesrepublik mit irgendeiner zerrütteten unbefriedbaren Krisenregion.

„Wir erwarten weltweit in allen Krisengebieten von wirklich schwierigen militanten Parteien, dass sie sich irgendwann mal zusammensetzen um eine Regierung der Einheit zu bilden und wir schaffen es nicht in Deutschland.“

Ist das nicht herrlich? Zum einen konterkariert sie damit, das dass Thema Zuwanderung läppisch sei, zum anderen aber bescheinigt sie der Bundesrepublik mal eben im Vorübergehen, Bananenrepublik zu sein. Klasse.

Paul Ziemiak zieht der Runde gleich mal den Zahn, er möchte das Bashing gegen Herrn Lindner jetzt nicht mitmachen. Nicola Beer bestreitet das Nichtstun ihrer Partei auch gleich vehement. „Nichtstun war die letzten vier Jahre.“ Simone Peter fährt ihr in die Parade. Einmal, mehrmals. Nun aber Ralf Stegner. Was er denn dagegen hätte, wenn sich die FDP ein Beispiel an der SPD nehme, die ja aktuell auch auf ihre Prinzipien pochen würde.

Gute Frage von Plasberg. Erstaunlicherweise zeigt Stegner hier noch nicht seine üblichen Nachtret-Reflexe, er lässt die FDP sogar für den Moment ungeschoren. Betont lieber die seiner Meinung nach hohe Glaubwürdigkeit der SPD. Und klar, sein Thema ist nicht die FDP, er will nach wie vor die AfD bekämpfen, es sei kein Naturgesetz, dass die immer zulegen müssten. Ach so: Die SPD hätte übrigens gute Arbeit geleistet in der letzten Legislatur, nur der Wähler hätte das eben nicht wertgeschätzt.

Einer aus der Jungen Union mit Biss

„Es gibt doch einen Unterschied zwischen der FDP und der SPD, die FDP ist hingegangen und hat gesagt, wir sondieren das jetzt Mal über vier Wochen.“, versucht der Vorsitzende der Jungen Union den Alt-SPDler Stegner aus seiner Selbstgefälligkeit zu locken. „Martin Schulz hingegen sagt: Ich denke als erstes an die SPD. Aber die SPD sollte nicht als erstes an die Partei denken. Sondern an das Land.“ Na, wenn die bei der Jungen Union alle so scharf sind wie dieser Paul Ziemiak, dann braucht sich die CDU um ihren Nachwuchs keine Sorgen zu machen.

Merkels Bonapartismus am Ende
Demokratie-Frühling im November
Ralf Stegner mimimi Taschentuch: „Vier Leute streiten sich hier und der fünfte soll schuld sein, das finde ich aber ein bisschen schräg jetzt.“, jammert er Richtung Ziemiak. „Vier Wochen vom Balkon winken ist ja ganz lustig, aber Frau Merkel ist nicht die Königin, sie ist die Parteivorsitzende der Union.“, rettet sich Stegner noch mal hinüber in den Publikumsapplaus. Bei der SPD gilt nach wie vor: „Erst die Partei dann das Land.“, stichelt nun auch Dorothee Bär Richtung Stegner. Also diese Frau Bär ist jetzt die bessere Nahles, das muss jeder mit ein bisschen Menschenkenntnis und parteiübergreifend eingestehen, auch dann noch, wenn sie eingangs ein bisschen warm laufen musste.

Steinmeiers Mahnung wird eingeblendet. Nebenbei bemerkt: Toll, dass man als Bundespräsident so einen wunderbar pastoralen Hall aufs Mikrofon gelegt bekommt. Robin Alexander weiß, dass sich der Bundespräsident die Aufzeichnungen aus den Sondierungsgesprächen schicken lässt, um genau zu schauen, wer sich da wo nicht bewegt hat. Ein präsidialer Untersuchungsausschuss? Also aus der neutralen Perspektive begutachten, will man grinsend hinzufügen. Aber er hat eben auch das Glück, dass die SPD nicht beteiligt war.

Grüne Trickkiste selbstenttarnt

Alexander wiederholt fälschlicherweise, die Grünen hätten der Obergrenze zugestimmt. Wahrscheinlich der gelungenste Schachzug der Grünen, die sie aus den gescheiterten Sondierungsgesprächen transportieren. Die Presse übernimmt es fraglos. Aber werden die Bürger den Brocken fressen? Nach dieser Sendung vielleicht nicht mehr, aber dazu gleich.

Frau Bär hat sich auf Stegner eingeschossen. Es geht um Neuwahlen und die Frage, mit welchem Kanzlerkandidaten die SPD antreten will: Nö, meint Frau Bär, „Wenn sie keine Verantwortung übernehmen wollen, brauchen Sie auch keine Kanzlerkandidaten mehr.“ Wunderbar. Bär war schon deutlich zaghafter im TV unterwegs. Heute scheint sei einen guten Tag zu haben. Dabei hätte man anfangs annehmen können, dass gerade die CSU bei Plasberg auf die Mütze bekommt. Gute Entscheidung, dass Seehofer schon wieder in Bayern beschäftigt ist und die Parteifreundin geschickt hat.

„Die CSU, das ist doch Volksschauspiel. Volksschauspiel. Volksschauspiel.“ Ja doch, Herr Stegner, alle haben es gehört. „Volksschauspiel“ haben Sie gesagt. Haha.

Interessante Frage von Plasberg: „Wenn sich die Grünen in den Sondierungsgesprächen so auf die anderen zu bewegt hätten, wird das bei Neuwahlen eigentlich alles wieder resettet?“ Simone Peter sagt darauf einen der wichtigsten Sätze des Abends. Entlarvend, selbsterklärend. Also nein, warum sollten wir uns resetten, „wenn sie das Papier genau gelesen hätten …“ Offensichtlich hat das die FDP. Aber die Presse nicht. Weil sie nicht wollte. Peter gibt also unumwunden zu, dass man so schlau formuliert hat, damit die Presse schreibt was sie schreiben soll, aber bewegt hätte man sich natürlich nie wirklich. Sag sie so nicht, aber genau so muss man es hier verstehen. Wunderbare Frage also von Plasberg, hart aber fair. Bär und Plasberg, beide haben einen guten Abend erwischt.

Die grünen Schwätzer

Nicola Beer war vier Wochen dabei. Sie hat den Fauxpas natürlich sofort verstanden: „Das erleben wir so seit vier Wochen!“, informiert sie die Runde sofort. Und dann weiß man es wieder, wenn man schon über fünfzig Jahre alt ist. Das sind diese grünen Schwätzer, die sich selbst am liebsten reden hören. Die alles und nichts bequatschen müssen und wollen, die bei jedem Elternabend nerven, die in der Kirchengemeinde nerven, die in der gemütlichen Runde unter Freunden nerven. Sie haben also auch vier Wochen hinter dem Balkon genervt und gequatscht und genervt und gequatscht. In dem Moment sind wahrscheinlich die meisten Zuschauer Lindner und Beer. Mit dem Mitgefühl der Zuschauer darf man immer rechnen. Dieses grüne Zuquatschen ist Legion, kaum ein Bürger, der davon in den letzten Jahrzehnten unberührt geblieben wäre.

Bewegung ist gut
Die Rückkehr der Politik
Eine interessante Information kommt noch: Simone Peter stellt klar, dass Claudia Roth für die Grünen das Thema Zuwanderung verhandelt hat. Und noch mal redet sie sich um Kopf und Kragen: Nein, es wäre keine Begrenzung der Zuwanderung vereinbart worden. „Eine Begrenzung wird es mit den Grünen nicht geben.“ Also alles falsch, was nachher an Legende mit medialer Unterstützung gestrickt wurde. Nicola Beer kann ihr Glück kaum fassen. Kommt aber nicht zu Wort. Simone Peter redet und redet und redet. Sie merkt wohl gar nicht, was sie da sagt, hart aber fair. Plasberg muss eingreifen: Faktencheck abwarten!

„Das ist nicht der einzige Punkt, der in dieser Art und Weise angeblich geeint war. Für den Soli ist es nicht wahr, es ist nicht wahr für die Energiefrage, es ist nicht wahr für die Reform des Bildungsföderalismus. Mit Verlaub, das ist keine Brücke, über die man als FDP gehen kann, wenn man seine Glaubwürdigkeit behalten will.“, setzt nun Nicola Beer den finalen Schuss. Ach was, eine Salve ist das bei hart aber fair. Simone Peter macht es dann noch schlimmer, wenn sie als einzige Antwort zu sagen weiß: „Rechts überholt die CSU“, rechts überholt!

Aber werden die Medien diese Klärung hier jetzt endlich aufnehmen? Wird man die Falschberichte des Tages gegen Lindner noch revidieren am Folgetag nach Plasberg, hart aber fair? Natürlich nicht. Weil die Presse längst eine politische geworden ist. Weil man der sondierungssedierten Politik diktiert, was sie zu sagen hat, sogar noch rückwirkend über schon Gesagtes!

Grünenpressepropaganda

Plasberg zitiert den Journalisten Heribert Prantl, der in der Süddeutschen Zeitung von einer „Haiderisierung“ Lindners und der FDP geschrieben hätte. Robin Alexander findet das unmöglich und entfernt Lindner wieder aus dem AfD-Fahrwasser, mit dem ihn die Presse den ganzen Tag über begossen hatte.

„Lindner wollte in der Zuwanderungsfrage Rechtsstaatlichkeit. Er wollte Regeln, dass war ihm auch wichtiger, als die Obergrenze. Er hat nicht einmal die xenophoben Obertöne der AfD. Er möchte wieder Regeln einführen. Das ist doch eine Position, die in einem demokratischen Spektrum vorkommen muss. Das ist doch nichts Rechtspopulistisches“. Warum „vorkommen muss“?, möchte man anfügen, diese Regeln sollten doch selbstverständlich für alle Parteien und Institutionen verbindlich sein.

„Der Bundespräsident hat jetzt eine seiner amtlichen Sternstunden, die noch nie ein Bundespräsident vor ihm hatte, er hat endlich politische Entscheidungen zu treffen.“, klärt der Politikwissenschaftler Werner Patzelt die Runde und die Zuschauer auf. Was jetzt kommt, sei eine Chance für die Bundesrepublik. Mehrheiten müssten gefunden werden. Immer wieder. Wechselnde Mehrheiten. Und das sei doch gut.

An ihren Worten sollt ihr sie erkennen
Jamaika: Reaktionen der Enttäuschten
Na dann ist ja alles gut. Gut gemacht Herr Plasberg, hart aber fair. Mindestens deshalb, weil hier zweifelsfrei geklärt wurde, dass die Grünen alles andere als maximal auf die potentiellen Koalitionspartner in den Sondierungsgesprächen zugegangen sind. Das Gegenteil ist der Fall. Und ob man nun Liberaler oder Sozialist oder sonst was ist: Hier darf man Lindners Entscheidung teilen, ohne sich dabei etwas zu vergeben.

Aber halt, dieser aufregende Schlussakkord des Professor Patzelt bei hart aber fair darf nicht unaufgeschrieben bleiben, deshalb in ungekürzter Länge:

„Das einzige, das sicher zu sein scheint, ist Folgendes: Die Positionen der politischen Parteien zur Migrations- und Integrationsthematik – das wird über ihren Sieg oder ihre Niederlage entscheiden. Jene, die sich hier nicht zu einer klaren Position durchringen, sie werden bestraft werden. Jene, die klar für grenzenlose Zuwanderung sind, werden eine Minderheit in Deutschland vertreten und mit wehenden Fahnen untergehen. Und die anderen haben große Chancen zu gewinnen – mit oder ohne Dezimierung der AfD.“

Zuviel versprochen? Was für ein Schlussstatement. Hart aber fair am Tag nach Lindner. Plasberg gehört der Dank des Publikums. Mit dieser Sendung hat er tatsächlich einmal Maßstäbe gesetzt – auch für sein eigenes zukünftiges Auftreten: hart aber fair.

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