Nicht selten agieren öffentlich-rechtliche Talkshows wie diese Räumkommandos der Müllabfuhr, die immer hinter dem Karnevalszug herlaufen müssen. Kaum ist der Drops gelutscht, beginnen die Aufräumarbeiten. Aschermittwochsstimmung könnte man also denken, am Montag bei Frank Plasberg vor allem für die SPD in NRW, für die knapp gescheiterte Linke ebenso, und für alle zusammen auch ein bisschen wegen einer vor den Grünen gelandeten AfD.
Aber der größte Gescheiterte von allen ist der Ex-Bürgermeister von Würselen. Die SPD-Lichtgestalt Martin Schulz winkt den Genossen nach dem NRW-Desaster mit der roten Laterne. Thema der Sendung also: „K.o. nach drei Runden – keine Chance mehr für Schulz?“
Diskutieren soll das u.a. der Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. Der behauptete allen Ernstes noch vor wenigen Wochen, Schulz sei ein kompletter Gegenentwurf zu Angela Merkel. Schulz stehe mit seiner Lebensgeschichte durch und durch für sozialdemokratisches Gedankengut. Und Schulz hätte die große Chance, verloren gegangenes Vertrauen vieler Wähler zurückzugewinnen. Drei fromme Wünsche, so absurd, dass man sie nicht mehr kommentieren mag. Denn die gute Fee aus NRW entpuppte sich als Quotentief, nahm ihre satten Pensionen mit und verschwand auf nimmer Wiedersehen.
Noch dabei Markus Söder (CSU), Ulrich Matthes – Ulrich wer? Ja genau, dieser verknittert-geniale Schauspieler und Direktor der Sektion darstellende Kunst in Berlin. Wird er dieses ängstliche Theater der beiden Volksparteien namens „Bundeswahlkampf gegen die AfD“ erklären können und wollen? Oder was soll hier seine Aufgabe sein? Aber wahrscheinlich nur die Spiegelung seiner SPD-Anhängerschaft. Mal schauen.
Noch dabei, Christine Hoffmann vom Spiegel, der Martin Schulz wochenlang den roten Teppich ausgelegt hat. Und Dieter Bohlen und Sascha Hehn. Nein! Entschuldigung, es ist Hajo Schumacher. Den kennt man einfach und weiß trotzdem nie genau woher. Er ist Spezialist für Biografien. Schrieb schon die von Roland Koch und Klaus Wowereit. Er weiß also vielleicht, wie Politiker ticken. Er wird das Schulzsche Scheitern nicht schönreden müssen wie Thomas Oppermann, aber er könnte als biografischer Tiefseetaucher vielleicht erklären, was da im Hinterstübchen so abgeht. Warum Politiker oft so scheitern.
Los geht’s ohne die sieben Prozent AfD. Das kann man den Zuschauern dann aber nur noch verkaufen, wenn man grün und gelb und dunkelrot auch gleich mit weglässt. Pech also für alle Zwerge.
Plasberg eröffnet in seinem volksnahen Netto-Penny-Ambiente mit der Feststellung, die Wahlen in NRW seien ein Fest für die Demokratie gewesen. Ein Kommentar, satirisch, wie aus der heute show. Das Volk da draußen wird im Einspieler befragt. Einhellige Meinung: DJ Schulz kann gehen. Nix mit roter Polonäse bis zum Morgengrauen.
War NRW nun das Stalingrad für die SPD auf dem Weg zum Bundeswahlsieg? Markus Söder sagt es weniger drastisch, aber es klingt so. Ulrich Matthes allerdings empfand Schulz als Streicheleinheit für die verletzte SPD. Aber dann lief etwas schief, als Hannelore Kraft ihre Wahl ohne Schulz seine Empathie gewinnen wollte. Empathie tut gut, weiß Matthes.
Vorhang auf also für das Postfaktische, für die Personenwahl, für Geraune und Gefühligkeiten. Christine Hoffmann vom Spiegel wundert sich, dass der Goldbarren Schulz verspielt wurde. Sie findet das sogar „unfassbar!“. „Der Goldbarren war ein Souflée“, mischt sich Hajo Schumacher ein. Matthes findet Souflée zu happig. Dafür sei die CDU zu panisch gewesen.
Was debattiert man hier eigentlich? Immerhin war sich die große Koalition einig, als man begann, Deutschland auf eine Weise umzugestalten, wie wohl kaum eine Regierung zuvor. So umzugestalten, dass selbst eine AfD heute mit all ihren Verwerfungen in der Wählergunst noch vor den Grünen liegt, die doch mal der Taktgeber eines ganz anderen, eines multikulturellen, eines nachhaltigen neuen, eines guten Deutschlands sein wollten.
Markus Söder darf – oder soll sogar – hier irgendwas wie den Oppositionellen spielen gegenüber Oppermann. Sonst ist ja keiner da. Selbst Matthes ist SPD. Und die verschulzte Frau vom Spiegel sowieso.
Zwischenbemerkung: HD ist Fortschritt, HD ist aber auch gemein. So dicht muss man nicht an die Gesichter der Herren heranfahren. Manchmal sind weniger Details einfach mehr. Beruhigender. Weniger verstörend bis in die letzte Falte geschaut. Das sollte Frank Plasberg verbal erledigen, wenn er in die letzte Hirnwindung der Gegenüber vordringt, aber noch sind wir allenfalls durch die erste Schicht gedrungen und stoßen auf selbstgefällige Dickschädel.
Matthes soll nun O-Töne von Martin Schulz auf Wahrheit prüfen. Vielleicht knacken wir so die Nussschale, mag Plasberg denken. Schulz spricht von konkreten Entlastungen. Nein, das hat Ulrich Matthes nicht überzeugt. Aber das würde anderen auch passiert, dass nur das Programm abgespielt wird, entschuldigt er Schulz. Eine Lichtgestalt wie jede andere auch?
Schumacher traut Schulz gerade noch so einen Posten als Ministerpräsidenten zu. Frau Hoffmann findet, da ginge doch mehr, wenn er bloß erst seine Europathemen spielen kann. Oppermann findet irgendwie die Behandlung von Schulz via Einspieler gerade unangemessen. Tja, das ist die AfD-Falle, da fand er es bisher immer prima. Aber so ist das, wenn man aus der Kutsche aussteigt und plötzlich echten schmutzigen Boden berührt als immer nur im Samtpantoffel den hochflorigen roten Teppich im Inneren des politischen Systems. Empathie also auch an den Füßen. Politische Pediküre.
Aber nein, da ist niemand, der dem anderen mit irgendeiner Wahrheit weh tun könnte oder weh tun will. Hier werden keine Krallen gestutzt, weil keine ausgefahren werden. Sogar Respekt für die Kanzlerin wird geäußert. Ulrich Matthes schätzt die Kanzlerin, findet sie gut und sympathisch, das würde doch vielen Menschen so gehen.
Ja, das größte Rätsel sind tatsächlich diese umso ängstlicher desto duldsamer, umso satter desto trägeren Menschen da draußen an den Bildschirmen – jedenfalls für die da drinnen hinter ihnen. Wo sind die Unterschiede zwischen CDU- und SPD-Politik? Wer kann es erraten, wer will es umschreiben? Hier die Probleme des Landes, dort die unterschiedlichen Lösungsansätze samt dem verzweifelten Versuch der beiden Volksparteien irgendeine Diversität zu simulieren. Söder contra Oppermann? Könnte man denken, aber da sitzen zwei am selben Esstisch. Wenigstens Ulrich Matthes müsste doch wissen, was Theater ist. Aber warum soll ich plötzlich den Kritiker geben, mag er denken.
Thema Steuersenkungen. Wer will und kann das noch hören? Der Wähler länger nicht mehr. Angesichts unbekannter Kosten für Zuwanderung und Co, dem gegenüber marode Schulen aber angeblich ein Topf voller zusätzlicher Steuermilliarden – diese Zahlenspielchen versteht keiner. Niemand wählt, weil irgendwer irgendwo irgendwas zu bezahlen gedenkt. Söder schmollt, will mehr ausreden, will Steuersenkungen, die Inflation steigt oder doch nicht. Enteignung, Investitionen wie noch nie – alles gerät durcheinander. Der verwirrte Bürger wählt Gesichter, wählt Empathie. Ulrich Matthes fragt immerhin mal nach dem Geld für die Geflüchteten. Wo das herkommen soll.
Und nun? Wo sind die Parteien, die das alles eben NICHT zu verantworten hatten? Keiner da, der auf den Tisch klopft. „Geld an den Bürger zurückgeben!“, sagt Markus Söder. Und dann wären da noch die Kosten für Europa. Nächstes Thema bei Plasberg. Macron will auch Kohle von Deutschland, sonst kommt Le Pen. Der Schlauch Europa bekommt immer mehr Risse noch an den ehemals zuverlässigsten Stellen und die GroKo winkt schon wieder mit dem deutschen Milliarden-Euro-Flickzeug. Ulrich Matthes befindet glücklich, dass in der Runde alle für Europa sind. Aber im fehlt schon das Grundwissen: Der Gute kann die EU nicht von Europa unterscheiden. Die „verdammten Nazis“ kommen ins Spiel, eingebracht von einem, der sein Berufsleben lang über Kultursubventionen satt durchgesponsert wurde und sich bedankt. Ach so: Wolfgang Schäuble schätzt er auch über alles.
Eine einmalige historische Chance, findet Oppermann. Schulz? Nein, so weit geht selbst er nicht. Oppermann meint Macron in Frankreich und wirbt schon dafür, bloß nicht zu geizen, sonst kommt Le Pen. Aber was ist das eigentlich? Eine andauernde Angstmache, eine Bedrohung nach der anderen, offen Richtung Wähler ausgesprochen.
Die Zuschauerkommentare machen es dann deutlich. Letztlich ein kollektiver Dissens mit der gesamten Runde bei Plasberg. Der Bürger hat sich emanzipiert. Sankt Martin ist die knusprige Martinsgans. Gegessen schon im April. Und wer schon mal eine hatte, weiß um diese lästige Entsorgung der abgefressenen Reste. Wenn die Biotonne voll ist, kann man ja nicht einfach über den Gartenzaun …
Fazit? Immer das Gleiche: Der Bürger soll die Wut herrunterschlucken. Und Seehofers Verfassungsklage lässt immer noch auf sich warten. Sind denn Wähler blöd, fragt dann noch Plasberg? Alles wieder toll in Deutschland, findet Söder. Alle Probleme gelöst, alles umgesetzt. 2015 wird sich so nicht wiederholen. Die Welt hätte sich verändert, sagt Söder. Schuld an den bösen Veränderungen haben dann allerdings immer die anderen, der liebe Gott oder im Zweifel eben das Wetter.
Nein, lieber Frank Plasberg, so geht es leider nicht. Staatsfernsehen ist nicht mit der DDR untergegangen. Der Vorwurf steht doch im Raum. Entkräften Sie ihn. Indem Sie diese Distanz zwischen zitierten Kommentaren und läppischer Kontroverse am Tisch wieder näher zusammenbringen. Moderieren Sie wieder. Jagen Sie aufeinander, wenn der Wille zur Kontroverse verweigert wird. Immerhin: Bei Ihnen gab es schon Sendungen, wo das durchaus möglich schien.
„Die Sitzung war therapeutisch“, empfindet Markus Söder. Da sagt er was und schaut dann zufrieden zu den Mitpatienten. Zum Schluss hätten alle das gute alte Lied zusammen singen können: „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten?“